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19 Mai 2008

Besuch im Reich der Frauen

Was sie nicht weiß, ist, daß er auch seine eigenen Gefühle nicht wahrnimmt; und daß er das
vermeidet, um nicht über sie sprechen zu müssen; daß ein Mann seine Männlichkeit unter
Männern lernt und daß die Kommunikation mit Frauen für ihn die Ausnahme darstellt.
Es gibt allerdings eine Phase im Leben des Mannes, in der er sich auf die Kommunikation
mit Frauen einstellt: während der Phase der Verliebtheit und der Zeit, in der er um sie
wirbt. Da wirkt er wie verwandelt. Da ist er zärtlicher, mitfühlender und aufmerksamer als
jede Frau. Da achtet er auf jede ihrer Regungen. Da verfügt er plötzlich über die Fähigkeit,
ihre Gefühle wahrzunehmen. Und ebenso plötzlich erwirbt er damit die Gabe der
Konversation. Alles, was sie betrifft, findet nun sein Interesse. Er folgt ihren Bemerkungen in
jede Untiefe. Und nichts ist ihm zu abwegig, als daß er nicht darauf einginge. Sie benutzt
ihre Sprunghaftigkeit geradezu als Testverfahren, um zu prüfen, wie geistvoll er ist und wie
weit es ihm gelingt, thematisch mit ihr in Verbindung zu bleiben. Die Konversation wird nun
zum Versteckspiel und zur heimlichen Flucht, um seine Beweglichkeit zu prüfen. Kurzum, sie
wird zum Flirt.
Auf einmal beweist er seine Fähigkeit, »Weiblich« zu sprechen. Er bestätigt alles, was sie
sagt. Er spricht nur noch über persönliche Dinge. Dabei unterdrückt er jeden Anlaß zum
Streit oder auch nur zur Uneinigkeit. Dafür hat die Kultur besondere »poetische« Gegenstände
vorgesehen, die alle mit Ferne und Vagheit zu tun haben: etwa den Mond oder den Wind im
Schilf. Über sie kann man sich beim besten Willen nicht streiten. Sie eignen sich deshalb als
Gesprächsthemen, an denen man den Gleichklang der Seelen wahrnehmen kann: der nächtliche
Himmel, die goldenen Sterne, der Wald, der schwarz steht und schweiget, der weiße Nebel
wunderbar, das Rauschen des Windes, das Plätschern des Wassers. All dies sind poetische
Gegenstände, um deren Interpretationen man nicht konkurrieren kann. Sowohl Flirt als auch
romantisches Gefühl drücken die glückliche Verschmelzung der Seelen aus.
Diese bemerkenswerte Wandlung wird bewirkt durch einen radikalen Bruch in der
Selbstwahrnehmung des Mannes ermöglicht. In der Liebe ist es ihm gestattet, auch seine
eigenen Gefühle wahrzunehmen. Die Kultur hat dafür einen erlaubten Ausnahmezustand
vorgesehen. Es handelt sich um einen temporär erlaubten Wahnsinn, eine anerkannte
Krankheit, ein zeitweiliges Fieber. Wir werden auf diesen Karneval des Gefühls noch genauer
eingehen. Hier genügt die Feststellung, daß dieser Zustand, wie der Karneval, zeitlich
begrenzt ist. Danach verliert der Mann die Fähigkeit wieder, Gefühle auszudrücken oder sie
wahrzunehmen. Er wirft sie ab, so wie der Hirsch das Geweih. Und die Frau steht plötzlich
wieder allein da und fragt sich, wohin der Gefährte entschwunden ist. Nun, wir wissen, wo
er ist. Er ist zur inneren Männerhorde zurückgekehrt.
Man kann sich das so vorstellen: Während der Verliebtheit ist der Mann auf der Reise. Er
macht Ferien von der Anstrengung des männlichen Daseins, von seiner Roheit, seiner
Langeweile und seinen immer gleichen Ritualen. Er ist auf einem beseeligenden Trip. Aber
wie ein Karibik.Tourist nach Wochen tropischer Nächte am Strand die ewigen Daiquiris
leid wird und sich nach einer handfesten Bürointrige sehnt, wie er sich dabei ertappt, nach
einer heimatlichen Zeitung zu suchen, wie er nach Botschaften aus dem Alltag giert und eine
Sehnsucht nach seinen Arbeitskollegen empfindet, so entdeckt der verliebte Tourist im Land
der Frauen plötzlich sein Heimweh nach dem Reich der Männlichkeit. Er träumt von den
herzhaften Frotzeleien unter Männern. Er sehnt sich nach einem munteren Kampfspiel im
Beruf. Nach einer kleinen blutigen Jagd mit interessanten Strategiebesprechungen. Nach dem
herzhaften Gefühl der kollektiven Kameradschaft. Und nachdem sie beobachtet hat, wie er
immer unruhiger und nervöser wurde, findet sie nach einem Einkaufsbummel auf dem
Küchentisch einen Zettel mit der Botschaft: »Sorry Liebling. Dringender Anruf von Arnold.
Mußte zurück zur Truppe: ein Notfall. Ich hasse das genauso wie Du. Es war wunderbar mit
Dir. Ich liebe Dich. Ich rufe Dich an. Dein Bärchen.«
Rückkehr zu den Männern
Wenn das eintritt, ist der Trip der Verliebtheit zu Ende. Der Mann war für eine kurze Zeit
der Intensivkommunikation ins Reich der Frauen eingekehrt und hat festgestellt, daß ihn die
Beschäftigung mit den Gezeiten ihrer Gemütslage auf die Dauer nicht zu fesseln vermag.
Ihm erscheinen die Auskünfte über den Seelenzustand wie der Wetterbericht: völlig
unberechenbar. Mal ist es sonnig, mal regnet es; mal ist es wolkig; mal ist es stürmisch und
mal windstill. Er kann keine Ordnung in diesen fließenden Verhältnissen entdecken. Es gibt
keine Entwicklung, keine Logik, keinen Zusammenhang und keine Gründe. Die Faszination mit
dem Konturlosen ist ihm unverständlich. Zur Organisation der Welt braucht man Differenzen.
Und die braucht man auch für den Kampf und die Konkurrenz. Die Mikrologie der
Selbstbeobachtung dagegen ist ihm fremd. Sie überfordert sein Wahrnehmungsvermögen. So
wie ein Mitteleuropäer die 120 Ausdrücke für »Schnee« für überflüssig hält, über die ein
Eskimo verfügt, so hat ein Mann keine Verwendung für die Genauigkeit, mit der Frauen
zwischen 120 Nuancen des Wohlgefühls und 230 Nuancen des Sich.unwohl.Fühlens
unterscheiden. Diese lyrische Beschreibungsgenauigkeit ist ihm unverständlich. Diese
Faszination mit der vegetativen Daseinsstimmung gehört nicht zu seinem Lebensgefühl. Er
meditiert nicht über das Licht in den Wassertropfen. Er pflegt keine Pflanzen und Blumen. Er
beobachtet nicht das Atmen der Kinder im Schlaf. Und er ruht auch nicht so tief in seinem
Körper. Statt dessen verfügt er über ihn wie über ein Instrument. Er ist nicht ein Körper,
sondern er hat ihn. Sie ist Mutter Erde, die ruht. Aber er ist mobil wie der Wind. Vereinigen
sie sich, so küßt der Himmel die Erde, und es fügen sich Körper und Geist zu einem neuen
Menschen zusammen. Stirbt dieser, kehrt die Seele zum Himmel und der Leib zur Erde
zurück. Über die Seele wacht der Priester in der Kirche, die Gräber aber pflegen die Frauen.
Und nach dem Tod der Liebe kehrt der Mann auch zur Sprache der Männer zurück. Dann
wird sie versuchen, mit ihm über seine Rückverwandlung zu kommunizieren. Sie möchte ihm
klarmachen, daß sein herablassender Belehrungsstil, seine Monologe und seine pompöse
Gespreiztheit wie ein eiserner Vorhang wirken; daß er nicht mehr auf sie eingeht und
rücksichtslos über ihre Wünsche hinwegtrampelt. Daß er nicht mehr zuhört, sie ständig
unterbricht, sie abkanzelt, ihre Beiträge entwertet und sie in Gesellschaft übergeht, so als ob
sie gar nicht vorhanden wäre.
Aber diese Versuche führen in sogenannte seltsame Schleifen. Tritt sie mit dem Anspruch
auf, daß ihr Kommunikationsstil zivilisierter sei als sein Konkurrenzverhalten, dann
konkurriert sie mit ihm und bestätigt damit wieder seinen Konkurrenzstil. Weil sie ja mit ihm
konkurriert. Solche seltsamen Schleifen führen dazu, daß man sich endlos im Kreise dreht.
Das ergibt zwar eine stabile Beziehung, aber macht sie zugleich deprimierend und monoton.
Die Stabilität wird dann getragen von der Stabilität des Konflikts. Rotiert man als
Gefangener solcher seltsamen Schleifen immer durch die gleiche Umlaufbahn, muß man sich
vom gesunden Menschenverstand lösen und etwas tun, was gegen ihn verstößt: etwa den
Mann bitten, einen besonders umständlichen Monolog zu halten. Das wird ihn sofort
mißtrauisch machen, denn weil er ständig rivalisiert, neigt er dazu, Wünsche gerade nicht zu
erfüllen. Sie kann auch versuchen, ihm zu verbieten, liebenswürdig, höflich und
zuvorkommend zu sein. Von ihr läßt er sich gar nichts sagen . und so wird er sofort seine
Freiheit beweisen wollen, indem er das Verbot durchbricht. Wenn er das tut, hat sie ihn da,
wo sie ihn haben will.
Man hat diese Technik bei der Behandlung von Schizophrenen und Zwangsneurotikern
entwickelt und spricht dann von Symptomverschreibung. Wenn etwa ein Mensch unter
Waschzwang leidet, hört er damit auf, wenn man ihn auffordert, sich zu waschen. Sein
Waschen war unwillkürlich und ungewollt. Er mußte sich waschen, weil er es nicht wollte.
Wäscht er sich nun bewußt und willentlich, kann er es nicht mehr unwillkürlich tun, und der
Zwang ist verschwunden. Es gibt keine andere Möglichkeit, aus Teufelskreisen auszubrechen.
Jede Frau sollte sich also vor Augen halten, daß ihre Überlegenheit in der Kommunikation zu
der Vernageltheit ihres Mannes beiträgt. Ihr Kommunikationsstil ist eindeutig differenzierter.
Spätestens wenn sie das betont, setzt sie sein Immunsystem in Gang. Ihre Kommunikation
muß also wie ein Virus seine Immunabwehr bezwingen. Das ist nur möglich, wenn man die
Eigendynamik der Abwehr berechnet und sie dazu zwingt, sich selbst zu torpedieren. Tut
man das nicht, endet man wie die Biene im umgekehrten Glas. Sie sucht immer den Ausgang
oben, wo das Licht herkommt; darin folgt sie dem Common sense der Bienen. Aber in diesem
Fall wäre es besser, ihn unten zu suchen, wo es dunkel ist. Viele Frauen erleiden das
Schicksal der Bienen.
Die Frau im Reich der Männer
Seit den Anfängen der Emanzipation sind die Frauen damit beschäftigt, das Reich der Politik
zu erobern. Sie dringen in die politischen Freundschaftszirkel und Kartelle der Männer ein.
Sie besetzen Positionen innerhalb der Parteien. Sie werden Chefs von Firmen und Behörden.
Und sie finden sich wieder in einem fremden Land.
Viele haben dabei Mühe, sich an die Landessitten zu gewöhnen. Das ist jedoch nötig, wollen
sie nicht nur Erfolg, sondern auch Freude an solchen Posten und ihren Tätigkeiten haben. Die
lauten Klagen, die man hört, lassen allerdings vermuten, daß viele Frauen ihren Aufenthalt in
diesem Soziotop nicht genießen. Denn sie haben die Sozialisation der Männer in der Horde
nicht mitgemacht. Deshalb mißverstehen sie den dort entwickelten ruppigen Sozialstil. Jeder
Angriff gegen einen Mann ist für den Angegriffenen auch ein Kompliment. An ihm kann er
die Wertschätzung durch den Angreifer ablesen. Zugleich gibt es ihm Gelegenheit, seine
eigene Kampfkraft vorzuführen. Viele Auseinandersetzungen sind wie Fingerhakeln. Es sind
spielerische Übungen, bei denen sich die Gegner gerade dann besonders schätzen, wenn sie
ungefähr gleich stark sind. Die Attacken machen ihnen dann Spaß.
Männer haben ihre Aggressionen ritualisiert und durch Regeln gebändigt. Dazu gehören wie
beim Sport die Regeln der Fairneß. Man hört auf, wenn der andere aufgibt und
Unterwerfungssignale aussendet. Man tritt nicht nach, wenn jemand am Boden liegt. Man
nimmt nicht endlos übel. Man nimmt nicht jeden Angriff persönlich. Man weiß, daß er zum
Schema männlicher Selbstdarstellung gehört. Daß ein Mann zur Auffrischung seines Image hin
und wieder jemanden attackieren muß. Man gehört eben zu einer Gemeinschaft, in der
ungeschriebene Gesetze gelten.
Frauen haben auch dann ihre Mühe mit den Landessitten, wenn sie sich schon lange im
Reich der Männer aufhalten. Sie übersetzen dann deren Verhalten in ihren »weiblichen«
Dialekt. Da ist ein Angriff eine Verletzung der Konvention. Man kann ihn deshalb nur
persönlich nehmen. Für eine Frau ist eine Attacke nur verständlich, wenn sie unterstellt, daß
der Gegner sie haßt, ihr schaden will oder schlichtweg bösartig ist. Sie schießt deshalb mit
verstärkter Feuerkraft zurück. Das überrascht wiederum den Mann. Er wird nach einem
sportlichen Routineangriff ernsthaft verletzt. Er findet das unfair und bösartig und kann das
nur mit erhöhter Empfindlichkeit erklären. Und so kommt es dazu, daß sich auf dem Felde
der Politik Männer und Frauen gegenseitig für aggressiv halten.
