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30 Dezember 2009

IRAN Feindbild Propaganda

ein offener Brief in Sachen Feindbildgenerierung und Delegitimierung des
Iran...


TRITTBRETTFAHREN MIT DER MÄCHTIGEN WESTLICHEN MAINSTREAM-PROPAGANDA
*Offener Brief von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann an Mohssen
Massarrat in Sachen Feindbildgenerierung und Delegitimierung des Iran*

Herr Massarrat, Sie haben sich am 18. Dezember 2009 in der 'linken'
Tageszeitung 'Neues Deutschland' zu Wort gemeldet [1]. Und Sie haben die
Fragen in unserem offenen Brief "Bitte antworten Sie auf unsere Fragen!"
vom 22. Juli 2009 [2] nach wie vor nicht beantwortet. Das ist Anlass für
diesen erneuten offenen Brief.

Herr Massarrat, wir danken Ihnen für die Erkenntnis, dass die 'Grüne
Bewegung' im Iran ein Produkt dessen ist, was Sie 'Wahlbetrug' nennen.
Damit machen Sie deutlich, dass das In-Umlauf-Bringen der Behauptung vom
'Wahlbetrug' in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009
wesentlicher Auslöser für die anschließenden Unruhen im Iran war, dass
die 'Grüne Bewegung' - die Sie 'antitheokratische Demokratiebewegung'
nennen - ohne die Behauptung vom Wahlbetrug sich nicht hätte entwickeln
lassen und die 'Grüne Bewegung' somit in erheblichem Umfang Ergebnis
ines Betruges anderer Art ist, nämlich des Betruges mit der falschen
Behauptung vom Wahlbetrug. Aber, Herr Massarrat, wir müssen es
verurteilen, dass Sie ganz wesentlich dazu beitragen, die Lüge vom
Wahlbetrug weiterhin als Wahrheit zu verkaufen. [3]

Dabei könnten Sie wissen, dass Umfragen einen Monat vor der Wahl einen
deutlichen Wahlsieg Ahmadinedschads prognostiziert haben [4]. Sie
könnten wissen, daß es nach der Wahl Umfragen gegeben hat, die das
Wahlergebnis bestätigen und aus denen hervor geht, dass 83% der
befragten IranerInnen die Präsidentschaftswahl als frei und fair
bezeichnen [5]. Und Sie könnten wissen, dass mit den von Ihnen
verbreiteten 'tatsächlichen' Zahlen, von denen Sie behaupten, dass sie
aus 'anonymen Kreisen des Innenministeriums' stammen, etwas nicht
stimmen kann, weil es unterschiedliche, anonym verbreitete, angeblich
'tatsächliche' Ergebniszahlen gibt, die nicht gleichzeitig zutreffen
können (laut Martin Gehlen in der Frankfurter Rundschau hat
Ahmadinedschad 10,5 Millionen Stimmen erhalten, laut der von Ihnen
verbreiteten Angaben 5,6 Millionen [6] - statt der 24,5 Millionen
Stimmen gemäß des amtlichen Wahlergebnisses [7])

Herr Massarrat, wir müssen Sie fragen: was bringt Sie dazu, Ihre
unbelegten Behauptungen wieder und wieder in die Öffentlichkeit zu
bringen? Folgen Sie dem Prinzip der Mainstream-Propaganda, eine nicht
erwiesene Behauptung durch Wiederholung zur Wahrheit werden zu lassen?
Fühlen Sie sich der Suche nach Wahrheit verpflichtet, oder ist Ihre
Aufgabe das demagogische Verbreiten von Desinformation? Herr Massarrat,
Sie erkennen, dass die internationale Linke und die Friedensbewegung in
der Iran-Frage gespalten ist. Aber wir müssen feststellen, dass Sie ganz
wesentlich dazu beitragen, diese Spaltung herbeizuführen, und dabei den
Eindruck erwecken, als ginge es Ihnen um deren Einheit.

Herr Massarrat, Sie versuchen die wenigen Kräfte, denen es um Aufklärung
geht und die erkennen, dass die Behauptung vom Wahlbetrug der
eigentliche Betrug ist, als 'eindimensional antikapitalistische Linke'
zu diskreditieren und werfen ihr vor, ihre Bündnispolitik nach der
Devise 'Der Feind meines Feindes ist mein Freund' zu betreiben. Was
verleitet Sie zu der platitüdenhaft grassierenden Unterstellung, dass es
darum ginge, jemanden zum Freund zu erklären, weil er Feind eines
Feindes sei? Erkennen Sie nicht, dass das an der Sache vollkommen vorbei
geht? Erkennen Sie nicht, dass es der Aufklärung willen um eine
realistische Einschätzung der Dämonisierten und um Enttarnung derjenigen
geht, die zwecks Legitimierung von Kriegen die Feindbilder generieren?
Das Erkennen von Falschdarstellungen bedeutet doch nicht die Zustimmung
zu allen Facetten der Politik derjenigen, die zum Feindbild gemacht
werden sollen.

Herr Massarrat, Sie schreiben von Ahmadinedschads 'antiisraelischer und
antiamerikanischer Rhetorik' und von dessen Politik, "den Atomstreit mit
dem Westen eskalieren zu lassen". Dadurch sei "das Feindbild Iran
gestärkt und dem militär-industriellen Komplex neue Nahrung geliefert"
worden. Herr Massarrat, wir fragen Sie: warum erwähnen Sie die
Verfälschung und die Unterdrückung wesentlicher Äußerungen
Ahmadinedschads nicht? Und warum verwenden Sie den Begriff 'Atomstreit',
wo Sie doch wissen müssten, dass der Iran seine Atompolitik im Rahmen
der international gültigen Regeln betreibt, und somit die Verwendung des
Begriffs 'Atomstreit' Bestandteil einer Kampagne ist?

Lieber Herr Massarrat, es kann Ihnen doch nicht darum gehen, "als
Trittbrettfahrer mit der mächtigen westlichen Mainstream-Propaganda zu
reisen" (wie Knut Mellenthin es formuliert hat[8])? Es muß uns als
kritischen Zeitgenossen doch gemeinsam darum gehen, im Rahmen eines
unvoreingenommenen Erkenntnisprozesses unabhängig vom Mainstream zu
ergründen, was sich tatsächlich abspielt. Uns kann es doch nicht um
Desinformation und die Desorientierung der 'Linken' und der
Friedensbewegung gehen. Deshalb sollten wir eingestehen, wenn wir uns
bei der Bewertung von Sachverhalten nicht sicher sein können, anstatt
auf der Wiederholung von Behauptetem zu bestehen. Das gilt für Sie wie
für uns. Deshalb bitten wir Sie nochmals: belegen Sie Ihre Behauptung
vom Wahlbetrug oder revidieren Sie sie.