Auch das führt zu Paradoxien. Die Friedlicheren, also die Frauen, finden Friedensbrüche
besonders empörend, und weil sie sich moralisch im Recht fühlen, werden sie besonders
aggressiv. Die Aggressiveren . also die Männer . nehmen Aggressionen nicht übel. Sie
akzeptieren sie als notwendige Bestandteile des Lebens und haben sie deshalb sozial
reguliert. Daß Frauen sich nicht an diese Regeln halten, empfinden sie als anstrengend. Sie
nehmen nicht teil an der allgemeinen Vorverständigung und haben keinen Sinn für die
sportlichen Seiten der Konkurrenz.
In Gremiensitzungen geht es ihnen immer darum, möglichst schnell zu einem Ergebnis zu
kommen. Sie wissen nicht, daß ein Problem auch seine Schönheiten hat. Und daß eine
Ausschußsitzung auch ein Genuß sein kann. Und daß man deshalb aus der Tagesordnung ein
Maximum an Problematik herauspressen muß. Sie haben keinen Sinn dafür, daß eine Frage
erst, wie eine Traube, die richtige Reife haben muß, bevor man das Höchstmaß an
kontroversem Potential herausholen kann.
Die Öffentlichkeit wird weiblich
Nun ist es aber dabei nicht geblieben, daß einzelne Frauen im Reich der Öffentlichkeit
herumirren, ohne die Wege und Straßen zu kennen. Vielmehr hat sich das Verhältnis von
Öffentlichkeit und Privatheit seit der Kulturrevolution von 1968 in sich selbst verändert.
Bis dahin herrschte in der Öffentlichkeit ein autoritärer, machistischer Stil. Das war
besonders in Deutschland so. Während in den westlichen Nationen zur Zeit der Königshöfe
eine hauptstädtische Gesellschaft entstand, deren Verkehrsregeln sich an der Begegnung
beider Geschlechter herausbildeten, wurden in Deutschland zwei rein männliche Milieus
tonangebend: das Militär und die Universität. Das begründete den akademischen
Belehrungsstil und den militärischen Kommandoton in der Öffentlichkeit. Es war das Verdienst
der Studentenrevolte von 1968, daß sie diesem Sozialstil endgültig den Garaus gemacht hat.
In der Folge sorgten zwei Bewegungen dafür, daß der weibliche Sozialstil intimer
Kommunikation in der Öffentlichkeit als vorbildlich angeboten wurde. Das waren die Grünen
und die Vorreiter der Frauenbewegung. Auch sie betrieben symbolische Kampagnen. Plötzlich
wurde es in Hörsälen und bei öffentlichen Anlässen üblich, daß die Frauen ihr Strickzeug
auspackten. Oder Mütter brachten ihre herzigen Wonneproppen zu Parteitagen mit. Das hatte
zur Folge, daß der öffentliche Stil sehr viel zwangloser und lockerer wurde. Unpersönlichkeit
und Sachlichkeit wurden zu machistischen Sünden erklärt. Statt dessen wurde Authentizität
gefordert. Jeder sollte »sich einbringen«. Gelegentlich forderten die Grünen sogar »mehr
Zärtlichkeit im Bundestag«. Ein neues Zeitalter der Empfindsamkeit wurde ausgerufen.
Aggressionsverbote, die vor allem diskriminierte Minderheiten schützen sollten, wurden mit
Freundlichkeitsgeboten verbunden, um neue Sprachregulierungen zu begründen. Das alles lief
auf den Versuch hinaus, in der Öffentlichkeit »lieb« zueinander zu sein.
Man erhob Forderungen nach emotionaler Beteiligung. Das galt besonders bei Verfehlungen
anderer. Da zeigte man »Wut und Trauer« oder pauschal »Betroffenheit«. Mit Lichterketten
holte man das weihnachtliche Friedensfest auf die Straße.
Kein Zweifel: Die Frauen haben mit ihren Eroberungszügen ins Reich der Politik den Stil
öffentlicher Kommunikation verändert. Die Unterschiede zwischen öffentlich und privat sind
unschärfer geworden. In dem Versuch, den privaten Intimstil weiblicher Friedlichkeit offensiv
zu vertreten, sind die Frauen militanter geworden. Das hat sie den Männern ähnlicher
gemacht. Zugleich haben sie das Bombastische und die Gespreiztheit des männlichen
Imponiergehabes der Lächerlichkeit ausgesetzt, den autoritären Kommandostil moralisch
unmöglich gemacht und den Männern einen Stil der emotionalen Betroffenheit aufgezwungen,
der die schönsten Blüten der Heuchelei und der Schauspielkunst hervorbringt. Aber das eben
ist nicht das schlechteste: Ist doch die Heuchelei eine Verbeugung vor der Tugend.
Zugleich wurde die Abgrenzung des Männlichen gegen das Weibliche durchlöchert. Neue
männliche Typen tauchten aus dem Untergrund auf. Der Softie reichte den Frauen seine
schlaffe Hand über den Graben des Geschlechterkriegs hinweg und bat um die Erlaubnis, sich
einbringen zu dürfen. Der Schwule erhob keck sein Haupt und suchte nach jemandem, der
ihn diskriminieren könnte. Der Hausmann band die Schürze um und schickte seine
Karrierefrau hinaus ins feindliche Leben. Sie alle führten dem Mann vor, was er bisher
verdrängt hatte: die Möglichkeit, wie eine Frau zu sein.
Wir aber besichtigen jetzt einen Typen, der mit dieser verwandt ist. Dazu machen wir
wieder einen Abstecher in die Porträtgalerie.
Achter Abstecher in die Porträtgalerie der Männertypen: Der Entertainer
Dieser Typ bringt sich selbst zu Gehör. Er ist die Seele jeder Gruppe, die den Freuden der
Geselligkeit huldigt. Seine Stunde schlägt nach Sonnenuntergang, wenn die Feste und die
Cocktailparties beginnen. Er ist der König Karneval, der Herr über das Fest und die
Verkehrung der Ordnung. Als göttlicher Wagenlenker jagt er die Rosse der Stimmung über die
Ebene und scheucht mit dem Peitschenknall seines Witzes Rudel von Lachsalven auf. Um ihn
herum scharen sich die Bedürftigen, an die er freigebig die Gaben der Heiterkeit austeilt.
Dabei schöpft er aus der Fülle. Wo die Lachlust herrscht, gibt es keine Knappheit. Heiterkeit
gehört zu den Luxusgütern. Sie gibt es nur im Überfluß. Als Rinnsal würde sie lächerlich. Sie
muß schon als Flut daherkommen, die alles mit sich reißt.
Als Herr über die Fluten steht der Entertainer in einer merkwürdigen Beziehung zur
Männerhorde: Er macht sie hilflos. Er setzt die Männlichkeit außer Gefecht. Er reißt die
Verpanzerung ein und überflutet die Dämme des Ichs im Gelächter. Er bietet die einzige Form
neben seinem Verbündeten, dem Alkohol, in der der Mann sich auf erlaubte Weise von seiner
Männlichkeit erholen kann. Die Imponierfigur löst sich auf im großen Lachen. Der Macho
dankt ab. Der Pompöse, der Gespreizte, der Ernsthafte, der Moralische, der Imponiertyp .
hier fallen sie in sich zusammen. Deshalb hielten sich die Könige Alt.Europas ihren Narren
. wenn sie sonst niemand korrigierte, erinnerte er sie an ihre Fehlbarkeit. Wie der König
ragte auch er aus der Horde heraus. Aber das tat er gewissermaßen als Anti.Held. Machte
er nicht den König zum Gespött, dann sich selber.
Der Narr ist in dieser Eigenschaft auch ein Anti.Mann. Beleidigt man ihn, greift er nicht
zum Degen, sondern reagiert mit seinem scharfen Witz. Seine Domäne ist das Wortgefecht. In
ihm ist er ein Meister. Da führt er eine scharfe Klinge. Und so mancher bekommt das zu
spüren. Vor allem wieder die Imponiertypen. Sie läßt er am liebsten zur Ader, weil die
Fallhöhe ihrem Kollaps erst die richtige katastrophale Qualität verleiht.
Sein Publikum ist natürlich das Kollektiv der Horde. Ihm wirft er die wechselnden Opfer zum
Fraße vor. Und wollen sich diese nicht selbst isolieren, müssen sie gute Miene zum bösen
Spiel machen. Tun sie das, stärkt das ihre Verbundenheit mit der Horde. Im Grunde ist die
Stimmungskanone ein Spannungsverminderer. Er gibt den internen Aggressionen der Gruppe
eine Form, in der sie harmlos verpuffen können.
In seiner kritischen Distanz zur Männerhorde ist der Entertainer der natürliche Verbündete
der Frauen. Er entwertet das Imponiergehabe. Er verlagert die Auseinandersetzung von der
Ebene der rohen Gewalt auf die des Wortes und des Witzes. Er entspannt die Atmosphäre
und trägt dazu bei, daß beide Geschlechter sich in zivilisierter Geselligkeit begegnen können.
Für ihn gibt es keinen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Männerhorde und Frauen. Beide
sind sie sein Publikum. Insofern kann er seine Beziehung zur Männerhorde auf die zu Frauen
übertragen. Er ist der einzige Typ, der zu beiden ein ähnliches Verhältnis hat.
Auch eine einzelne Frau, auf die er sein Auge geworfen hat, wird der Entertainer wie sein
Publikum behandeln: Er unterhält sie, er bringt sie zum Lachen, er erheitert sie. Zunächst ist
das wie die Fortsetzung seiner Wirkung in der Männerhorde mit denselben Mitteln. Sie hat
ihn als Herz und Seele der Gruppe kennengelernt, wie er als Magier des Wortes Lachsalven
auslöste. Wie er auf einem Strom von ihm selbst ausgelöster Energien ritt. Einen
Charismatiker der schnellen Intelligenz, der Gefühl und Witz verschmelzen konnte. Aber nun,
da er mit ihr allein ist, fehlen die Echoeffekte der Gruppe. Seine Wirkung wird auf
Zimmerlautstärke zurückgenommen. Jetzt wird er charmant. Er geht auf sie ein, er paßt sein
Repertoire ihren individuellen Erwartungen an. Er nimmt ihm die Streubreite ins Grobe,
erhöht die Differenziertheit und gibt ihr eine persönliche Einfärbung und Gedämpftheit.
Es ist diese Umstellung, an der sich der Entertainer in seinem Verhältnis zu Frauen bewährt
oder an der er scheitert. Je nachdem, ob sie ihm gelingt, wird er seine Entertainerqualitäten
auch in eine Paarbeziehung hinüberretten können oder nicht. Und ob er das kann, hängt
weitgehend von der Frau ab, und zwar von ihrer Geselligkeit.
Ist sie gesellig, gibt sie ihrem Partner häufig die Gelegenheit, vor Publikum aufzutreten. Dann
darf er sich in seinem besten Lichte präsentieren. Er darf wieder die Echo.Effekte seiner
magischen Wirkung spüren, ein Bad in der jubelnden Zustimmung nehmen und das gute
Gefühl des Beglückers kosten, der die Heiterkeit aus dem Füllhorn ausgießt. Dann darf er sich
als Virtuose genießen, und sie sieht ihn als Teil des Publikums wieder in dem magischen
Licht, in dem er ihr zuerst erschienen ist. Diese Entrückung wirkt auch auf sie wie eine
Verjüngungskur. Die Verachtung, die Vertrautheit mit sich bringt, wenn die Theaterkulissen
von der Hinterbühne aus gesehen werden, wird wieder durch die Zauberwirkung abgelöst.
Aber bezahlen muß sie das damit, daß sie ihren Partner mit dem Publikum teilt.
Ist sie aber eher der ungesellige Typ, der die Intimität der Zweisamkeit gegen die
Geselligkeit abschirmt, wird sie ihn langsam vertrocknen lassen. Dann wird er Mühe haben,
seine Wirkung auf ein Ein.Personen.Publikum umzustellen. Wenn er nicht hin und wieder
Gelegenheit erhält, auf einer Party oder während eines Kneipenbesuchs aufzutanken, wird
sein Talent verdorren. Er wird dann selbst langsam schrumpfen. Nur hin und wieder, wenn
Gäste kommen, wird er aus seinem somnambulen Zustand erwachen wie ein Löwe, der in
seinem Käfig plötzlich eine Nase voll Steppenwind einzuatmen meint, um danach wieder
zusammenzusinken.
In dieser Ausrichtung an der Horde bleibt auch der Entertainer bei aller Femininität ein
Mann. Im übrigen aber ist er für Frauen ein einfühlsamer Partner. Seine Qualität besteht ja
gerade darin, sich auf andere einstellen zu können, ihre Erwartungen zu wittern und mit
ihnen zu spielen. Sicher, Frauen sind selbst selten Entertainer, aber das liegt nur daran, daß
sie sich in der Regel nicht an einem großen Publikum orientieren. Sie lieben das
Entertainment zu zweit. Mit der Ausnahme von Diven sind sie nur an individuellen
Reaktionen interessiert. Sie konzentrieren sich eben nur auf eine Person. Deshalb mangelt es
ihnen an Verständnis für die Publikumssucht des Entertainers. Und so kann es kommen, daß
eine Frau sie bei ihrem Partner als Abhängigkeit verachtet. Dahinter steckt oft eine latente
Eifersucht.
Aus der Massenpsychologie wissen wir, daß Demagogen ein erotisches Verhältnis zur Masse
entwickeln, die sie manipulieren. Ihr Auftreten wird als pseudoreligiöse Verschmelzung erlebt,
als Fest der Entgrenzung, als Feier der emotionalen Übereinstimmung. Und auch als
Ausschweifung, als Überwältigung und Schändung. Ganz so wild treibt es der Entertainer
nicht. Und sein Witz hält das Denken lebendig. Aber eine gewisse Erotik schwingt immer
zwischen jedem Unterhalter und seinem Publikum mit. Und so tendieren viele Frauen dazu,
die emotionalen Quellen ihrer Entertainer.Partner zuzuschütten und sich damit selbst zu
berauben.
Obwohl eine gewisse Enttäuschung mit dem Entertainer vorprogrammiert ist, bietet sein
Einfühlungsvermögen in andere doch eine Garantie: man wird sich besser als mit anderen
Typen mit ihnen verständigen können. Sein Humor hindert ihn daran, sich selbst zu
überschätzen. Sein Publikumsgefühl garantiert die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen.