*Fußnoten:*

[1] Mohssen Massarrat in "Neues Deutschland" vom 18.12.2009 zur Frage
"Kann Iran ein Bündnispartner für linke Bewegungen sein?":
http://www.neues-deutschland.de/artikel/161372.auf-die-spitze-getrieben.html
zu der auch Knut Mellenthin in der gleichen Ausgabe der Zeitung Stellung
bezogen hat:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/161373.das-recht-auf-seiner-seite.html

[2] Offener Brief an Mohssen Massarrat vom 22.7.2009 "Bitte antworten
Sie auf unsere Fragen!"
http://www.arbeiterfotografie.com/iran/index-iran-0043.html
[3] Mohssen Massarrat in "Neues Deutschland" vom 18.12.2009: "Die neue
Bewegung in Iran mit grüner Farbe ist eine antitheokratische
Demokratiebewegung. Sie entstand anlässlich des Wahlbetrugs bei den
letzten Präsidentschaftswahlen im Juni dieses Jahres."
http://www.neues-deutschland.de/artikel/161372.auf-die-spitze-getrieben.html

[4] Umfrage vom Washingtoner Meinungsforschungsinstitut 'Terror Free
Tomorrow - The Center for Public Opinion' vom Mai 2009: 50% der
befragten IranerInnen, die sich bereits entschieden haben, geben an,
Ahmadinedschad wählen zu wollen (27% waren noch unentschieden)
http://www.terrorfreetomorrow.org/upimagestft/TFT%20Iran%20Survey%20Report%20060
+9.pdf

[5] Studie des Washingtoner Meinungsforschungsinstituts
WorldPublicOpinion.org vom September 2009: 83% der befragten IranerInnen
bezeichnen die Präsidentschaftswahl von Juni 2009 als frei und fair, 55%
geben an, Ahmadinedschad gewählt zu haben (26% beantworten die Frage,
wen sie gewählt haben, nicht)
http://www.worldpublicopinion.org/pipa/pdf/sep09/IranUS_Sep09_rpt.pdf

[6] Artikel "Iran und die Wahlen - Ein kritischer Blick auf virulente,
anonyme 'Wahrheiten'" von Chavi Dehdarian (aktiv in der Friedensbewegung
Stuttgart) vom 18.7.2009 im Blog 'Nachgetragen' von Joachim Guilliard
http://jghd.twoday.net/stories/iran-wahlen-dehdarian/

[7] Amtliches Ergebnis der iranischen Präsidentschaftswahlen vom
12.6.2009 gemäß IRIB-Meldung vom 13.6.2009
Mahmud Ahmadi Nedschad: 24527516 Stimmen; 62,63 Prozent
Mohsen Rezaei: 678240 Stimmen; 1,73 Prozent
Mehdi Karrubi: 333635 Stimmen; 0, 85 Prozent
Mir Hossein Musavi: 13216411; 33,75 Prozent
Ungültige Stimmen: 409389 Stimmen; 1,04 Prozent
http://german.irib.ir/index.php?option=com_content&view=article&id=24738:
beispiellose-teilnahme-von-85-prozent-der-wahlberechtigten-an-den-wahlen&catid=9
+4:praesidentschaftswahlen

[8] Knut Mellenthin am 20.12.2009 in einem Rundschreiben über den
Artikel von Mohssen Massarrat in "Neues Deutschland" vom 18.12.2009 zur
Frage "Kann Iran ein Bündnispartner für linke Bewegungen sein?"


Homepage der Bundes-AG Globalisierung & Krieg:
www.attac-netzwerk.de/ag-globalisierung-und-krieg/
www.attac.de/globuk

23 Dezember 2009

Bundeswehr folgt Waffenhaendlern

Soll die Bundeswehr raus aus Afghanistan?

Die Bundeswehr in Afghanistan. Erstmals befinden sich deutsche Soldaten in einem Kampfeinsatz außerhalb Europas. Verteidigt Deutschland tatsächlich seine Sicherheit am Hindukusch? Und ist die Mission ihre tödlichen Folgen wirklich wert? Was sagen Sie? Soll die Bundeswehr raus aus Afghanistan?

2346 / 36,13%
Ja, nie wieder soll ein deutscher Soldat auf fremden Boden kämpfen

1840 / 28,34%
Ja, für jeden Konflikt muss es eine friedliche Lösung geben

977 / 15,05%
Ja, solange die Regierung den Krieg als humanitären Einsatz tarnt

622 / 9,58%
Nein, die afghanische Zivilbevölkerung braucht unsere Hilfe

543 / 8,36%
Nein, wir Deutschen haben eine Verantwortung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus

111 / 1,71%
Nein, wozu brauchen wir die Bundeswehr, wenn sie nicht eingesetzt wird


79% der Deutschen wollen etwas ... aber unsere Regierung scheisst drauf,
und macht, was die Waffenhaendler wollen.

Uebrigens. Der 11. September war vom USA Militaer gemacht,
genau wie der Reichstagsbrand und der vorgetaeuschte Angriff
der Polen "SEIT 5 UHR 45 WIRD ZURUECKGESCHOSSEN (Gleiwitz)


54 / 0,83%

Dazu habe ich keine Meinung


Teilnehmer gesamt: 6493


21 Dezember 2009

Die Investoren-Klasse RUINIERT! Der Hass auf den Westen

WER SAGTE DAS?

"Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen – und verwandelt sie in eine Ware. Das Geld ist der allgemeine, für sich selbst konstituierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt, die Menschenwelt wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt. Das Geld ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dies fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an."

GENAUER:

* Zu den führenden 100 Wirtschaftseinheiten gehören 51 multinationale Konzerne und nur 49 Staaten.
* Während die Vermögen der 100 grössten transnationalen Konzerne zwischen 1980 bis 1995 auf das Siebenfache (+ 697%) stiegen, nahm die Anzahl der Beschäftigen um 7.6% ab
* Die transnationalen Konzerne, die über mehr als 33% des Welt-Produktivvermögens verfügen, stellen nur 5% der Weltarbeitsplätze.