Seine Sucht, Heiterkeit zu verbreiten, nährt sich aus dem Bedürfnis, Spannungen zu
entschärfen. Unter allen Typen des Mannes ist er einer der kommunikationsfähigsten.
Er hat vielleicht nur ein Defizit: Er ist für manche Frauen zu wenig männlich. Sein Witz
stammt ja aus der Fähigkeit, sich selbst von außen zu sehen. Das erscheint an der
Oberfläche als Heiterkeit. Sie kann aber eine tiefere existentielle Unsicherheit verbergen. Das
wird damit zusammenhängen: Der Entertainer durchschaut die Zerbrechlichkeit der
männlichen Identität und verliert die naive Sicherheit, die der Lohn der erfolgreichen
Verdrängung ist.
Das mag mit einer der Gründe sein, warum sich in der heutigen Medienlandschaft so viele
Schwule, Transvestiten und Leute unklaren Geschlechts herumtreiben. Die Fähigkeit, durch
Witz Situationen zu entspannen, ist ja eine klassische Befriedungstechnik, mit der man die
Wut machistischer Tyrannen entschärft. Und es ist die Technik der Schwächeren: von Frauen
und Kindern. Insofern enthält die Sucht zu erheitern auch die Nebenbedeutung der
Hilflosigkeit. Frauen mögen das wittern und den einfühlsamen Entertainer für kraftlos halten.
Ein Macho jedenfalls ist er nicht. Trotzdem ein Held.
Natürlich gibt es auch in dieser Sparte eine Abstufung zwischen den Formen der
Aufgeblasenheit und denen der Bescheidenheit. Der Entertainer muß nicht den Witz als Waffe
benutzen. Es gibt den Erzähler, der die Bühne für längere Epen besetzt. Den Schwadroneur,
der die Pompösität zum Stil erhebt und damit parodiert. Bei ihm gehört die Beimischung an
Übertreibungen zur Unterhaltung. Und die Offensichtlichkeit der Lügen entwaffnet jeden
Vorwurf Und schließlich gibt es den geistvollen Plauderer, der durch eine gewisse
Zurückhaltung und eine Vorliebe für das Bonmot signalisiert, daß er nicht zu den
Breitspurigen gehört. Entsprechend ist das Publikum des Plauderers auch nie die Horde,
sondern die kleine Runde.
Auf jeden Fall kann man die Regel aufstellen: Die Frau, die Machos haßt und einen Mann
mit der Fähigkeit zur Einfühlung will, liegt nicht schlecht mit dem Entertainer. Dagegen sollte
die, die Machos liebt und komplizierte Seelen verabscheut, von ihm die Finger lassen. Sie
wird sonst damit enden, ihn zu verachten.


aus:

Dietrich Schwanitz
MÄNNER
Eine Spezies wird besichtigt

Der Phallus

aus DIETRICH SCHWANITZ -- MAENNER eine spezies wird besichtigt

Der Phallus ist manisch-depressiv
Wer sonst an die Gleichheit der Geschlechter glaubt - spätestens mit Bezug auf den Sex
muß er diesen Glauben aufgeben. Hier ist der Mann ganz Mann - oder auch nicht. Hier
wenigstens sollte er es sein. Und hier ist das Feld der Bewährung. Hier wird enthüllt, wenn
er kein richtiger Mann ist. Mit den alten Römern muß er dann sagen: »Hic Rhodos, hic
salta!« »Nun bist du in Rhodos, nun spring auch!« Denn hier erfüllt sich das Wort von der
nackten Wahrheit.
Im Sex also wird das zerbrechliche Ego des Mannes zur Anschauung gebracht. Die Frau ist,
wie sie ist; das Szenario des Sex führt ihrem Wesen nichts hinzu und nimmt ihm nichts weg.
Sie bleibt, was sie war: feminin. Der Mann dagegen ist nicht nur Mann. Er muß sich als
solcher beweisen. Und hier kann er nicht mehr simulieren. Alle Hochstapelei wäre vergebens.
Er ist nackt. Und sein Körper wird zum Meßinstrument, an dem der Zeiger den Stand der
Virilität anzeigt.
Dieses Meßinstrument ist unbestechlich. Der Mann hat keine Möglichkeit, es zu beeinflussen.
Mit deutlich markierter Leuchtfärbung kündet der Phallus von der sexuellen Gespanntheit des
Körpers. Dabei wird er selbst zum Symbol: Wie prächtig ist er im Zustand des
Selbstbewußtseins! Bis zur Lächerlichkeit stolz und berstend vor Kraft. Ein Triumph der
Energie! Ein Baumstamm, der aus dem Unterholz hinauf in den Himmel ragt. Und eine
Widerlegung der Schwerkraft! Ein Fanal des Optimismus und eine Allegorie des
Selbstvertrauens. Aber, o weh, wie traurig im Zustand der Niedergeschlagenheit! Es gibt
nichts jämmerlicheres auf dieser Welt! Dann wird er zum Abbild der Verelendung, zum
Inbegriff der Entkräftung und zum Urbild der Melancholie. Unter allen Bildern der Schlaffheit
ist er die ultimative Hinfälligkeit. Tiefer als ein verwelkter Penis kann man nicht sinken!
Elender nicht aussehen. Und hoffnungsloser nicht wirken. Er ist die fleischgewordene
Depression. Und so ist denn der Stolz des Mannes von seinem Wesen her manisch-
depressiv. Mal himmelhoch jauchzend, mal zu Tode betrübt.
Im Extremismus zwischen Größenwahn und Verelendung demonstriert der Phallus, daß er ein
Eigenleben führt. Dabei ist er unberechenbar und degradiert dadurch seinen Besitzer zum
bloßen Zuschauer. Hilflos muß er mitansehen, wie der Repräsentant seiner Männlichkeit
macht, was er will. Er kann ihn nicht restlos beherrschen. DerVersuch würde ihn höchstens
behindern. Jede Kontrolle würde das Gegenteil bewirken. So ist der Phallus ein Symbol der
Spontaneität. Und das wiederum treibt seinen Träger in die Mutter aller Beziehungsfallen.
Das ist der Befehl: »Sei spontan!« Gibt er diesen Befehl an ihn weiter, verdammt er ihn erst
recht zur Verelendung. Der Phallus läßt sich nicht befehlen! Und spontan sein auf Befehl ist
unmöglich. So stellt gerade der Ausweis der männlichen Prächtigkeit eine ständige
Demonstration der männlichen Hilflosigkeit dar.
Die Gespenster der Eifersucht
Als exponiertes Organ ist der Phallus gefährdet. Freud hat daraus auf die Kastrationsangst
geschlossen. Sie ist ein weiterer Ausdruck der Angst, den Status des Mannes zu verlieren.
Angeblich löst deshalb der erste Anblick einer unbekleideten Frau eine Panik aus. Zum ersten
Mal sieht der Knabe einen menschlichen Körper ohne Phallus. Und der weibliche Schoß sieht
aus wie eine Wunde, zurückgeblieben von der gewaltsamen Kastration.
So wie ein Mann nie wissen kann, ob er auch der Vater seiner Kinder ist, so kann er auch
nie sicher sein, daß er seine Lebensabschnittsgefährtin sexuell zufriedenstellt. Und wieder ist
das Arrangement asymmetrisch. Ist er impotent, gibt es nichts mehr zu deuteln. Das negative
Ergebnis ist eindeutig genug. Im Positiven aber ist die Sache nie ganz klar. Da bleibt der
Verdacht, daß sie simuliert. Ob sich jede Frau der Folgen bewußt ist? Sie wähnt sich in der
Regel allein mit ihrem Partner im Bett. Oder im Fahrstuhl, im Eisenbahnabteil, im Beichtstuhl,
in der Flugzeugtoilette, oder wo immer der Film sich vorstellt, daß die modernen Pärchen es
treiben. Aber das gilt nur für sie! Der Mann ist es nicht. Er sieht sich umgeben von einer
Meute virtueller Rivalen. Das Lager ist bevölkert von den Gespenstern ihrer ehemaligen
Liebhaber, von denen sie ihm unvorsichtigerweise erzählt hat. Und während er den Nektar
der Liebe trinkt, schmeckt er zugleich von den bitteren Tropfen der Rivalität.
Jede Phantasie ist eine Qual. Jeder Gedanke an einen anderen Mann verwandelt sich sofort in
eine Zwangsidee, die ihn fortan nicht mehr losläßt: die Vorstellung, wie sie mit ihm schläft.
Gerade seine eigene Erfahrung beliefert ihn da mit Anschauungsmaterial: Weil er weiß, wie
sie sich in der Entrückung des Orgasmus verwandelt, kann er sie sich gut in den Armen des
Rivalen vorstellen. Weil er sieht, wie sie in Ekstase aussieht, bebildert er damit seine
obsessiven Phantasien. Und diese untergraben sein Selbstbewußtsein. Sie lösen das nagende
Gefühl des Selbstzweifels aus, und es zeigen sich die ersten Anzeichen einer Paranoia. Er
fühlt sich verhöhnt. Sie lächelt über ihn. Ja, mit dem anderen Liebhaber zusammen lacht sie
hinter seinem Rücken.
Niemals ist eine Frau mit ihrem Partner also allein im Bett. Auch wenn sie nach
wiederholtem Nachzählen immer zum selben Ergebnis kommen sollte - daß nur ein Mann
im Zimmer ist -, für ihren Liebhaber sind sie alle dabei, nämlich seine Rivalen. Sie sitzen
auf der Bettkante. Sie winken höhnisch aus dem Spiegel. Sie stimmen ihr lautloses Gelächter
an, und sie wispern ihm ins Ohr: »Du Versager!« Und wenn ihre Lustschreie noch nicht
verklungen sind und sich nach seinem Orgasmus die Traurigkeit über ihn senkt, sind sie
schon da und flüstern: »Alles simuliert aus Mitleid mit deiner Jämmerlichkeit!«
Dieser Zweifel ist durch Gegenbeweise nicht widerlegbar. Und macht er sich eine Weile
unsichtbar, ist er doch nie weit. Schauen wir zu, wie er Othello, dem Erzeifersüchtigen, aus
dem Nichts entgegentritt. Dieses Nichts ist ein Besuch von Cassio bei seiner Frau,
Desdemona, die er in Gesellschaft mit Jago heimlich beobachtet.
Jago: Hat Cassio, als Ihr warbt um Eure Gattin, von Eurer Liebe gewußt?
Othello: Vom Anfang bis zum Ende: Warum fragst du?
Jago: Nur um eine Idee zu überprüfen, die mir kam, nichts sonst.
Othello: Was hast du denn geglaubt, Jago?
Jago: Ich dachte, er hätte sie nicht gekannt.
Othello: Doch. Er ging von einem oft zum anderen.
Jago: Wirklich?
Othello: Wirklich? Ja, wirklich - findest du was dabei? Ist er nicht ehrlich?
Jago: Ehrlich, gnäd'ger Herr?
Othello: Ehrlich, ja, ehrlich!
Jago: Soviel ich weiß, General ...
Othello: Und was denkst du?
Jago: Denken, gnäd'ger Herr?
Othello: Denken, gnäd'ger Herr? Bei Gott, mein Echo! Als läg' ein Ungeheuer ihm im Sinn, zu
gräßlich, es zu zeigen.
Das Ungeheuer liegt in Wirklichkeit Othello im Sinn. Es ist die Vision von Desdemona in den
Armen von Cassio. Und Jago bringt sie ans Licht.
Othello: Was sagt er?
Jago: - daß er bei ihr - ich weiß nicht, wie er's sagte.
Othello: Oh, was, was?
Jago: Gelegen -
Othello: Bei ihr?
Jago: Bei ihr, auf ihr, wie Ihr wollt.
Othello: Bei ihr? Gelegen? Auf ihr...?
Wenig später fällt er in Ohnmacht. Der Zweifel an der Treue der Frau ist also Selbstzweifel.
Dieser Selbstzweifel war - neben der Sicherung der Vaterschaft - die zweite Quelle für
das Motiv, die Sexualität der Frau zu kontrollieren. Daß es sich hier um ein Sondermotiv
handelt, zeigt sich schon an der Vorschrift, daß eine Frau als Jungfrau und unberührt in die
Ehe gehen sollte. Sie sollte nicht vergleichen können.
Diese Norm der Jungfräulichkeit wird zwar in der modernen Gesellschaft von niemandem
mehr ernsthaft verteidigt. Trotzdem besteht die sogenannte »Doppelmoral« fort. Dem Mann
wird eine größere Promiskuität gestattet als ihr. Das wird häufig mit der biologischen
Arbeitsteilung der Geschlechter in der Evolution begründet. Seine Funktion ist es, seine
egoistischen Gene so weit zu streuen, wie er eben kann. Denn das bereichert den Genpool der
Gattung. Ihre Funktion ist es dagegen, aus dem Angebot das beste auszuwählen (vielleicht
sind deshalb Frauen die kritischeren Käufer und müssen mit Sonderangeboten übertölpelt
werden), um dann, im Dienste der Nachkommen, den Mann an sich zu binden. Das hat für
beide Geschlechter verschiedene Konsequenzen: In ihrem Interesse liegt es, für die Treue
beider zu sorgen. Er dagegen muß, wie der Schmetterling, an vielen Blüten naschen.
Aber es gibt noch einen anderen, näherliegenden Grund für diese Asymmetrie. Um ihn zu
verstehen, müssen wir nicht über Sex, sondern über unser Verhältnis zum Körper reden.
Der Körper in der symbolischen Ordnung
Unser Körper - so müssen wir nun einmal zugeben - ist ein Ding unter anderen Dingen.
Es gehorcht den Gesetzen der Schwerkraft. Stößt man ihn, fällt er um. Er ist ausgedehnt,
verdrängt Wasser und hat ein - manchmal zu hohes - Gewicht. Er kann bewegt werden,
und am Beginn unseres Lebens erlernen wir die Kunst, eben das zu tun. Wir müssen ihn
beherrschen lernen. Der Körper ist etwas, das wir haben und das wir erobern und uns
unterwerfen. Wir haben ihn dann unter Kontrolle.
Aber damit haben wir nur die Hälfte gesagt. Denn der Körper ist ausgezeichnet unter den
Dingen. Er ist der Sitz unseres Selbst. Das wird offenbar, wenn wir nicht mit einem
Laternenpfahl, sondern mit einem anderen Menschen zusammenstoßen. Dann reiben wir uns
nicht nur die verbeulte Stirn, sondern wir sagen »Entschuldigung«. Wir haben dann nicht nur
unseren Kopf oder den Laternenpfahl beschädigt, sondern das Territorium eines anderen
Menschen verletzt.
Dieses Territorium ist symbolisch markiert. Es sagt uns: »Achtung! Betreten nur mit Erlaubnis
des Besitzers!« Den Körper des anderen umgibt eine Sicherheitszone wie eine Bannmeile ein
Parlament. Sie wird begrenzt von einem unsichtbaren Maschendrahtzaun. Hinter diesem Zaun
ist der Besitzer der absolute Souverän. Und so wie er sein Territorium als eine unverletzliche
Zone für sich beansprucht, beanspruche auch ich mein persönliches Reservat. Wie ein Altar
befindet sich mein Körper inmitten eines Sakralraums, den ich mit mir nehme, wenn ich
gehe. Andere Menschen dürfen ihn nur mit meiner Genehmigung betreten. Ich habe nicht nur
einen Körper, ich bin auch ein Körper. Gerade weil dieser Körper tatsächlich ein Ding unter
Dingen ist, muß sein personaler Status durch symbolische Markierungen eigens betont
werden: dadurch, daß man ihm sein persönliches Reservat zuerkennt. Das erst verschafft
jedem Individuum die Anerkennung als eines sozialen Selbst und begründet das, was wir
Menschenwürde nennen.
Der Körper gehört also zwei verschiedenen Ordnungen an: der mechanischen Ordnung der
Dinge und der symbolischen Ordnung der Kultur. Beide Ordnungen werden im Körper
überblendet. Das macht seinen heiklen Status aus. Und paradoxerweise macht ihn das zu
einem Schlachtfeld der Kultur.
Behandle ich nämlich den Körper bloß als Ding, verletze ich die kulturelle Ordnung. Denn
jede unerlaubte Grenzüberschreitung ist ein Angriff auf die Würde der Person. Die extremste
Form der Entwürdigung ist die physische Gewalt. Der Gewalttäter führt der Person ihre
Machtlosigkeit vor Augen und bezieht aus ihrer Erniedrigung wiederum die Berechtigung, sie
weiter zu erniedrigen. Denn er macht ihr klar, daß sie nicht mutig oder kräftig genug ist,
ihre eigene Souveränität zu verteidigen. Und daß sie deshalb auch nicht verdiene, daß man
sie respektiere. Durch diese kreisförmige Begründung verweigert man einer Person den
Respekt, weil sie den Respekt nicht zu erzwingen in der Lage ist. Früher nannte man das
Ehre. Je höher der soziale Status, desto verletzlicher die Ehre, und desto größer waren die
Ansprüche einer Person auf Respekt. Dementsprechend aufwendiger mußten die zeremoniellen
Vorkehrungen sein, wollte man in ihr Territorium vordringen. Bei Göttern, Königen oder
anderen hochgestellten Personen mußte man Weihrauchfässer schwingen,
Unterwürfigkeitsformeln murmeln, den Rücken beugen und andere Entschuldigungsrituale
durchführen, wollte man sich ihnen nähern.
Im Zeitalter der Gleichheit wird dagegen jedem ein annähernd gleiches Reservat zuerkannt.
Wir unterstellen jedem die Empfindlichkeit, die wir selbst empfinden, und wie erwarten vom
anderen dasselbe. Wir fühlen uns gestört, wenn uns jemand zu nahe tritt. Wir denken an
Flucht, wenn jemand aufdringlich wird. Berührungen werden als Übergriffe empfunden. Das
gilt jedenfalls für alle Fremden. Deshalb hat das Leben in der modernen Stadt die
Zugehörigkeit des Körpers zu den zwei Ordnungen der Dinge und der Kultur zu einem
Dauerproblem werden lassen. Die Stadt vereinigt nämlich physische Nähe mit sozialer Ferne.
Im Fahrstuhl, in der U-Bahn und in der Käuferschlange stehen die Menschen eng
aneinandergepreßt. Sie müssen dann deutlich machen, daß sie diese Enge nur als dinglich
verstehen und nicht als Ausdruck einer sozialen Beziehung. Denn so eine Nähe kennt man
sonst nur in einer Beziehung: in der Intimität. Also versuchen die Menschen, ihre Mienen mit
einem Schleier der Ausdruckslosigkeit zu überziehen. In solchen Fällen sucht man deutlich zu
machen, daß der Körper nur aus technischen Gründen als Ding behandelt wird. Ähnliches gilt
für das Verhalten beim Arzt, beim Friseur und bei der Gymnastik. In allen anderen
Situationen hält man zum anderen einen Sicherheitsabstand ein.
Das Bedürfnis nach Körperdistanz ist je nach Kultur verschieden. In der westlichen Kultur ist
es hochentwickelt. Das illustriert eine zunächst rätselhafte Serie von Unfällen im Hotel Sugar
Loaf Palace in Rio de Janeiro. Da gab es in einem Zwischenstock über der Eingangshalle eine
Bar mit einer Galerie, von der aus man in die Hotellobby hinunterblicken konnte. Die Galerie
war durch ein normales Geländer abgegrenzt. Trotzdem fielen immer wieder Gäste über das
Geländer in die Lobby. Man konnte sich das zunächst nicht erklären und heuerte schließlich
einen Detektiv an. Dieser stellte nach kürzerer Zeit fest, daß es sich bei den Fallsüchtigen
ausschließlich um Amerikaner und Europäer handelte. Und er fand folgendes heraus: In der
Unterhaltung unterschritten die brasilianischen Gesprächspartner immer wieder die
Körperdistanz der Euro-Amerikaner. Darauf wichen diese zurück, um die ursprüngliche
Distanz wieder herzustellen, bis sie an das Geländer der Galerie stießen. Da die Brasilianer
ihnen nun näherrückten, ohne daß sie weiter ausweichen konnten, beugten sie sich rücklings
so weit über das Geländer, daß sie das Gleichgewicht verloren und abstürzten.
Die Affaire hat nichts zu bedeuten
Die radikalste Herausforderung an die symbolische Plazierung der Körper in der Kultur
stellen aber sexuelle Beziehungen dar. Dabei geben zwei Menschen ihre Hoheitsrechte auf
und eröffnen dem anderen eine generelle Zugangsberechtigung zu ihrem Körper. Deshalb ist
der erste sexuelle Kontakt immer ein besonderes Ereignis. In ihm vollzieht sich die
Auslieferung an einen bisher Fremden. Jeder der beiden erhält ein Privileg. Aber: Die
Beziehung der Geschlechter in diesem Punkt ist ebenfalls wieder asymmetrisch. Das
symbolisch wertvollere Territorium war und ist immer noch der Körper der Frauen. Hier
entscheidet sich der Liebeskrieg. Daß der Mann bei der Eroberung seinen Körper miteinsetzt
und zur Verfügung stellt, versteht sich von selbst. Weil er nicht als gefährdet gilt, ist er
auch nicht schützenswert.
Zwar ist weibliche Keuschheit heute keine Tugend mehr. Aber die Asymmetrie bleibt
trotzdem erhalten: Ein Mann, der auf sexuelle Avancen nicht eingeht, bringt sich in den
Verdacht der Unmännlichkeit. Und verteidigt er gar seine Keuschheit, ist er kein Mann,
sondern ein Trottel. Bei der Frau ist zwar die moralische Begründung weggefallen, aber bei
aller Promiskuität bewirtschaftet sie den Zugang zu ihrem Körper nach wie vor als knappes
Gut. Sonst kann sie ihn nicht als Privileg vergeben. Würde sie ihn jedem anbieten, wäre ihre
Sexualität nichts mehr wert. Das aber hieße, sie würde auf die Anerkennung als Person
verzichten und sich in der Sexualität als Ding behandeln lassen.
Beim Sex wird nämlich die Dinghaftigkeit des Körpers unübersehbar. Man gebraucht den
Körper des anderen, um ihn zu genießen. Aber nur, weil der andere das erlaubt, ist er,
obwohl er als Ding behandelt wird, in der Sexualität doch als Person gemeint. Dies wird
dann als Paradox erlebt: man spürt den Körper des anderen und erlebt ihn gerade darin als
Person. Denn es ist die Person allein, die einem die Zugangsberechtigung zu ihrem Körper
einräumt. Und nur eine Person kann handeln. Die Exklusivität sorgt dafür, daß dieser Bezug
auf die Person deutlich gemacht wird. Und so ist die Exklusivität also das Mittel, mit dem
die Sexualität in die kulturelle Ordnung integriert wird.
Darum bedarf es im Verhältnis von Mann und Frau einer grundsätzlichen Asymmetrie. Sie
begründet die für Frauen so schwer verständliche Leichtfertigkeit der Männer in puncto
Treue. Nach einem Seitensprung erklären die meisten der Ertappten, der Ausrutscher »bedeute
gar nichts«. Sie liebten ihre Ehegefährtinnen weiterhin tief, innig und aufrichtig. Die ganze
Sache habe mit ihnen gar nichts zu tun. Und sie erwarten, daß ihnen das geglaubt wird. Die
Frauen aber halten diese Erklärungen für den Gipfel der Heuchelei. Und sie wundern sich
über die Dreistigkeit, mit der sie vorgebracht werden. Sie übersetzen das männliche
Verhalten nämlich in ihren eigenen Treuecode, und da hat die Erlaubnis, das Grundstück
ihrer Intimzone zu betreten, eine erhebliche Bedeutung.
Für den Mann dagegen bedeutet die Preisgabe seiner Intimregionen sehr wenig. Geht er
fremd, bleibt sein Körper unbetroffen. Die symbolisch bedeutsame Handlung vollzieht sich
anderswo. Männer sind also ehrlich, wenn sie behaupten, es habe nichts zu bedeuten. Für sie
ist Promiskuität eine Bestätigung ihrer Männlichkeit. Sie haben nicht das Gefühl, ihre Frauen
oder Geliebten zu berauben. Es ist ja nicht ihr Körper, der erobert wird. Vielmehr erobert er
selbst. Und der Mann braucht hin und wieder dieses Invasionsgefühl. Das Empfinden, daß
ihm ein Privileg zuerkannt wird. Seine eigene Gattin hat das symbolische Kapital der
Exklusivität längst ausgegeben. Ihr Portemonnaie ist leer. Sie muß Verständnis dafür haben,
daß er eine kleine Erfrischung braucht. Natürlich liebt er sie weiterhin. Das versteht sich ja
von selbst. Aber so eine kleine, winzige Prise Testosteron wird ja noch erlaubt sein.
Sie aber glaubt, er begehre sie nicht mehr. Sie rechnet sich die Unattraktivität als
Eigenschaft zu. Sie bezieht das auf ihr Aussehen, auf die zu breiten Hüften, den schlaffen
Bauch und die hängenden Brüste. Und damit rennt sie in die Falle des Irrtums. Mit ihrem
Aussehen hat das alles nichts zu tun. Sie könnte sich die Diäten und Kuren und
Abmagerungstorturen, all die Fitness- und Muskelaufbauprogramme sparen. Die Vorstellung,
daß Männer sich vor Fettmassen ekeln, ist eine weibliche Zwangsidee: sie selbst ekeln sich
wahrscheinlich davor. Männer dagegen lieben alles Schwabbelige. Schließlich ist es ein
Geschlechtsmerkmal.
Die Erklärung für die Affairen der Männer findet man nicht im Aussehen der Frauen, sondern
in einem dramaturgischen Muster: Ein Mann wird durch den sexuellen Kontakt mit einer Frau
nicht befleckt und besudelt. Auf seinem Körper bleibt keine Spur zurück. Und er
verschleudert auch nichts, was eigentlich seiner Frau gehört. Wo diese Schätze herkommen,
so denkt er, ist noch mehr. Das ist wahrhaftig kein knappes Gut. Das Ovum einer Frau ist
vergleichsweise selten. Die Spermatozoen des Mannes zählen in die Millionen. Was macht es
da aus, wenn er von dem Reichtum etwas verschenkt? Die gute Luise, soll man ihr nicht
auch etwas gönnen? Er ist ein Samariter, ein Schenkender und Wohltäter. Und er erwartet
von seiner Frau, daß sie das auch so sieht.
In der Symbolik des erotischen Szenarios ist der Körper der Frau dramatisch so viel
bedeutender, daß der Zugang zu ihm sehr viel mehr zählt als der zum Körper des Mannes.
Und deshalb geht er leichter und mit gutem Gewissen fremd.
Enthemmte Verklemmte
Die Überblendung der mechanischen und symbolischen Ordnung in der Sexualität kann im
Einzelfall mißlingen. Dann kommt es bei dem Betreffenden zur Spaltung des Frauenbildes in
die Heilige und die Hure. Als kontrastierende Bilder sind sie aufeinander angewiesen: Um die
Sexualität sozial zu integrieren, wurde die Frau zur Madonna erhöht und ihr Leib durch
Schönheit heiliggesprochen. So wurde das Gewalttätige an der Sexualität für die Zivilisation
erträglich gemacht. Aber es beschwor auch die beständige Gefahr herauf, Sexualität nur als
Schändung zu erleben. Hieraus sind zwei pathologische männliche Typen erwachsen: der
Verklemmte und der Vergewaltiger
Beim Verklemmten lösen die Phantasien einer hemmungslosen Inbesitznahme intensive
Schuldgefühle aus. Um seine Visionen wüster Schändungen ins Unterbewußtsein abzudrängen,
würgt er in sich die Vorstellungen edelster Unberührbarkeit und platonischer Reinheit hervor.
Die Kulturgeschichte kennt alle diese Gestalten der Prüderie und der Sexualverdrängung: den
asexuellen Engel im Hause der Viktorianer, die Madonna, die schmerzensvolle Heilige, die
engelsgleiche Kindfrau, die Tugend in Not usw. In diesen Figuren stilisiert der Verklemmte
seine Angebetete, und wenn sie, ungeduldig, ihm das Bein reicht, damit er das Strumpfband
löse, hält er ihr Vorträge über Moral. Dieser Typ hat Angst vor ihrer Sexualität.