Naomi Klein und ihre StudienkollegInnen spürten die Veränderungen der Wirtschaft nach dem Zusammenbruch der UDSSR am eigenen Leib. Bis 1993 konnte man die Freunde die einen Arbeitsplatz hatten an einer Hand abzählen. 1993 allerdings erfolgte in den USA und Kanada ein abrupter Übergang von Rezession zu globaler Halsabschneider-Ökonomie: Wirtschaftswachstum ohne Arbeitsplätze, Wachstum durch Fusionen, Übernahmen, Entlassungen, Outsourcing. Das Buch: No Logo, ist eine eben so umfangreiche wie intelligente und sorgfältige Beobachtung und Dokumentation der Vorgänge des letzten Jahrzehnts des 2. Millenniums.

Jean Ziegler

Schweizer Autor und Vizepräsident des UN-Menschenrechtsrates

http://legrandvillage.files.wordpress.com/2009/11/ziegler_wideweb__430x301.jpg

Er war mit Jean-Paul Sartre befreundet, lebte im linken Pariser Studentenmilieu und gilt in seiner Schweizer Heimat als Nestbeschmutzer. Seine Bücher über Finanzgebaren und Geschichtsbewusstsein der Eidgenossen sind legendäre Bestseller. Jean Zieglers Hauptanliegen ist allerdings der Kampf gegen den Hunger in der Welt. Seine Analysen über die Zusammenhänge von Weltwirtschaft, Konzerninteressen und Armut in der Dritten Welt ließen ihn zur Lichtgestalt der Globalisierungsgegner werden. Ungeliebt bei den Vertretern von Weltbank, IWF und WTO setzt er seit Jahrzehnten seine Aufklärungskampagnen fort. Als kritischer Beobachter und ranghoher UN-Mitarbeiter konfrontiert er die internationalen Organisationen und das interessierte Publikum regelmäßig mit einem Elend, das er selbst als Zivilisationsbruch brandmarkt. Im Gespräch mit Silke Behl erklärt Jean Ziegler, warum die Länder des Südens heute vor allem eines eint: der Hass auf den Westen. Und er entwickelt präzise Szenarien für eine künftige Weltgemeinschaft, die diesen Hass zu überwinden vermag.

http://www.google.com/search?q="jean+ziegler"+wto+konzerninteressen

http://www.fontblog.de/wp-content/spiegel_titel_47_08_klein.jpg

Das Konzept des Kapitalismus ohne Verantwortung wird zur Zeit gerade klar und deutlich von Kuoni propagiert (falls Sie gedacht haben, das gäb's nur in den USA):

1. assets light (= Verantwortung -)
2. cash heavy (= Macht +)

Der Finanzmarkt applaudiert, diejenigen die für die Infrastruktur zuständig sind, ächzen. Die Strategie ist optimal was Macht und wirtschaftliche Ausnutzung betrifft, denn die Kosten dafür tragen diejenigen, die die Infrastruktur bezahlen und unterhalten müssen, also Hoteliers, Seilbahnen, Gemeinden etc. Der Organisator schart die Zahlungswilligen um sich und verspricht ihnen, für sie das Beste zum günstigsten Preis zu organisieren. Er kann sich weltweit beliebig bedienen. Die "Zulieferer" können sich freuen, wenn sie die Bedingungen erfüllen und damit leben können, gehen aber ein, wenn ihr Angebot irgendwie nicht passt. Der Krieg findet heute also nicht bloss zwischen Arbeit und Kapital statt, sondern auch zwischen flüssigem Geldkapital und investiertem Anlagekapital. Da Geldkapital in ziemlichem Überfluss vorhanden scheint, kann es am Kapitalmarkt so seine Spielchen treiben.

Das Buch ist aber nicht nur interessant aus der Perspektive der Konzernkritik, die damals gesellschafts- und umweltpolitische Campagnen zu ergänzen begann, sondern zeigt auch deutlich die Entwicklung der 4. Phase des Kapitalismus, in der sich die Herrschaft des Geldes (s. Plutokratie) vom Sachkapital löst:

General Motors hat 1991 in den USA etwa 82000 Stellen abgebaut und rechnet bis zum Jahr 2003 mit dem Abbau von weiteren 40'000 Arbeitsplätzen. Die Produktion wird in die Maquiladoras und deren Klone rund um den Erdball verlagert. Das ist meilenweit entfernt von der Zeit, als der Konzern stolz verkündete: "Was gut ist für General Motors, ist gut für das Land."

Ein wichtiger Anstoss zur Konzernkritik war die Kultur, die in Bedrängnis gerät, wenn sie primär zum Werbeträger wird: Es geht nicht darum, Kultur zu sponsern, sondern Kultur zu sein. Und warum auch nicht? Wenn Marken keine Produkte, sondern Ideen, Attitüden, Werte und Erfahrungen sind, warum sollen sie nicht auch Kultur sein? [S. 49] Die kommerzielle Verwertung der kulturellen Sphäre für die Werbung bewirkt:

1. eine Kulturverschlammung und
2. eine Verminderung kultureller Vielfalt durch die ökonomische Überlegenheit des unternehmerischen Einfaltsprinzips.

Als beliebtestes Aktionsmittel kam damals das "cultural jamming", das die "kulturellen" Botschaften der Werbung in ihr Gegenteil verkehrte. Oft konnte die Kritik der Markenfirmen auch schlicht und einfach auf der Präsentation der Produktionsbedingungen aufbauen. So wurden z.B. 1997 in der Textilfabrik Kaho Indah Citra auf Jakarta diejenigen Frauen ganz einfach entlassen, die es gewagt hatten, gegen gratis zu leistende Überstunden, bei einem Taglohn von 2$ wohlgemerkt, zu protestieren. Auch das Argument des Wissenstransfers, der oft als positive Wirkung solcher "Investitionen" dargestellt wird, lässt sich so leicht entkräften, wie etwa durch das 17-jährige Mädchen, das im Assembling in Manila CD-Rom-Laufwerke zusammensetzt: Wir machen Computer, aber wir wissen nicht, wie man sie bedient.

Die neue Macht der Konzerne ging, logischerweise, auf Kosten der Macht der Politik:

Eine Hand voll CEOs schreibt die neuen Regeln für die Welt

Sie bedrängt aber auch das Wissen, je stärker Privatunternehmen in die Universitäten vordringen - und sie verengte nicht zuletzt die Möglichkeiten öffentliche Politik zu betreiben, da sie die öffentlichen Räume zunehmend als Eigentum oder Besitz vereinnahmt.



1. Konzernkritik: Das Endziel des Lean-Management ist die Produktion ohne Kapitalbindung, ein Feudalismus ohne Boden-Haftung, eine Produktion ohne Verantwortung

Schlüsselereignis der Bewegung war 1988 der Kauf von Kraft durch Philipp Morris, für 12.6 Milliarden $, dem 6-fachen des Buchwertes. Die Preisdifferenz lag offenbar im Wort "Kraft". Die neue Strategie hiess also: Die Marke ist das Produkt, die Waren werden von Auftragnehmern hergestellt. (s. Auftrag)

Fusionen sind also trügerisch, denn in Wahrheit wachsen die Firmen nicht, sondern sie schrumpfen, sie lösen sich von der Welt der Dinge. Die Konzerne verabschieden sich aus der Arbeitswelt, die Unternehmen lösen sich mit allen Mitteln von überflüssig scheinenden Dingen, seien es Mitarbeiter oder Computersysteme, insbesondere wenn diese zur Machtausübung nicht mehr nötig sind:

Obwohl die Auftraggeber am Ort überhaupt keinen materiellen Besitz haben - ihnen gehören weder die Gebäude noch das Land, noch die Ausrüstung der Fabriken -, sind die Markenkonzerne wie Nike, Gap und IBM als unsichtbare, aber allmächtige Drahtzieher omnipräsent. Sie sind als Käufer so mächtig, dass ein direktes Engagement, wie es nötig wäre, wenn sie die Fabriken selbst besässen, aus ihrer Sicht wie nutzloses Mikromanagement wirkt. Und weil die tatsächlichen Besitzer und Fabrikmanager völlig von ihren grossen Aufträgen abhängig sind, damit ihre Maschinen laufen, befinden sich die Arbeiter in einer extrem schlechten Verhandlungsposition: Man kann nicht mit einem Auftragsformular verhandeln. ... Denn die Markenmultis haben sich der "Produktionsmittel" entledigt, weil sie sich nicht mehr mit den Pflichten belasten wollen, die der reale Besitz einer Fabrik sowie das Management und die Beschäftigung von Arbeitskräften mit sich bringen. S. 238

Die eigentliche Veränderung besteht also nicht darin, dass die Arbeitsplätze ins Ausland "entflohen" sind, sondern darin, dass eine wachsende Anzahl der bekanntesten und profitabelsten Weltkonzerne ihrer Verantwortung als Arbeitgeber entfliehen. [S, 213]

Es geht nicht um den Arbeitsplatzexport. Es geht um die Flucht aus der Arbeitgeberrolle. [S. 241]



1.1. Leiharbeiter und ihr permanentes Lebens-Provisorium



Clevere Firmen sehen sich lieber als Organisatoren diverser Leiharbeiter, denn als "Beschäftigungsorganisationen. [S. 244]

Flexibilität wird zum Synonym für: Keine Versprechungen! Bei einigen Einzelhandelsgeschäften ist die Zuteilung der Arbeitszeiten so willkürlich, dass sich das Personal ängstlich versammelt, wenn in einem allwöchentlichen Ritual der Arbeitsplan für nächste Woche ausgehängt wird. [S. 253] Das wurde zwar vor 5 Jahren betr. die USA geschrieben, stimmt aber wortwörtlich für viele Betriebe der Gegenwart der Schweiz.

Bei UPS sind von 43'000 Arbeitsplätzen nur deren 8000 Vollzeitstellen!

Bei Starbucks gilt eine: Vollzeitstelle erst als solche ab 35-38 Stunden, da bei Vollzeitstellen volle Sozialleistungen, eine höhere Lohnskala und bezahlte Überstunden garantiert sind. (Obwohl, ich muss sagen, wer als Teilzeitler unbezahlte Überstunden akzeptiert ist irgendwie selbst schuld ... Dem Chef eins auf die Schnauze hauen wäre ein probates, leider nicht legales Mittel. Die Sache publik machen erfüllt beide Erfordernisse - und tut der Firma, nicht nur dem Chef weh.)

Bill Gates hat bereits ein Drittel seines Gesamtpersonals zu Aushilfskräften degradiert. Im Kern des Systems stehen allerdings die Microserfs (Microsklaven) mit einer quasi religiösen Bindung an ihren Konzern, seinen rasant steigenden Börsenkurs und seine überwältigende Gewinnsteigerungsrate von 51%: Zeig uns das Geld! brüllten sie auf der Personalversammlung vom Herbst 1997 in Seattle. [S. 260] Dieser innere Kern verdient im Durchschnitt 220'000 Dollar - und ist zufrieden ... und wird sich hüten, die Anstellungsbedingungen zu kritisieren, von denen er selbst profitiert.

Alles ausserhalb der Hauptfunktion Programmierung und Produktentwicklung fällt unter die Kategorie: nutzloses Anlagevermögen. Die Betreuung der "externen Auftragnehmer" (newspeak für temporierte Mitarbeiter) wurde der Firma Johnson Controls übergeben. Die Einnahmen stiegen um 91%, der Personalbestand sank um 19%. 1990 bekam Gates allerdings Probleme mit den Steuerbehörden , die die Mitarbeiter mit orangen Aufsteckern nicht als Selbständige, sondern als Angestellte betrachtete, für die Lohnsteuern zu zahlen sind.

Heute verkaufen viereinhalb mal so viele A-Merikaner Kleidung in Fachgeschäften und Warenhäusern, wie Arbeiter benötigt werden, um die Kleidung zu weben und zu nähen, und Wal-Mart ist nicht nur der grösste Einzelhandelskonzern der Welt, sondern auch der grösste Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten.

Managementguru Tom Peters verbreitete die Ansicht, dass jeder Berufstätige sich einen gewaltigen Machtzuwachs verschaffen kann, wenn er sich von der Idee verabschiedet, Arbeitnehmer zu sein, sich zum Berater und Dienstleister umrüstet:

1. Allerdings stehen 52% der nicht standartgemäss Beschäftigten in Beschäftigungsverhältnissen niedrigster Qualität.
2. Auf der andern Seite stehen die gut bezahlten Söldner der Wirtschaft, wie der Aushilfs-CEO der in New York Pläne zur Umstrukturierung vorlegt, die von einem Multi zum andern düsen, durchschnittlich 5 Jahre bleiben, mit einem Multi-Millionen-Dollar-Anreiz verpflichtet und mit einem millionenschweren goldenen Händedruck und Fallschirm verabschiedet werden.