Die Angst kann aber auch weniger den Schuldgefühlen als der Vision der eigenen Impotenz
entspringen. Allerdings ist das Ergebnis das gleiche: Impotenz infolge Verklemmtheit. In der
Phantasie sieht sich der Verklemmte vielleicht als Mitglied einer Kosakenhorde, die ganze
Dörfer vergewaltigt. Aber eben, um diese Phantasie zu unterdrücken, erhebt sich das
Schuldgefühl und sorgt für Impotenz.
Auch dem Vergewaltiger mißlingt die Integration von dinglicher und symbolischer Ordnung in
der Sexualität. Aber im Gegensatz zum Verklemmten macht er die Frau für seine Ängste
verantwortlich. Er haßt sie dafür, daß sie ihn sexuell erregt, Schuldgefühle auslöst und ihn
auf das Niveau eines Tieres herabzieht. Deshalb fühlen sich Vergewaltiger und Frauenmörder
häufig als Auftragstäter im Dienste der Moral, ausgesandt, die Frauen für ihre Sexualität zu
bestrafen. Auch diese Einstellung, die sich mit Formen des Irrsinns deckt, hat geschichtliche
Folgen. Ganze Zerstörungsorgien wie die Hexenverfolgung wurden von derartigen Haltungen
mit motiviert.
Wer die Zeichen des Moralapostels sieht oder etwas von der Überspanntheit des
Vergewaltigers spürt, sollte sofort die Flucht ergreifen. Man hat gar nicht genug Finger, um
sie von solchen Typen zu lassen. Ihnen ist die Integration der Sexualität in ihr Leben
mißlungen. Sie vernichten die Person, indem sie den Körper verletzen. An ihnen ist die
Zivilisation gescheitert. Und von grundsätzlich Gestörten sollte man sich fernhalten. Sie sind
etwas für den Therapeuten. Es ist gefährlich, sich selbst für eine Therapeutin zu halten. Oder
den Gestörten durch Liebe erlösen zu wollen. Das kann so lebensgefährlich werden wie in
jenem berühmtesten aller Limericks:
There was a young Lady from Riga
Who smiled when she rode an a tiger.
They came back from the ride
With the Lady inside
And a smile - on the face of the tiger.
Die voyeuristische Erotik des Mannes
Sexualität ist also etwas grundsätzlich anderes für den Mann als für die Frau. Zwar singen
sie, wenn es klappt, ein Duett, aber die Stimmen sind grundverschieden. Und dieser
Unterschied wird durch die selbstverständliche, aber unvertraute Überlegung veranschaulicht,
daß Männer es nur mit Frauen und Frauen es nur mit Männern zu tun haben.
Die Folklore der Welt ist tief gesättigt mit den Erfahrungen der Generationen. Jedes Kind
kennt inzwischen die unterschiedlichen Erregungskurven: dramatischer Anlauf, schneller
Höhenrausch und plötzlicher Absturz beim Mann, längere Vorbereitung und längerer
Höhenkamm sowie langes Ausschwingen bei der Frau. Die Künste des Liebhabers sind also
die Künste der Verlängerung. Es zählt das Hinausschieben der Hauptspeise durch amuse-
gueules, Aperitifs und Vorspeisen und köstliche Zwischenmahlzeiten. Alles das ist so bekannt
wie die post-koitale Traurigkeit des Mannes.
Weniger verbreitet dürften die Erkenntnisse hinsichtlich der unterschiedlichen
Körperbefindlichkeit der Geschlechter sein. Wir haben gesagt, wir haben einen Körper und
wir sind dieser Körper. Das eine bezeichnet eine eher instrumentelle Einstellung zum Körper.
Und sie kennzeichnet den Mann. Dazu gehört, daß er den Körper als äußerlich erlebt. Er
ignoriert seine Innenzustände. Er verbeißt sich den Schmerz. Er übersieht die hinderlichen
Gebresten, solange es geht. Statt dessen versucht er, seinen Körper zu kontrollieren. Für ihn
ist der Körper ein Ding unter Dingen. Das bindet den Mann auch stärker an die Kindheit
zurück, in der ihm sein eigener Körper als fremdes Objekt gegenübertrat. Er mußte erst
lernen, ihn zu beherrschen und ihn sich auf diese Weise anzueignen. Diese Beherrschung
entspricht der Beherrschung des Raums. Im selben Maße, in dem Körper mobil wurden,
wurde auch der Raum erobert.
Das rüstete den Urhordenmann mit der Befähigung zur Jagd aus. In der Jagd mußte er sich
auf das Beutetier konzentrieren. Dabei hatte er die Distanz abzuschätzen, sich selbst mit
Bezug auf die Beute überlegt im Raum zu bewegen und alles Störende auszublenden. Der
Mann wurde so zu einem Intensivbeobachter. Und sofern die Frauen seine Beute wurden,
wurde er ein Voyeur und ein Pornograph. Die Sexualität des Mannes ist tendentiell
pornographisch. Die Besichtigung des ungeschützten Beuteobjekts erregt seine Begierde. Die
Augen ermöglichen die Antizipation des Vollzugs. Die Phantasie eilt in der visuellen
Erfassung voraus, und dazu braucht man Distanz. Für die Frauen, deren Sensibilität hier
anders ist, ist das gleichbedeutend mit dem Vollzug der Verdinglichung. Zahlreich sind die
feministischen Bücher über den »männlichen Blick« als phallokratische Herrschaftsgeste: Er
unterwerfe die Frauen, distanziere sie und erniedrige sie zum erotischen Präparat.
Das Körpergefühl der Frau
Im Gegensatz dazu ist das Körpergefühl der Frauen weniger instrumentell. Sie erleben den
Körper nicht nur von außen, sondern von innen und außen. Das heißt, sie sind eher im
Körper, als daß sie ihn haben. Sie sind stärker mit ihrem Körper identisch. Daraus ist die
Vorstellung von der »Rätselhaftigkeit« der Frau hervorgegangen. Da für Männer die Erfahrung
eines weiblichen Körpers jenseits des Artikulierbaren zu sein schien, wurde sie mystifiziert.
Im rätselhaften Gesicht der Mona Lisa spiegelte sich auch die Unzugänglichkeit des
weiblichen Körpergefühls. Dazu gehören auch die femininen Vorgänge im Inneren des Leibes,
die dem Manne rätselhaft bleiben: der Eisprung, die Periode, die Schwangerschaft und das
Stillen, das er mit Staunen sieht. Das alles züchtete im Laufe der Evolution auf seiten der
Frauen eine größere Befähigung zur Selbstwahrnehmung. So wird auch die weibliche Erotik
stärker am eigenen Körper erlebt als am anderen. Das Terrain der sexuellen Begegnung ist
für beide der Körper der Frau.
Anders als der instrumentalisierte Körper des Mannes ist er eher allseitig aufnahmefähig. Die
erogenen Zonen sind überall verteilt und nicht, wie beim Mann, hochkonzentriert. Sie ist auf
Nahwahrnehmung spezialisiert. Das heißt: die Haut, der Körper, die Temperatur, das Ohr -
alles ist an der Wahrnehmung beteiligt. Vielleicht hat das einmal der automatischen Kontrolle
einer krabbelnden Brut in einem dunklen Nest gedient. Auf jeden Fall stehen sich Mann und
Frau in der Erotik mit verschiedenen Sinneswahrnehmungen gegenüber: mit dem
pornographischen Blick der Mann und der ganzheitlichen Berührungssensibilität die Frau, die
auf Nähe, Hautkontakt und allgemeine Schmuserei spezialisiert ist.
Dem entspricht die Rollenverteilung im Drama der Werbung und der Selbstdarstellung: Dabei
bietet sich die Frau dem Blick des Mannes dar. Sie sieht sich als gesehen. Zum Ersatz des
männlichen Blickes wird der Spiegel. Mit ihm unterhält sie ein intimes Verhältnis ab ihrer
Pubertät. Das verwandelt einen Teil der weiblichen Erotik in Selbstgenuß. Sie wird zur
Autoerotik. Über den Umweg der Identifikation mit dem Mann genießt die Frau seinen Genuß
an sich selbst. Entsprechend wirken entblößte Frauen zuweilen auf Frauen erregender als
nackte Männer. Auch hier bleibt die Frau bei sich und genießt sich als in sich ruhenden
Körper.
Anders der Mann. Er empfindet sich als Wirkung im Körper der Frauen. Er geht aus sich
heraus und spürt sich dann erst über seine Außenwirkung. Ihn erregt die Erregung, die er
verursacht. Seine Erotik findet Erfüllung in der Erfahrung des Unterschieds. Die
Andersartigkeit dieses Körpers bringt ihn in Wallung. Deshalb ist gerade die Weichheit des
weiblichen Körpers so aufregend.
Das instrumentelle Verhältnis des Mannes zu seinem Körper konzentriert sich besonders auf
den Phallus. Er wirkt in seiner Exterritorialität selbst wie ein Werkzeug. Und so wird er auf
englisch auch genannt: tool. Als solches fordert er den Vergleich mit den Werkzeugen der
Rivalen heraus. Und dieser Vergleich nach Maßen und Umfang verewigt den Wettbewerb und
mit ihm die Unsicherheit des Mannes.
So ist gerade das Organ, das den Mann zum Mann macht, auch die Quelle seines dauernden
Selbstzweifels. Sein Verhältnis zu ihm ist widersprüchlich. Gerade weil er ihn nicht
kontrollieren kann, sagt der Phallus über ihn die Wahrheit. Obwohl er nicht für ihn
verantwortlich ist, fühlt er sich von ihm beschämt. Versagt der Phallus den Dienst, fühlt er
sich selbst als Versager. Und ist der Mann auch noch so potent, die Frau hat es in der Hand,
dieses Gefühl des Versagens auch bei ihm nach Belieben hervorzurufen: Sie braucht nur ihre
Forderungen über seine Kapazitätsgrenzen hinauszutreiben, und schon fühlt er sich beschämt.
Das Urteil über den Mann spricht so der Körper der Frau. In ihm liegt das Geheimnis, das
über sein Selbstbewußtsein entscheidet. Hier sucht er nach dem heiligen Gral. Der Körper der
Frau ist deshalb der Gegenstand, an dem männliche Neugier und aller männlicher
Forscherdrang seinen Ausgang nehmen. Das bringt einen eigenen Typus hervor, den wir nun
in der Porträtgalerie besichtigen.
Neunter Abstecher in die Porträtgalerie der Männertypen: Der Forscher
Der Forscher ist ein Triebtäter. Ihn treibt sein Drang, über die Grenzen in unwegsames
Gelände vorzustoßen und neue Kontinente zu entdecken. Er ist der Forschungsreisende, den es
zu neuen Ufern zieht. Er wird von allem Unbekannten gefesselt. Er will entdecken und
enthüllen. Ihn reizt das Verborgene. Und weil dieser Reiz zuerst den pubertierenden Knaben
heimsucht, dessen Entdeckungsdrang sich auf den weiblichen Körper richtet, wird der
Forscher im Alter zwischen zwölf und sechzehn Jahren geprägt. Um sich von ihm ein Bild zu
machen, muß frau sich etwas ganz und gar Drangvolles vorstellen. Denn von sich aus haben
Frauen von der schrillen Intensität dieser Neugier keinen Begriff. Sie kennen nicht diesen
gierigen Voyeurismus einer knäbischen Phantasie, die immer wieder neue Nahrung aus dem
Verborgenen zieht. Woher auch? Sie sind ja selbst Objekte dieser Enthüllungssucht. Und
überhaupt mag es schwerfallen, sich den genialen Forscher als pubertierenden Knaben zu
denken. Aber nicht erst Freud war der Meinung, aller wissenschaftlicher Forscherdrang
beginne mit sexueller Neugier. Schon lange vorher gebrauchte man in beiden
Zusammenhängen dieselben Begriffe. Und bis heute spricht man von »Enthüllungen« und
»Entschleierungen«, von der »nackten Wahrheit« und von »Aufklärung«, von »Erforschung«
und »Entdeckung«.
Für diese Neugier gibt es bei Frauen keine Entsprechung. Für sie ist der männliche Körper
nicht besonders rätselhaft. Seine Formen sind weitgehend überraschungsarm. Und seine
Oberflächenbeschaffenheit ist fast überall gleich. Der Mann besteht aus einem rechteckigen
Kasten mit Beinen, Armen und Kopf. Es gibt keine interessanten Schwellungen des Geländes.
Keine Täler und Hügel, keinen Wechsel der Oberflächenbeschaffenheit, keine kunstvollen
Übergänge und lieblichen Aussichten. Es fehlt jede Reliefierung, die bewirkt, daß der
weibliche Körper aus jeder Perspektive wieder anders aussieht. Seine Oberfläche läßt keine
Geheimnisse zu: sie besteht nur aus einem flachen, verkarsteten Boden von öder Monotonie;
einer struppigen Steppe, bewachsen mit schütterem Trockengras, ohne Sehenswürdigkeiten.
Die einzige Ausnahme ist jene bekannte monströse Wucherung, die in offener Schamlosigkeit
aus dem Gehölz ragt, von eigenartiger Färbung, von unklarer Konsistenz im schlaffen Zustand
und von starrer Monumentalität wie ein Kriegerdenkmal aus der Megalith-Zeit, wenn
erigiert. Beim männlichen Körper liegt alles offen da.
Aber wie anders ergeht es dem pubertierenden Knaben, dem künftigen Forscher: Unstillbar ist
für ihn der Reiz, der vom weiblichen Körper ausgeht. Seine Ausbuchtungen und Rundungen
drücken sich so unter der Kleidung ab, daß sie die ständige Erinnerung daran wachhalten,
daß sie verhüllt sind. Sie bilden einen Dauerauftrag für die Forschung. Das Leben unter der
Oberfläche stimuliert mit jeder Bewegung die Neugier. Jede Verschiebung weckt das
Verlangen, unter die Kleider zu schauen. Aus dem Rauschen im Kopf des Knaben steigen
Visionen von süßen Zauberlandschaften auf. Es plagt ihn die Sehnsucht des Wanderers. Allzu
gern möchte er wissen, wie diese interessanten Reliefs wirklich aussehen. Da sind zum
Beispiel die Brüste: ein Doppelgebirge von so merkwürdig weicher Beschaffenheit, daß sie ein
einziges Rätsel darstellen. An sich selbst findet er nichts, was ihnen im entferntesten gleicht.