Zusammen bilden sie die beiden Pole der instabilen Arbeitsverhältnisse, oder eine globale Zweimannsäge. Äusserst treffend ist in dem Zusammenhang der Ausdruck "Freelancer" (englisch für "selbständig", oder besser, selber Euphemismus: "freier" Mitarbeiter). Diese können heute für befristete und oft riskante Einsätze für eben so wenig Sold gemietet werden, wie ihre Namensgeber, die Lanzenknechte, die zu feudalherrlichen Zeiten, samt Ausrüstung - aber ohne Lebensversicherung, für fremde Kriege angeheuert wurden.

Es gibt aber noch eine günstigere Variante um an qualifizierte Arbeitskräfte zu kommen, nämlich DAS PRAKTIKUM. In den USA scheint es inzwischen üblich, ein bis zwei Jahre lang einen unbezahlten Kulturjob nach dem andern anzunehmen. Allerdings fördert dies privilegierte Klassen: Wenn man keine Stelle bekommen kann, es sei denn man hat ein Praktikum absolviert, und wenn man kein Praktikum machen kann, es sei denn, man werde ein paar Monate von Daddy unterstützt, dann sorgt dieses System für einen entschieden privilegierten Bewerberkreis. [S 256]

Dauerwettbewerb und Dauerselektion führen dazu, dass nach ausreichend langer Einwirkung plötzlich der Weg zum Ziel, das Mittel zum Zweck definiert wird. Wettbewerb wird, statt als periodisch von Fall zu Fall eingesetztes Mittel der Selektion und Zuordnung, zum Dauersport, was Sombart schon vor langer Zeit kritisiert hat. Arbeitnehmer stehen dauernd im Kampf um eine Stelle, die so per se nur als "temporäre" betrachtet wird:

Ich bin vorübergehend hier, weil ich was Besseres finde!

Der permanente Übergang macht die meisten zu "Dreamworkern" (Logischerweise arbeitet mancher davon mit Dreamweaver ....). Diejenigen, die ihr Studium mit einem Haufen Schulden abgeschlossen haben und nun anfangen sollten, diese abzubezahlen, mit einem Jahresverdienst von 11'000 $ bei Wall Mart, beschreiben dies zu Recht als Sprungbrett über einen grossen Sumpf. Der verinnerlichte ewige Traum vom besseren Job erübrigt den Arbeitgebern zudem, selbst Entwicklungsmöglichkeiten der Karriere anbieten zu müssen.



1.2 Taktik der verbrannten Erde

Starbucks hatte 1992 in den USA und Kanada 165 Verkaufsstellen. Nur sieben Jahre später waren es 1900, heute über 10'000 - mit Niederlassungen in 12 Ländern, und, laut Management, einem Potential von weiteren 15'000 Filialen. Starbucks nutzt das Modell der Kopflausverbreitung: Ein kleines Gebiet wird total besetzt, mit Läden derart gesättigt, dass der Wettbewerbsdruck sogar die eigenen Läden kannibalisiert.

Eine eben so gerissene, wenn auch andere Taktik, verwendet Nespresso. Indem ein Expressomaschinenhersteller nach dem andern für das System Nespresso gewonnen werden konnte, wird auch von der "Hardware" her die Kommune der Nespressoanhänger gefördert, denn mit diesen Maschinen lässt sich nichts anderes verwenden als (die einigermassen über-flüssigen) Nespresso-kapseln.

Diese Taktik der verbrannten Erde wurde bereits von McDonalds eingesetzt und durch Franchising perfektioniert. Das Selbe passiert bei Fusionen. Die selbe Methode wird verwendet von GAP, Body Shop und Walmart, der 1991 erstmals Kmart und Sears überholte und 1999 mit über 2435 Discountläden besass. Wal Mart war bereits 1998 mit einem Umsatz von 137 Milliarden Dollar der grösste Einzelhändler der Welt. Dieser Erfolg ist folgender Taktik zu verdanken:

Zuerst baut man Läden, die zwei- bis dreimal so gross sind wie die des stärksten Konkurrenten. Dann füllt man die Regale mit Produkten, die in so grossen Mengen eingekauft wurden, dass die Lieferanten einen erheblichen Preisnachlass gewähren. Dann werden die Ladenpreise so knapp kalkuliert, dass niemand, schon gar nicht die kleinen Einzelhändler, mit diesen "Dauertiefpreisen" konkurrieren kann. [S. 149]

Apropos Starbucks. Offiziell leitet sich der Name ab von einem Schiffsmann in Herman Melvilles Moby Dick. Ich halte das für ein Gerücht. Sinnvoller wäre es wohl, den Namen als "Stern-Thaler" zu deuten, da bucks ein US-Slangausdruck für Geld ist - und darum geht's ja offenbar ..

Ein durchschnittlicher Walmart hat eine Grösse von 8500 m2 (bis 18500 m2) + grosser Parkplatz, am Stadtrand, mit tiefen Steuern - wird aber nur in der Nähe von bestehenden Verteilzentren errichtet. Also auch hier die Kopflaustechnik der graduellen Verbreitung vom Zentrum aus.

Wenn die Superstores die Produktionswerte und Special Effects von Hollywood übernehmen, geraten die kleinen Unternehmen zwischen die Fronten. Sie werden zerrieben zwischen Billiganbietern wie Wal-Mart und Online-Händlern wie Amazon.com auf der einen Seite und der enormen Anziehungskraft der Superstores auf der anderen Seite, bei denen der Einkauf wie im Freizeitpark zum Erlebnis wird. ... Das Verkaufspersonal der unabhängigen Läden verfügt vielleicht über mehr Erfahrung und Sachkenntnis als die Angestellten in den Superstores, doch selbst dieser Vorteil wird oft durch den reinen Unterhaltungswert der Superstores zunichte gemacht. (zum Problem Event s.: Kulturwandel durch Unterhaltung)

Auch hier geht es der Kultur an den Kragen, wenn der Kulturträger Buch zum Rentabilitätsobjekt und Massenprodukt wird. Der Buchhandel in den USA, gemessen an der Mitgliedschaft in der American Bookseller Organisation, sank von 5132 im Jahr 1991 auf 3400 8 Jahre später.

Die USA stehen mit ihren Modell zur Zeit vor einem gewaltigen Problem (einem von vielen, denn den Irak gibt es ja auch noch, und das Gesundheitssystem, und das Bildungssystem, und das Finanzsystem, und ...). Die USA waren immer stolz darauf, dank ihres liberalen Denkens und Leistungsbewusstseins eine äusserst geringe Arbeitslosigkeit zu haben. Sie haben auch sehr kurze Deckungsfristen der Arbeitslosenversicherung (meist auf ein halbes Jahr beschränkt), wo diese überhaupt vorhanden ist. Zudem leistet sie weitaus weniger als die bei uns üblichen 70 oder 80%, nämlich bloss 25-50%. Zudem schätzen einige die Arbeitslosigkeit noch weitaus höher, bis zu doppelt so hoch.

Die "europäischen" Verhältnisse bei den Arbeitssuchenden, der Druck der Armut, könnte hier einiges in Bewegung bringen, das nicht so ganz im Sinne der Erfinder lag:

1.3 Die Verlagerung der Produktion in Billigstproduktionszonen

Im Zuge der Entkapitalisierung der Produktion wurden insbesondere die zoll- und oft auch rechtsfreien Exportproduktionszonen (EPZ) in Fernost beliebt. Die Beschäftigung in diesen Sektoren ... hat sich vom Vollzeit-Fabrikarbeitsplatz auf den befristeten Arbeitsplatz und den Teilzeitarbeitsplatz verlagert, und insbesondere in den Bereichen Kleidung und Schuhwerk wird zunehmend auf Heimarbeit und kleine Werkstätten zurückgegriffen. Es zeigt sich deutlich der Rückschritt in Produktionsverfahren des 19. Jahrhunderts.

Die grösste Zonenwirtschaft besitzt China, wo in 124 EPZ rund 18 Millionen Menschen arbeiten. Die überwiegende Mehrheit der Arbeitskräfte sind Frauen, immer jung und immer von Auftraggebern aus Korea, Taiwan oder Hongkong oder deren Subunternehmer angeworben. Diese Unternehmen erfüllen in der Regel Aufträge von Konzernen mit Sitz in den USA, Grossbritannien, Japan, Deutschland oder Kanada. Die Verwaltung der EPZ ist militärisch, die Aufsehen neigen oft zu Misshandlungen, die Löhne liegen unter dem Existenzminimum, und die Arbeit ist wenig qualifiziert und langweilig. Die Fabriken sind billig gebaut und stehen auf gemietetem Land. ... Die Furcht geht um in den Zonen. [S. 216]

Frauen werden in der Zone häufig schon mit Mitte zwanzig entlassen, oft mit der Begründung, sie seien "zu alt". Ihre Finger seien nicht mehr geschickt genug. Dies ist ein höchst wirksamer Weg, die Anzahl der Mütter auf den Gehaltslisten der Fabriken auf ein Minimum zu begrenzen.

In den 90er lagen die berüchtigtsten dieser Zonen allerdings noch auf den Philippinen. Arbeitskräfte: 1986: 23'000, 1994 229'000, 2000: 52 EPZ mit 459'000 Beschäftigten. Die Arbeitstage dauerten auf den Philippinen und in Indonesien 12h, auf Sri Lanka 14h und beim Favoriten Südchina gar 16 h.

Die bekannteste und grösste Freihandelszone der Philippinen ist Cavite, wo. 207 Fabriken auf 276 ha ausschliesslich für den Export (Nike, Gap, IBM, Old Navy ...) produzieren.

Ihre Namen und Logos sind nicht auf die Fabrikfassaden des Industriegebiets gepinselt. Und die konkurrierenden Marken treten nicht wie sonst streng getrennt, jede im eigenen Superstore auf, sondern werden oft einträchtig in ein und derselben Fabrik hergestellt, von denselben Arbeitern zusammengeleimt, mit denselben Maschinen genäht und gelötet.

Die Miete für die Fabriken in Cavite ist spottbillig: 120 Pesos (10 cents) pro Quadratmeter. In den ersten fünf Jahren müssen die Unternehmen weder Einkommens- noch Vermögenssteuer bezahlen. In Sri Lanka sogar 10 Jahre lang. Zudem unterliegt Cavite der alleinigen Jurisdiktion des Ministeriums für Handel und Industrie der philippinischen Bundesregierung. Die lokale Polizei und die Stadtregierung dürfen die Zone nicht einmal betreten. Hier verwaltet das Kapital sein Reich also selbst:

Saskia Sassen schreibt in "loosing control" dass durch solche Zonen die Nationalstaaten zerlegt, und ein Teil des Staates entstaatlicht würden. [S. 218]. Abgesehen von den Arbeiterströmen zu Beginn und Ende einer Schicht lässt nicht das Geringste darauf schliessen, dass es in Rosario über 200 Fabriken gibt. Die Strassen sind in verheerendem Zustand, es fehlt an fliessendem Wasser, und es gibt keine funktionierende Müllabfuhr.

Wenn ein Investor den Mindestlohn von sechs Dollar pro Tag als zu grosse Belastung empfindet, kann er bei der Regierung eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Und da die Regierung die ausländischen Investoren mit den Versprechungen anlockte, ihnen billige und gelehrige Arbeitskräfte zu bieten, will sie ihre Zusage auch einhalten. Aus diesem Grund drücken die Beamten des Arbeitsministeriums in den Zonen bei Verstössen gegen das Arbeitsrecht beide Augen zu oder Ermutigen gar zum Gesetzesbruch.

Hört nicht auf Unruhestifter und Agitatoren!

Infotafel in Cavite

Frauen, wie die im Buch erwähnte Carmelita, sterben oft an Überstunden, da sie in der stickigen feuchten Luft Krankheiten kaum ausheilen können: Der Überstundenstress könnte gemildert werden, wenn die Fabriken einfach mehr Arbeiter einstellen und zwei kürzere Schichten einrichten würden. Man hält sich dort aber an das selbe Prinzip wie hier: Zusätzliche Arbeitsplätze bedingen Mehraufwand, verlagern also das Problem der Arbeitskräfte auf das Management.. Es ist weitaus bequemer, eine Belegschaft zu Überstunden zu zwingen wenn es viel Arbeit gibt und weniger arbeiten zu lassen, wenn es weniger gibt. Das Gegenstück zur Überzeit, der unbezahlte Zwangsurlaub, würde man in Unternehmerkreisen auch hierzulande gerne intensiver verwenden.