Ihr Zustand scheint ein einziges Paradox. Einerseits weich wie Pudding, andererseits aber
durchaus formfest wie Götterspeise, die auch nach erheblichen Erschütterungen in ihren
Ursprungszustand zurückkehrt. Ihre Form scheint dabei durch die Gravitation bestimmt. Und
wie ein Flügel ein Abbild der Aerodynamik ist, ist eine Brust ein Abbild der Schwerkraft.
Fast unwiderstehlich ist es, ihr Gewicht zu prüfen.
Und dann die Plazierung der Brustwarzen! Im Vergleich zu seinen eigenen, welch luxuriöse
Expansivität! Wie eine Krone gegenüber einem Hosenknopf. Das alles ahnt der künftige
Forscher mehr, als er es weiß. Er sieht nur den geheimnisvollen Mittelgraben im Ansatz des
Dekolletés. Diese in Eierschnee geschnittene Spalte, die zwei glatte, rosige Globen teilt wie
die zwei Kugelhälften im platonischen Mythos vom perfekten Menschen. Zwei aneinander
geschmiegte Zwillinge, die, so schließt er mit wachsender Kühnheit, selbst wieder den
Halbkugeln des Pos gleichen! Sein Hirn beginnt bei dieser Vision zu kochen: Als ob der liebe
Gott mit dem aufrechten Gang den Po auch nach vorne geholt hätte! Und die Dublette der
Halbkugel gedoubelt! Eine Harmonie aus Entsprechungen und Komplementärrundungen. Eine
Komposition aus Schwellungen und Bögen und Kurven. Alle Grenzen verschwinden dabei in
Falten. Und die laufen auf die Mutter aller Geheimnisse zu: den Ort des heiligen Grals, den
Schrein mit dem Heiligtum, das Arkanum par excellence, die Abwesenheit einer versteckten
Anwesenheit, ein unbekanntes Wesen, von dem es noch nicht einmal Abbildungen gibt und
von dem niemand jemals erzählt. Von ihm gehen gleichermaßen süße Versprechungen und
furchteinflößende Schrecken aus. Es ist wie das Monster von Loch Ness. Er ist überzeugt,
daß es da ist, aber er hat es noch nie gesehen. Seine Erkundung wurde ein lebenslanges
Projekt. Es hat ihn zum Forscher gemacht. Die ungelöste Spannung zwischen Neugier und
endlosem Aufschub der Forschung hat ihn geprägt. Er kann nicht mehr ohne sie leben. Er ist
ein Süchtiger geworden, ein Besessener. Er nimmt jetzt jede Frist in Kauf. Vierzig Jahre lang
ist Moses durch die trockene Wüste gezogen. Und erst dann ließ ihn der Herr das Land
sehen, wo Milch und Honig floß. Solange der Forscher sein eigenes Gelobtes Land nicht
erkundet hat, wird er von der Unruhe des Entdeckers getrieben. Er giert geradezu nach
Wissen. Nach dem Wissen, das ihn zum Mann macht.
Das hat eine merkwürdige Konsequenz, auf die Frauen von allein niemals verfallen würden.
Weil sie ihren Körper ja schon kennen - besser als je ein Mann ihn kennen wird -,
werden sie unbewußt für intelligent gehalten. Sie verfügen ja über ein Wissen, das das jedes
Philosophen in den Schatten stellt. Das gilt selbst für die schlichteste Frau. Das erklärt
etwas, dem Frauen normalerweise mit fassungslosem Unverständnis gegenüberstehen -
warum intelligente Männer sich manchmal mit strohdummmen (anders begabten) Frauen
verbinden. Ja, warum sie es manchmal sogar darauf anlegen, diesen Kontrast zu
akzentuieren, indem sie Sexbomben eher untrainierten Geistes den Vorzug geben. So wie
Arthur Miller, als er Marilyn Monroe heiratete.
Die Antwort ist: Für sie ist Sex bei Frauen das gleiche wie ein Wissensvorsprung. Der Besitz
eines Busens entspricht einer Diplomprüfung in Philosophie. Er enthält ebenso viele
Geheimnisse wie Kants Theorie vom Ding an sich. Je drastischer und reiner der Sex zur
Geltung kommt, desto deutlicher diese Äquivalenz. Eine Frau, die selbst schlau ist, bringt
diese Gleichsetzung durcheinander. Die durch keine Intelligenz getrübte Sexness bringt viel
drastischer zur Geltung, daß eine Frau im Besitz von Geheimnissen ist, die jeden Philosophen
vor Neid erblassen lassen. Daß sie über Wissensschätze verfügt, an die Theorie nicht
heranreicht. Daß sie um in der Philosophie Kants zu bleiben - über A-priori-Kenntnisse
verfügt, die weder Begriff noch Anschauung einholen können. Wenn sie auch seine Erkenntnis
bestätigen mögen, daß Anschauung ohne Begriffe zwar blind sein mag, ein Begriff ohne
Anschauung aber leer ist.
Diese Neugier des Forschers macht es den Frauen leicht, seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Hat er seine Enthüllungssucht schon auf die Wissenschaft übertragen, wird er durch die Frau
auf das ursprüngliche Objekt seiner sexuellen Neugier zurückgelenkt. Vor allem dann, wenn
die Forschung mit dem Bruch von Tabus verbunden ist. Schließlich waren für den
pubertierenden Knaben die Zonen hinter der sexuellen Bannmeile nicht nur unbekannt,
sondern auch mit Verboten umstellt. Die Grenze zu überschreiten war gefährlich. Vor der
entscheidenden Stelle stand eine Aufschrift wie früher auf den alten Landkarten an den
Säulen des Herkules bei Gibraltar: Ne plus ultra - hier geht's nicht weiter! Und auch die
zentrale Gründungslegende der Forschung in unserer Kultur bringt sexuelle Neugier,
Wissensdurst und Tabus zusammen: der Sündenfall. So wurde dem Wissensdrang von seinem
sexuellen Hintergrund der Beigeschmack des Verbotenen aufgeprägt, und der Archetyp des
Forschers, Dr. Faustus, macht zuerst erotische Entdeckungen.
Natürlich hat die Spannung mit der sexuellen Revolution nachgelassen. Seitdem die Sexualität
nicht mehr so radikal von Verboten und Tabus umstellt ist, seitdem die Schamschwellen
rapide nach unten gesackt sind und das Gefälle von männlicher Exploration und weiblicher
Zurückhaltung eingeebnet wurde, ist auch der Forscherdrang nicht mehr in solche Höhen
getrieben worden. Aber die Popularität der Enthüllungsmedien und der Pornographie zeigt ja,
daß die voyeuristische Neugier nach wie vor unersättlich ist: und daß sie noch nach wie vor
männlich ist. Konnte vor hundert Jahren noch eine nackte Wade das Blut in den Kopf
treiben, braucht man dazu heute krassere Einblicke. Aber auch die Wade war damals schon
nur eine Station auf einer Strecke, die zum gleichen Ziel führte.
Nach Freud wird die ganze Rätselhaftigkeit der Frau für den Knaben in der Verborgenheit
des weiblichen Sexualorgans zur Anschauung gebracht. Was für die Frauen normal ist, ist für
ihn ein Wunder, über das er schwer hinwegkommt: daß da, wo bei ihm jenes fast
unabhängige, demonstrative, selbständige Wesen hervortritt, ein Nichts ist. Der automatische
Vergleich mit dem Phallus macht aus dem weiblichen Schambereich eine aufdringliche
Abwesenheit. Und schon fragt sich der zukünftige Wissenschaftler: Es muß doch statt dessen
etwas da sein!? Aber eben das liegt im Verborgenen. Eine dunkle Erdspalte, ein versteckter
Grabenbruch, ein unheimlicher Eingang ins Innere.
Die besessene Beschäftigung mit dieser Mutter aller Geheimnisse hat sich in der kulturellen
Symbolik niedergeschlagen, mit der die Forschungsideale bezeichnet wurden: zuallererst der
heilige Gral, auf den die Artusritter so scharf waren. Hier liegt der Bezug zum Füllhorn, aus
dem sich der Reichtum der Welt ergießt. Es ist der Ursprung der Welt, aus dem auch die
Männer einst hervorgegangen sind, um dann ihre Herkunft aus allem Weiblichen durch die
künstliche Abgrenzung zu leugnen. Nur in der Verkleidung als Forscher ist es ihnen möglich,
sich diesem Ursprung wieder zuzuwenden, ohne in eine ödipale Krise zu verfallen. Als der
Philosoph Martin Heidegger seiner Geliebten Hannah Arendt schrieb, taucht im Postskriptum
immer wieder die merkwürdige Formel auf. »Ich freue mich auf Deine Mutter.« Die
Herausgeberin der Briefe glaubte, es handle sich um Hannahs wirkliche Mutter. Wohl kaum!
Warum sollte Heidegger sich auf sie freuen? Er benutzte einen Code und fand eine
Umschreibung für das, was er wirklich suchte: den Sinn des Seins, dem es in seinem Sein
um dieses Sein selbst geht. Es war die Mutter aller Geheimnisse.
Hier, in dieser konzentrierten Andersartigkeit, liegt nicht nur für den pubertierenden
Hysteriker der Ursprung aller Daseinsrätsel. Schon die Scheu, diesen Ort zu benennen, zeugt
von der dämonischen oder göttlichen Qualität. Der Phallus ist von seiner dramatischen
Wirkung her ein Komödiant, ein Kobold und Jack in the Box. Er gehört in die Komödie,
zusammen mit all den anderen Angebern, Prahlhänsen und Großsprechern. Der Phallus ist wie
sie: mal unglaublich aufgeblasen und dann wieder auf der Flucht. Eben ein Komiker! Kein
Wunder, daß von den Phallusfiguren der Griechen unsere Gartenzwerge abstammen: die
Leuchtfeuer des Penis sind zu roten Zipfelmützen geworden. Dagegen ist der dunkle Schlund
der Vagina eine rätselhafte Abwesenheit. Sie entzieht sich selbst der Darstellung. Wie von
Gott darf man sich von ihr kein Bild machen. Man kann sie sich nur als Hintergrund eines
Mysterienkults vorstellen, als Symbol eines der Erde geweihten Ritus von unklarer Bedeutung,
die nie versiegende Quelle einer gefährlichen Neugier. Selbst der Teufel, heißt es, sei beim
Anblick eines weiblichen Geschlechtsteils zutiefst erschrocken. Das weibliche Sexualorgan
gehört nicht auf das Theater der Repräsentation, sondern in den Mythos.
Es ist ein ursprüngliches Paradox: die Beobachtung eines Geheimnisses bringt es zum
Verschwinden. Ein Geheimnis ist als Geheimnis nicht beobachtbar. Es zeigt sich nur in der
Ahnung, in dem Versprechen der unmittelbar bevorstehenden Enthüllung. Der Sex-Appeal
wird deshalb immer als Striptease, als Übergang zwischen Enthüllung und Verhüllung
dramatisiert. Und genau dies ist auch die Dralnaturgie der Wissenschaft: sie wirkt durch
Sex-Appeal. Umgekehrt findet sich in der Liebe auch die Verhaltensweise des
Wissenschaftlers. Don Juan etwa ist ein typischer Sammler. Er möchte ein enzyklopädisches
Wissen über die Frauen gewinnen. Er sammelt von jeder Art ein Exemplar. Er beschafft sich
einen Überblick. Er hat den Wahn der Vollständigkeit. Er möchte die ganze Gattung
inventarisieren. Und seine wissenschaftliche Hilfskraft Leporello führt die Liste.
Von anderer Art wiederum ist der Psychologe. Ihn interessiert, wie sich die Weiblichkeit in
der Psyche ausdrückt. Er erforscht die Erotik des Seelischen. Er dringt in die Geheimnisse der
weiblichen Erlebnisverarbeitung ein. Diese Exploration ist für ihn eine Penetration, eine Fahrt
ins Innere eines Dschungels. Hier läßt er sich von einem Schattenreich gefangennehmen,
dessen Faszination für ihn niemals abnimmt. Das läuft auf ein merkwürdiges Paradox hinaus:
Der Psychologe überquert die Abgrenzung gegenüber der Frau, die ihn zum Mann macht. Er
spielt also mit seiner männlichen Identität, indem er ihre Grenzen überschreitet. Darin gleicht
er wieder den wirklichen Forschungsreisenden, die in der Wildnis sich selber finden wollen.
Auch sie sprechen stets von der Erfahrung der Grenzüberschreitung. Und so gleicht die
Erkundung der weiblichen Psyche einer Forschungsreise zu den Grenzen zwischen Mann und
Frau. Da es für die männliche Neugier und ihre hysterische Inensität auf weiblicher Seite
keine Entsprechung gibt, muß jede Frau dieses ganze Explorationstheater befremdlich finden.
Sie selbst ist sich ja kein Geheimnis. Und den, der sie dazu macht, wird sie für reichlich
albern halten. Sie wird die Expeditionsvorbereitungen mit leisem Erstaunen beobachten und
die fachmännischen Erörterungen von Routen und das Brüten über Landkarten mit Spott
verfolgen. Sie weiß ja, daß die Männer eine Fahrt nach Utopia planen. Und da sie die
Gegend so gut kennt wie sich selbst, weiß sie auch, daß sie einer Fata Morgana folgen.
Einem Irrlicht, das sie selbst entzündet haben. Der Ursprung des Geheimnisses liegt in den
Männern.
Aber sie weiß auch, daß sie das ausnutzen kann. Sie kann sich selbst zum Irrlicht machen
und damit den Forscher im Manne wecken: Sie mimt die Geheimnisvolle. Sie verleiht ihrem
Wesen den Anstrich des Rätselhaften. Sie widerspricht sich selbst und lächelt dann
abgründig. Sie erscheint und entzieht sich. Sie redet in Andeutungen und Hinweisen. Und so
führt sie ihn an der Nase herum.