Ganz in der Nähe, auf den nördlichen Marianen, gibt es sogar so was, dass sich US-Commonwealth nennt. Viele junge Frauen, die mit Versprechungen gut bezahlter Arbeitsplätze in den USA nach Saipan gelockt wurden - aber dort in Sweatshops landeten, reichten eine kollektive Klage in den USA ein.

Pusan ind Südkorea war in den Achtzigerjahren die Turnschuhhauptstadt der Welt (Rebook, Gear, Nike). 1985 produzierte Rebook fast all seine Turnschuhe in Südkorea und Taiwan. Sobald dort allerdings Gewerkschaften entstanden, verlagerten die Betriebe 30'000 Arbeitsplätze nach China.

In weniger als 3 Jahren war ein Drittel der Schuhproduktion vernichtet. Bis 1995 waren fast all diese Fabriken aus Korea und Taiwan verschwunden und 60% der Rebook Aufträge gingen nach Indonesien und China.

Tabelle 9.2: Prozentuale Veränderung der Beschäftigung in der Textil-, Bekleidungs-, Leder- und Schuhindustrie, 1980-93
Finnland
Schweden
Norwegen
Österreich
Polen
Syrien
Frankreich
Ungarn
Niederlande
Grossbritannien
Neuseeland
Deutschland
Spanien
Australien
Argentinien
USA - 71.7
- 65.4
- 64.9
- 51.5
- 51
- 50
- 45.4
- 43.1
- 41.7
- 41.5
- 40.9
- 40.2
- 35.3
- 34.7
- 32.9
- 30.1 Mauritius
Indonesien
Marokko
Jordanien
Jamaika
Malaysia
Mexiko
China
Iran
Türkei
Philippinen
Honduras
Chile
Kenia
Israel
Venezuela 344.6
177.4
166.5
160.8
101.7
101.2
85.5
57.3
34
33.7
31.8
30.5
27.2
16.1
13.4
7.9

Wie die Tabelle rechts zeigt, hat die Auslagerung der Produktion Folgen. Es bringt wenig, diese zu beklagen, denn im Ursprung stehen die Aktivitäten der einheimischen, der eigenen Firmen. Die Basler Chemie etwa betreibt Standortsoptimierung und günstige Produktion im Ausland seit

Wir sind es es also höchstselbst, die diesen Krieg entfesselt haben. Schuldzuweisungen an China bringen da nichts.

Bei allen (teilweise) berechtigten Klagen über Chinas Handelsgebaren .... der Ursprung dieser Geschichte ist ganz offensichtlich einzig und alleine bei ausländischen Investoren zu suchen - von denen die Chinesen die Prinzipien der Marktgestaltung erst eigentlich gelernt haben. Die Tränen die heute im Westen vergossen werden, sind Krokodilstränen. Das selbe gilt für das Argument "Menschenrechtsverletzungen", wenn von Unternehmen zur wirtschaftlichen Eindämmung von China verwendet. Schliesslich benutzt man dort genau die selbe Theorie wie hier: Je tiefer die Löhne, desto höher der Profit:


Auf dieser neuen Etappe der Reise gehörten die Fabriken jedoch nicht mehr lokalen chinesischen oder indonesischen Auftragnehmern, sondern sie wurden noch immer von denselben koreanischen und taiwanesischen Unternehmen geführt. Für Chi Neng Tsai, einen der Besitzer des Unternehmens, ist es schlicht gute Geschäftspolitik hinzugehen, wo die Arbeiter hungern: "Vor dreissig Jahren, als Taiwan noch hungerte, war unsere Produktivität dort auch höher." S. 237

In Indonesien wir bei Streiks ohne grosses Federlesen das Militär eingesetzt. Begründung: Wenn die Behörden mit Streiks nicht fertig werden, insbesondere, wenn diese zu Gewalt und Brutalität führen, dann verlieren wir unsere ausländischen Käufer. Die staatlichen Exporteinnahmen gehen zurück, und die Arbeitslosigkeit steigt.



1.4 Die Dominanz des Marketing

Werbebudgets und der Marlboro Friday: Am 2. April 1993 senkt Philipp Morris den Preis von Marlboro Zigaretten um 20%, um sich gegen Billigmarken zu wehren. Die Preissenkung trieb die Marketingexperten zum Wahnsinn, und sie verkündeten unisono nicht nur den Top von Marlboro, sondern den Tod aller Markennamen.

Schnäppchenhungrige Käufer, die hart von der Rezession getroffen waren, begannen mehr auf den Preis zu achten als auf das Markenprestige. Die wilde Schnäppchenjagd der frühen Neunzigerjahre erschütterte die etablierten Marken bis ins Mark. Plötzlich schien es klüger, Ressourcen in Preissenkungen und andere Kaufanreize zu stecken als in sagenhaft teure Werbekampagnen. [S. 32]

Das, was heute noch von den Medien als Tragödie beklagt wird, ist also eigentlich nichts als eine berechtigte Korrektur ... denn:

1983 gaben die Markenartikler 70% ihres gesamten Marketingbudgets für Werbung aus und 30% für die anderen Arten der Verkaufsförderung (Werbegeschenke, Wettbewerbe, Schaufensterdekorationen, Preissenkungen). 1993 hatte sich das Verhältnis umgekehrt auf 25% Werbung, 75% andere verkaufsfördernde Massnahmen.

http://agitart.de/images/globalisierung.gif
Diejenigen, die Marketing über Preispolitik gestellt hatten, erholten sich schneller aus der Rezession: Nike, Apple, Body Shop, Calvin Klein, Disney, Levi's und Starbucks. Nike gab 1991 sagenhafte 225 Millionen $ für Werbung aus

Wer innerhalb der USA, wo, wieviel und wofür ausgibt, erfahren Sie bei Advertising Age http://www.adage.com/images/random/lna2005.pdf (s. Ausschnitt Bild rechts). Schweizer Firmen sind da prominent dabei: Novartis Rang 21, Nestle Rang 31. Erstaunlich (na ja, nach Irak ...) auch die Werbekraft der US-Regierung, die Platz 25 belegt.

Unter den Betrieben Deutscher Provenienz dominieren Daimler-Chrysler 6, Deutsche Telecom 60, Volkswagen 63 und Bayer 81.