Hier gibt es zwei gegensätzliche Varianten: Es gibt Frauen, die die Rolle der Rätselhaften
gern spielen. Sie inszenieren sich dann als Femme fatale, als Vamp oder als gefährliche
Medusa. Sie genießen es, sich ständig entziehen zu können. Hier kann dann der ewige Flirt
oder die Frigide oder die Prüde oder Kokette ihre Rolle finden, die ihr gestattet, sich nicht
ausliefern zu müssen. Im entscheidenden Moment kann sie immer verschwinden. Auch die
Sadistin, die es liebt, ihrem Verehrer Tantalusqualen zu bereiten, kann sich hier als Teaser
betätigen. Und durch die Inszenierung des Geheimnisvollen kann sie ihre Macht über die
Männer ausüben. All diese Figuren kontrollieren die Männer, um sich an ihrer Hilflosigkeit zu
weiden.
Ganz entgegengesetzt empfinden diejenigen, die diese Dramen nur aus Notwendigkeit
mitmachen, um den Männern zu bieten, was diese erwarten. Sie finden die Inszenierungen
eher lächerlich und hegen eine gewisse Verachtung für die Männer, die da Geheimnisse sehen
wollen, wo keine sind: in ihnen selbst. Sie hassen es eher, daß sie sich als lebendige
Menschen nicht zur Geltung bringen können, weil sie durch mythische Bilder verdrängt
werden.
Der Hohn über die Inszenierungen wird noch dadurch gesteigert, daß es außerordentlich
leicht ist, rätselhaft zu erscheinen. Man braucht sich bloß völlig sinnlos aufzuführen. Das
wird schnell erreicht. Man widerspricht sich selbst, aber verweigert eine Erklärung. Auf die
Nachfragen antwortet man mit einem Blick, der bedeuten soll: »Wer die höhere Bedeutung
dieses Widerspruchs nicht erkennt, ist meiner nicht wert.« Dabei verschweigt man, daß es
diese höhere Bedeutung nicht gibt. Oder man verhält sich launisch und wankelmütig, überläßt
aber auch hier die Erklärung dem anderen. Das Prinzip ist immer das gleiche. Man verhält
sich grundlos widersprüchlich, gibt aber dem anderen die Schuld, daß er nichts versteht -
mit der Nebenbedeutung, daß es ihm an Sensibilität mangele.
Da Frauen sich auf der Hinterbühne über diese Tricks informieren, bilden sie eine virtuelle
Freimaurerloge gegenüber allen Männern. Darin verständigen sie sich über deren
Schlüsselreize und spotten über ihre Manipulierbarkeit: Der Schlüsselreiz des Forschers aber
sorgt dafür, daß er und die Frau sich nie treffen. Denn für ihn muß sie ein Geheimnis sein,
und ein Geheimnis verschwindet, wenn man es löst.

Maenner - Testosteronvergiftung

Die Phasen der männlichen Unzurechnungsfähigkeit
Die erste Phase ist die Pubertät, in der das Testosteron den männlichen Organismus
überflutet und das Hirn in ein Sexualorgan verwandelt. In dieser Zeit erreicht die Potenz in
einem einzigen Anlauf im Alter von sechzehn Jahren ihren höchsten Stand und macht jeden
Jugendlichen zu einem potentiellen Sexualstraftäter. Und jeder Lehrer weiß davon zu
berichten, daß in diesem Alter die Denkfähigkeit sich bedingungslos den Freudschen
Assoziationsgesetzen unterwirft: Schon das Wort "Mitglied" löst ein geiles Gelächter aus. In
diesem Alter werden fast alle männlichen Jugendlichen zu Gesetzesbrechern. Das ist auch die
Zeit, in der sie zu Fußballfans werden und sich am stärksten dem annähern, was wir uns
unter einer Barbarenhorde vorstellen.
Dabei darf man nicht übersehen, daß diese Horden am stärksten auf ihre Mitglieder
einwirken. Fast jeder Mann hat sich einmal im Inneren einer solchen Horde befunden.
Spätestens hier erfolgt die Initiation der zarteren Gemüter unter den Knaben. Hier machen
sie ihre Grenzerfahrung. Jedes Mitglied wird hier zur Geisel der gesamtem Horde. Und eine
Frau, der eine solche Erfahrung in aller Regel erspart bleibt, kann sich keine zu schlimme
Vorstellung von der Roheit, der sadistischen Bösartigkeit und der Gefühllosigkeit eines solchen
Kollektivs machen.
Kneift jemand oder sucht er sich zu entziehen, werden die Anführer schon dafür sorgen, daß
er dafür mit um so größeren Qualen bezahlen muß. Das Drachenblut, das die spätere
Unverwundbarkeit und Härte verleiht, ist in der Regel das eigene. Wer diese Torturen
durchsteht, hat sich verwandelt. Er weiß, was er zu ertragen imstande ist, und wird es auch
von anderen erwarten.
Die Pubertät ist also für die männlichen Jugendlichen die Zeit der Gangbildung. Sie trennen
sich von den Mädchen und ziehen in Gruppen herum. Dabei gleichen sie manchmal den
Jungmännerhorden, die die griechischen Städte auf Argonautenfahrt schickten, um sie aus der
Stadt zu entfernen. Und vielleicht ist auch die Völkerwanderung von solchen Horden im
Zustand altersbedingter Asozialität ausgelöst worden.
Als zweite Phase kann heute eine Art Spätblüte der Pubertät, die sogenannte Adoleszenz,
gelten. In dieser Zeit wird dem Jugendlichen seine Identität zum Problem. Er sucht seine
Rolle in der Gesellschaft. Das betrifft auch die sexuelle Identität, da jetzt die Partnerprobleme
in den Mittelpunkt treten.
In dieser Zeit kann die Begegnung mit Frauen intensive Gefühle der Unsicherheit und der
Beschämung auslösen. Der Jungmann erlebt dann vor dem Hintergrund der Erwartung, daß er
cool auftreten muß, seine hektischen und linkischen Annäherungsversuche in der Wirklichkeit
als Horrordramen der Verelendung. Und das zerstört den größten Teil seiner
Zurechnungsfähigkeit. Die umworbenen Frauen mögen sich fragen, warum sich der Verehrer
so wahnsinnig anstellt. Doch die Antwort werden sie niemals finden, wenn ihnen nicht klar
wird: Seine ganze männliche Identität steht auf dem Spiel. Es geht um alles. Deshalb können
die Frauen die mannigfachsten Erscheinungsformen des männlichen Irrsinns studieren.
Normale Männer gehen aus dieser Krise gefestigt hervor. Aber es gibt die, denen das nicht
gelingt. Sie werden zu den düsteren Helden von Schauerromanen, in die sie ihre Partnerinnen
verwickeln. Die Liste der folgenden Fahndungsfotos ist unvollständig. Und ihre Qualität reicht
gerade, daß frau die Typen wiedererkennen und die Flucht ergreifen kann:
Männer, die das Gefühl haben, daß sie sich vor der belagerten Frau lächerlich gemacht
haben, und es ihr heimzahlen. Hier gibt es ein weites Spektrum von Sadisten, Grobianen und
Barbaren, die ihre Unsicherheit unter ständigen Ruppigkeiten verstecken. Sie sind nicht über
die Pubertät hinausgekommen.
Männer, in denen die ungewohnten Gefühlswallungen eine panikartige Verschmelzungsangst
und die Furcht auslösen, der so teuer erworbene Ich-Panzer könne sich auflösen. Sie
neigen zur emotionalen Ausbeutung, um sich selbst in Kontrolle zu fühlen.
Die Don Juans, die sich immer wieder das narzißtische Kitzelgefühl einer frischen Eroberung
und Verführung verschaffen müssen, um ihre Männlichkeit in der Beleuchtung weiblicher
Blicke auf der Bühne erstrahlen zu sehen. Für diesen Typus wird die letzte Eroberung zur
größten Feindin, weil sie ihn an der nächsten Eroberung hindert. Man kann ihn getrost als
Süchtigen bezeichnen, denn für ihn sind die Frauen ein Trank, der Durst macht.
Männer, in denen die alten Familiendramen aus ihrer Kindheit unter der Asche weiterglühen.
Bei diesem Typ sollte sich Frau die Familie unbedingt vorher anschauen. Hier hat er
Männlichkeit gelernt. Irgendeine von den Figuren wird er später spielen.
Die Söhne alleinerziehender Mütter, die nirgendwo Männlichkeit gelernt haben. Für sie gab es
in ihrer Familie keine Muster, keine Rollen und keine Vorbilder. Haben sie sie nicht
anderswo vorgefunden, haben sich ihre männlichen Affekte nicht in Form einer Identität
abgelagert. Statt dessen vagabundieren sie, wie man so sagt, frei flottierend herum. Sie
können den Betreffenden jederzeit überfluten. Sie rasten dann aus. Aus dieser Gruppe
stammen deshalb besonders viele Gewalttäter. Was nicht heißt, daß jeder Sohn einer
alleinerziehenden Mutter zum Gewalttäter werden muß.
Die dritte Phase der männlichen Unzurechnungsfähigkeit ist die sogenannte midlife crisis. Da
ein Mann sein Dasein meist als Heldenleben entwirft, wird die midlife crisis durch die
Erkenntnis ausgelöst, daß ihm zur Verwirklichung nur noch wenig Zukunft verbleibt. So wird
er von der männlichen Entsprechung zur Torschlußpanik erfaßt. Im Schlaf hört er das Ticken
der biologischen Uhr. Das versetzt ihn in eine gewaltige Unruhe. Er macht einen letzten,
verzweifelten Versuch, dem großartigen Image, das er sich als Wechsel auf die Zukunft
zugelegt hatte, wenigstens ein Minimum an Deckung zu verschaffen. Zum letzten Mal bäumt
sich der Macho auf und sprengt noch einmal alle Ketten. Das Ergebnis kann in einem
beruflichen Amoklauf oder, sehr viel häufiger, in einem Ausbruch aus privaten Bindungen
bestehen: Zahlreich sind die Geschichten über die Versuche ihrer Ehemänner, durch eine junge
Geliebte das Gefühl der Jugend wiederzugewinnen, die sich die Haus- und Karrierefrauen
an ihren abendlichen Herdfeuern erzählen. Sie wissen: Ihre Männer sind auf der Suche nach
ihrer letzten Prise Testosteron. Dazu mobilisieren sie ihre letzten Reserven für einen letzten,
verzweifelten Anlauf, bevor sie endgültig zusammenbrechen und sich mit dem Gefühl
geschlagen geben: der Mann, der sie hatten sein wollen, waren sie nie und werden sie nie
sein. Dann sind sie bereit zu sterben.
Der Mann als Hauptdarsteller
Erst wenn wir uns klargemacht haben, was es bedeutet, daß der Mann eine Art Entwurf,
eine Fiktion und ein Schauspieler seiner selbst ist, können wir die Folgen ganz ermessen.
Und diese Folgen sind gewaltig. Mit den wichtigsten wollen wir uns nun befassen.
Erstens: Der Mann ist grundsätzlich ein Hauptdarsteller. Natürlich ist auch die Frau eine
Schauspielerin. Aber sie ist es im strikt technischen Sinne: Sie täuscht sich nicht über ihre
Schwächen und Stärken hinweg. Deshalb versucht sie, die Schwächen zu kaschieren und sich
selbst möglichst nur im Lichte der Stärken zu zeigen. Das erreicht sie durch eine strikte
Trennung zwischen der Hinterbühne, auf der sie sich schminkt und kostümiert und generell
ihre Auftritte technisch vorbereitet, und der Vorderbühne, auf der sie in vollem Amtsornat
erscheint und die Huldigungen des Publikums entgegennimmt. Dem Publikum ist der Zutritt
zur Hinterbühne strengstens verboten. Dazu haben allein die engsten Vertrauten Zutritt,
meistens nur Freundinnen, die als Profi-Darstellerinnen und Kolleginnen mit ihr die
Kenntnisse aus der professionellen Trickkiste teilen. Dabei täuscht sich eine Frau selten
darüber hinweg, daß sie schauspielert.
Anders der Mann. Er will nicht eine vorgegebene Rolle gut spielen, sondern das Publikum
überzeugen, daß ihm die Heldenrolle gebührt. Sein Szenario ist nicht die Aufführung des
Stücks, sondern die Besetzungsprobe. Sein Vorbild ist Zettel im "Sommernachtstraum". Als
dieser hört, daß in diesem Stück ein Löwe vorkommt, brüllt er: "Let me play the lion, too!"
Deshalb lebt der Mann nicht in Distanz zu seiner Rolle, sondern seine Identität ist
theatralisiert. Sie ist ein Auftrag, den er noch zu erfüllen hat. Natürlich weiß der Mann, daß
seine Identität noch nicht seiner Rolle entspricht. Deshalb muß er sie zunächst vortäuschen.
Doch dieser Fiktion entspricht eine höhere Wahrheit. In der theatralischen Figur kommt zur
Erscheinung, was er seinem inneren Wesen nach eigentlich ist. Ist seine Vorstellung noch
unvollkommen, ist dieses Defizit lediglich ein Aufschub, ein Noch-Nicht. Das Theater, das
er macht, ist deshalb keine Lüge. Es ist ein Vor-Schein, ein stilisierter Ausdruck dessen,
was aufgrund von widrigen Bedingungen sich in voller Reinheit noch nicht entfalten kann.
Dabei ist das Theater selbst der Nachweis seiner eigenen Berechtigung. Dieser kreisförmige
Satz bildet die kreisförmige Begründung ab, mit der sich die männliche Theatralik selbst
legitimiert: Je gespreizter und lauter jemand auftritt, desto mehr Berechtigung hat er dazu.
Wer die Mitte der Bühne erobert, hat damit bewiesen, daß er ein Eroberer ist. Ihm gebührt
also die Mitte der Bühne. Und für den Mann ist jede Versammlung, die die Anzahl drei
erreicht hat, eine Bühne.
Das macht die Drei zur heiligen Zahl. Warum gerade drei? Der erste ist der Held, der zweite
der Gegner, der dritte das Publikum. Das war schon in der griechischen Tragödie so:
Protagonist, Antagonist und Chor. In der christlichen Religion wurde das die Dreifaltigkeit
von Gott, Satan und den Menschen als Beifall klatschenden oder buhenden Zuschauern. Auch
Gott ist typisch männlich. Er macht die Welt und lobt sich dann selbst: "Und siehe, sie war
sehr gut". Er erläßt Verbote und straft. Er will der einzige sein, den man verehrt: "Du sollst
keine anderen Helden haben neben mir!" Er ist äußerst eifersüchtig, und er beansprucht den
Mittelpunkt der Bühne und damit den ganzen Beifall.
So haben auch die Männer in ihrer Theatralik immer das Imponiergehabe der Götter
nachgemacht. Verfügten sie wie Jupiter über den Donner, sagt Shakespeare, so würden sie
nichts als donnern, von morgens bis abends donnern.
Der Mann und die Wahrheit
Männer haben deshalb ein ganz anderes Verhältnis zur Wahrheit und zur Lüge als Frauen.
Frauen halten die Aussage von jemandem für eine Lüge, der bewußt das Gegenteil von dem
behauptet, was gegenwärtig der Fall ist. Männer dagegen haben ein dynamisches Verhältnis
zur Wahrheit. Für sie ist bereits wahr, was zwar noch nicht eingetreten ist, aber in
unmittelbarer Reichweite liegt: der greifbare Erfolg, die todsichere Wette, der bombensichere
Profit. Sie wissen, es sind nur ein paar lächerliche Details, die dem endgültigen Durchbruch
im Wege stehen. Sie haben den Sieg praktisch schon in der Tasche. Im Grunde kann man
schon die Sektkorken knallen lassen. In der lebhaften Vorstellung des Erfolgs erleben sie die
tiefere Wahrheit, daß sie sind, was sie sein wollen: Helden.
Es wäre falsch, den dynamischen Wahrheitsbegrif als bloßes Mittel abzutun, mit dem man
sich selbst und andere täuschen kann. Das ist er natürlich auch, aber er ist noch mehr. Er
hat in vielen Fällen die Kraft, sich selbst zu erfüllen. Er versetzt den Mann in solchen
Schwung, daß er den Erfolg, den er vorwegnimmt, auch wirklich herbeiführt. Er steht in
einem engenVerhältnis zum positiven Denken.
Das Problem für die Frauen besteht dann darin, daß sie zwischen schlichter Hochstapelei und
einer sich selbst in Gang lügenden Erfolgsdynamik nicht unterscheiden können. Sind sie
skeptisch, müssen sie sich vorwerfen lassen, den nahen Sieg durch negatives Denken und
mangelnde Unterstützung verhindert zu haben. Sind sie vertrauensselig, landen sie nach dem
Platzen der Träume unsanft in der Enttäuschung.
Das Geheimnis dieses andersartigen Wahrheitsverhältnisses liegt im unterschiedlichen
Verhältnis der Geschlechter zur Zeit. Für die Frau ähnelt sie dem Ablauf eines
Waschmaschinenprogramms. Die Episoden liegen im vorhinein fest. Sie sind mit der
biologischen Uhr synchronisiert. Irgendwo befindet sich die zentrale Phase des
Kinderkriegens. Davor ist die Vorwäsche der Heirat oder der Partnersuche, danach wird
gespült, gepumpt und geschleudert.
Anders der Mann. Für ihn sind Zukunft und Vergangenheit nicht nur Streckenabschnitte, die
hinter oder vor ihm liegen. Natürlich sind sie das auch. Aber darüber hinaus sind sie
Druckausgleichsbehälter des Wünschbaren. Die Zukunft ist der Aufenthaltsort der
Wirklichkeiten, die gegenwärtig noch verhindert werden. Die Vergangenheit dagegen ist ein
Reservoir von Erzählungen, die im Dienste einer höheren Wahrheit die Geschehnisse
berichten, wie sie hätten sein sollen. Wird ein Mann ganz und gar vom dynamischen
Wahrheitsbegriff beherrscht, entsteht eine neue Figur. Um sie zu besichtigen, betreten wir
wieder die Porträtgalerie.
Dritter Abstecher in die Porträtgalerie der Männertypen: Der Scharlatan
Der Mann erlebt sich weitgehend über seine Außenwirkung. Er erfährt sich im Beifall der
Welt, im strahlenden Lachen der Frauen, im bewundernden Augenaufschlag der Verehrerin.
Oder in seiner Wirkung auf Männer: im Respekt, der ihm gezollt wird, der Achtung, die ihm
entgegengebracht wird, den Türen, die vor ihm aufspringen, den Fahrern, die vor ihm den
Autoschlag aufreißen, den Hüten, die vor ihm gezogen werden. Oder er läßt sich vertreten
von dem Werk, das er geschaffen hat: dem Gebäude, das er gebaut, der Firma, die er
gegründet, dem Stück, das er inszeniert, den Roman, den er geschrieben hat. Wie immer die
Form, sie ist stets ein Reflex der Außenwirkung.
Das begründet seine größte Schwäche, nämlich: Schwächen nicht zugeben zu können. Weder
sich selbst noch anderen gegenüber. Denn sie gegenüber anderen zugeben zu müssen hieße,
sie auch gegenüber sich selbst zuzugeben.
Das ist für frau schwer zu verstehen. Wenn sie leidet, dann weint sie. Wenn sie eine
Niederlage verarbeiten muß, dann ist sie ärgerlich oder niedergeschlagen. Wenn sie einen
Verlust hinnehmen muß, dann trauert sie. Wenn dem Mann das gleiche widerfährt, versucht
er, es zu ignorieren. Er überspielt es. Er läßt sich jedenfalls nichts anmerken. Und eine
richtige Niederlage, die erkennt er gar nicht an. Täte er das, würden seine Feinde
triumphieren. Und er selbst verlöre das Gesicht.
Das "Gesicht" ist die Miene des Siegers. Sie behält er immer als Maske auf. Niemals wird er
sie je absetzen. Und niemals wird eine Frau das wahre, schmerzzerfurchte Antlitz des
Mannes zu sehen bekommen. Auch seine Frau nicht. Denn dann würde sie ihn bemitleiden.
Und nichts haßt er so sehr wie Mitleid. Das degradiert ihn zu einer Frau oder einem Kind.
Und ebenso haßt er den Trost. Welch eine Unverschämtheit, ihn trösten zu wollen! Er ist ein
Sieger! Und Sieger werden beneidet und nicht getröstet!
Anders als die Frau ist der Mann gegenüber Niederlagen zunächst hilflos.
Er muß mühsam lernen, sie anzuerkennen. Hat er das erfolgreich und gründlich gelernt, ist es
ihm endlich gelungen, sich selbst und anderen gegenüber seine Schwächen zuzugeben, ist er
gegenüber allen anderen Männern im Vorteil. Er ist dann frei. Er kann bei allen seinen
Unternehmungen auch mit der Möglichkeit der Niederlage rechnen. Sie schreckt ihn nicht
mehr. Er weiß, daß er sie überleben wird. Er kann dann in Konflikte eintreten trotz der
Gefahr, daß er besiegt wird. Er kann also wesentlich risikoreicher und angstfreier operieren.
Denn für ihn ist eine Niederlage kein Sturz in den Abgrund mehr.
Gerät aber Männlichkeit aus dem Gleichgewicht, wird die Niederlage in der Phantasie
geleugnet und durch einen Sieg ersetzt. Dann wird der Mann zum Scharlatan. Er beginnt,
sich und anderen etwas vorzumachen. Er wird ein vollentwickelter Hochstapler. Er wird dann
den Sieger simulieren.
Er ist dabei mehr als ein großer Lügner. Während seiner "Vorführungen" glaubt er selbst an
seine Show. Da er sich über seine eigene Außenwirkung wahrnimmt, überzeugt er sich selbst.
Er liest sein Bild vom Beifall ab, den er hervorruft. Und das stete Training macht ihn zum
reinen, wirkungsvollen Theatraliker. Da er seinen Erfolg vortäuscht, braucht er sich bei
seinen Inszenierungen nicht einmal an der Realität auszurichten. Er kann sein Image den
bloßen theatralischen Erfordernissen anpassen. So kommt es, daß Hochstapler oft
überzeugender sind als die realen Figuren.
Legendär sind die Geschichten von falschen Kriegsheimkehrern, die ihren vorgeblichen
Müttern oder Frauen so überzeugend vorspielen konnten, sie seien ihre Söhne oder Männer,
daß diese an ihnen selbst dann noch festhielten, als sie durch unwiderlegbare Beweise
enttarnt worden waren. Und immer wieder staunen wir über das Auftreten falscher Ärzte
oder Psychiater, die vor Gericht überzeugender wirken als die echten. Sie haben eben
studiert, wie ein Arzt wirken muß.
So findet auch der normale Durchschnitts-Scharlatan immer wieder ein gläubiges Publikum.
Mit seiner Scharlatanerie macht er sich und andere vergessen, daß er in Wirklichkeit ein
Versager ist. Diese Vermeidungsstrategie gibt seiner Inszenierung ein gewisses Feuer. Er
vollbringt ja etwas Erstaunliches: Über einem Abgrund schwebend, spiegelt er seinem
Publikum eine Fata Morgana vor. Er ist ein Zauberer. Er mag zwar als Arzt ein Versager
sein, aber als Scharlatan ist er ein Erfolg. Und daraus bezieht er jetzt sein neues
Selbstbewußtsein. Er kann doch etwas. Er ist keine Niete! Er kann Illusionen wecken. Mehr
tun Ärzte auch nicht!
Das aber führt ihn in ein Paradox. Die Qualität seiner Scharlatanerie darf er nämlich nicht
enthüllen. Da, wo er wirklich gut ist, dürfen ihn die Leute nicht sehen. Aber insgeheim
wünscht er sich, daß sie seine Zauberkunst auch als Zauberkunst bewundern würden. Deshalb
wird er immer kühner. Er läßt es darauf ankommen, entdeckt zu werden. Das macht ihn
immer hinreißender. Er hat immer mehr Erfolg. Und so kann sich ein begabter Scharlatan in
eine Erfolgsspirale treiben, die ihn weit nach oben trägt. Doch irgendwann stürzt er ab. Die
Zeitungen sind voll von solchen Stürzen. Der Baulöwe Schneider, der falsche Psychiater
Postel, der Hauptmann von Köpenick, unser "Führer" Adolf Hitler...
Aber die Gazetten berichten nicht von den vielen kleinen Scharlatanen. Ihre Opfer sind
häufig Frauen. Sie fallen in die Hände eines Heiratsschwindlers, der mit ihrem Vermögen
durchbrennt. Oder sie verbinden sich mit einem Mann, der mit seiner Scharlatanerie gerade
den Eindruck des Seriösen und Soliden erweckt. Das Schicksal einer solchen Frau ist
grausam. Am Anfang wird sie von seinem Optimismus mitgerissen. Sie findet sein Feuer
hinreißend. Endlich ein Mann mit Unternehmungsgeist und Enthusiasmus! Freudig ist sie
bereit, ihm ihr Erspartes zu überschreiben. Sie wollte schon immer Teil von etwas Großem
sein. Mit zu etwas beitragen. Er versichert ihr täglich, seinem Projekt gehöre die Zukunft. Er
habe da diese bahnbrechende Idee. Damit sie ihm nicht von seiner Firma geklaut werde,
habe er gekündigt. Jetzt brauche sein Partner nur noch die technische Produktion
vorzubereiten. Das Werbekonzept habe er schon ausgearbeitet. Es sei eine sichere Sache. Als
sie wissen will, wer der Partner sei, erfährt sie, das sei ein Japaner. Aber die Idee möchte
er ihr lieber nicht mitteilen. Denn es ginge um ein Verfahren, das alle Waschmittel unnötig
mache. Wenn die Waschmittelkonzerne davon Wind kriegten, wären sie ihres Lebens nicht
mehr sicher. Sie würden vor keinem Verbrechen zurückschrecken, um die Produktion zu
verhindern. Er würde sie lieber nicht zum Mitwisser machen. Sie findet seine
Rükksichtnahme wundervoll. Er macht sich Sorgen um ihre Sicherheit. Aus Dankbarkeit nimmt
sie einen Kredit auf, den sie mit einer Hypothek auf ihr ererbtes Haus absichert. Leider zieht
sich die Sache etwas hin. Der Partner hat ein paar Schwierigkeiten bei der Umstellung der
Produktion. Er mußte sich von seinem eigenen Partner trennen. Dafür braucht er nun noch
eine Kapitalspritze. Sie nimmt einen weiteren Kredit auf. Da erzählt ihr ein Bekannter, er
habe ihren Lebensgefährten auf dem Rennplatz getroffen. Und sie hatte geglaubt, er habe
einen Termin bei einem Patentanwalt! Sie wußte gar nicht, daß er auf Pferde wettete. Als
sie ihn zur Rede stellt, wird er ungehalten. Ob sie hinter ihm herspioniere? Das sei viel zu
gefährlich, er müsse sich mit dem Anwalt heimlich treffen, ein Rennplatz sei eine gute
Tarnung. Doch ihr Mißtrauen ist nun erwacht. Da wird sie völlig beschämt. Er zeigt ihr
einen Geschäftsbrief von der Düsseldorfer Filiale von Hatitachi Incorporated. Darin wird ihm
zugesichert, daß die Produktion in Vorbereitung und daß er selbst mit 18% beteiligt sei,
wobei man im ersten Jahr mit einem Profit von 350 Millionen Dollar rechne. Als er ihr
triumphierend den Brief zeigt, ist sie wegen ihres Mißtrauens zerknirscht. Sie bittet ihn
innerlich um Verzeihung. In der Nacht liebt sie ihn besonders hingebungsvoll. Sie weiß ja
nicht, daß er den Brief an sich selber geschrieben hat, weil er eine intime Beziehung zu
Frau Macziewski unterhält, und die ist Sekretärin bei Hatitachi in Düsseldorf...
Wie leicht ist es, so einem Scharlatan auf den Leim zu gehen! Er wirkt ja so solide und
überzeugend. Da sie ihm glauben möchte, läßt sie sich zu Beginn gerne bereden. Sie solle
noch etwas Geduld haben. Sie müsse ihm vertrauen. Bald schon seien sie reich. Der Erfolg
sei praktisch schon sicher. Er müsse nur noch ein paar Hindernisse aus dem Wege räumen.
Aber obwohl seine Erklärungen immer windiger werden und die Halbwertszeit seiner
Vertröstungen immer kürzer wird, fährt sie fort, an ihn zu glauben. Und manche hört damit
auch dann nicht auf, wenn die Spatzen es von den Dächern pfeifen, daß sie einem
Scharlatan aufgesessen ist.