Apropos Marketing:

Guerlain, bekannte französische Marke für Parfums, bodycare, make up etc, sucht Promo-Personal für 50% Anstellungen, zu 2000.- Fr. pro Monat - unter der Bedingung, dass dieses nicht gleichzeitig für eine andere Firma Parfums oder Make Up verkauft. Diese Anwendung des Konkurrenzverbots nun auch auf schlecht bezahlte Scheissjobs bedeutet eine aktive Förderung der working poor. Der Grund ist klar, denn diese "Angestellten" werden nur für die produktive Arbeit bezahlt, müssen aber ausserhalb der Arbeitszeit noch aufräumen, putzen und Reporte verfassen, was zu einer effektiven Arbeitszeit von 70% führt. [Das ist keine historische Notiz zu seltsamen Arbeitsbedingungen im 19. Jahrhundert, sondern stammt vom 22.9.06!].

Problematisch ist auch die Verbindung von Kapital und Personalselektion, die mit zunehmender Konzentration der Firmen in immer weniger Händen den Zugang zu Stellen erschwert. Wer sich mehrfach bei einem Personaldienst beworben hat und abgelehnt wurde, hat mit jeder zusätzlichen Bewerbung geringere Chancen, auch wenn es sich um unterschiedliche Stellen und Tätigkeiten innerhalb der heute oft komplexen Strukturen handelt. Ein übles Beispiel, am selben Ort wie Guerlain (oben), nämlich am Flughafen Zürich, ist diesbezüglich z.B. die Nuance-Group: Die Shopping-Bereiche der Flughäfen Wien, Kopenhagen, Shipol-Amsterdam, Schweden, Genf-Zürich, GB (6 Flughäfen) werden von dieser Aktiengesellschaft verwaltet. Das Problem für die BewerberInnen besteht nun darin, dass sie sich nicht bei dem von ihnen bevorzugten Shop direkt bewerben können, sondern, sogar wenn sie die entsprechende Marke bereits erfolgreich verkauft haben, vom zentralen Personalbüro von Nuance "auserwählt" werden müssen. Das Selektionsverfahren gleiche da oft dem, was man allenfalls für eine Filmrolle in Hollywood erwarte, nicht aber bei einem relativ normalen, und auf keinen Fall überbezahlten, Verkäuferinnenjob. Dazu kommt, dass der "Personalchef", Jasper Overberg, zugleich unterschriftsberechtigter (Kollektivprokura) Aktionär ist. Nicht dass das verboten wäre ... aber hier wird aus einer anonymen Kapitalgesellschaft eine auf persönlichen Sym- und Antipathien beruhende neofeudalistische Herrschaft. Die Verbünzligung der kapitalen Herrschaft zeigt sich auch in der Argumentation: Sie haben sich bereits mehrfach beworben. Sie arbeiten ja als Aushilfe. Sie sind an Geld interessiert ... das wollen wir nicht. Die neofeudalistische Herrschaft verlangt also vollen, uneingennützigen Einsatz ... zum Wohle des Kapitals der Eigentümer, die das auch gleich noch selbst vertreten, als Personalchef.

Hier ist das Ende der Fahnenstange alles Zumutbaren erreicht. "Wehret den Anfängen" kommt hier schon zu spät. Wehret dem Neofeudalismus und seiner Verlogenheit!

http://totheroots.files.wordpress.com/2007/01/trickle-down-capitalism.jpg

1.4.1 Branding:

In den 80er Jahren des 19. JH wurden Massenprodukte wie Campbells Soup, Konserven von H.J. Heinz und Quaker-Oats-Haferflocken mit dem Logo des Herstellers versehen. Vertrauenserweckende Personen wie "Aunt Jeremia" und "Old Grand-Dad" ersetzten, als Metaphern, die Ladenbesitzer. Damals war das Label oder Logo aber nur Verkaufshilfe - heute ist es oft das Hauptprodukt, und der eigentliche Wertträger:

Das Konzept ist weder veraltet noch beschränkt auf die USA:

Wir verkaufen Lifestyle und nicht Joghurt.

Walter Huber, Chef Emmi

Die Unternehmen neuen Stils stellen nicht mehr in erster Linie Dinge her, sondern Markenimages. Ihre eigentliche Arbeit bestand nicht mehr in der Herstellung, sondern in der Vermarktung. Diese Formel hat sich - wie wir heute wissen - als unglaublich gewinnbringend erwiesen, und ihr Erfolg hat dazu geführt, dass die Grossunternehmen einen Wettstreit im Ballastabwerfen begonnen haben. Diesen Wettlauf gewinnt, wer am wenigsten besitzt, die wenigsten Arbeitskräfte beschäftigt und nicht die besten, sondern die mächtigsten Images produziert. [S. 26]

[Financial Times]

Die Zentrale der Konzerne kann sich, wenn die Arbeit durch Subunternehmen, vor allem in der 3. Welt ausgeführt wird, auf das wirklich wichtige Geschäft konzentrieren - die Schaffung einer Unternehmensmythologie, die machtvoll genug ist, um einfachen Gegenständen durch den schlichten Namen des Unternehmens Bedeutung zu verleihen. Marke x ist kein Produkt, sondern ein Lebensstil, eine Haltung:

Tommy Hilfiger wiederum ist eigentlich kein Kleiderhersteller; sein Geschäft besteht darin, Kleider zu signieren. Jockey International macht Hilfiger Unterwäsche, Pepe Jeans London macht Hilfiger-Jeans, Oxford Industries macht Tommy-Hemden und die Stride Ride Corporation stellt seine Schuhe her. Und was produziert Hilfiger selbst? Nichts. [S. 45]

Das bedeutet, dass, fast genau so wie an der Börse, das meiste Geld nicht durch effiziente Produktion gemacht wird, sondern durch das Verkaufen heisser Luft, eines Images!

Das Branding hat, wie wir gesehen haben, grosse Ähnlichkeit mit einem Ballon: Es lässt sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit aufblasen, enthält jedoch nichts als heisse Luft. ... Je ehrgeiziger ein Konzern die Kulturlandschaft markiert hat, und je unvorsichtiger er seine Arbeiter im Stich gelassen hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass er ein stilles Bataillon von Kritikern herangezüchtet hat, die nur darauf warten zuzustechen.

Das Logo ist eigentlich ein Nichts ... und es lässt sich sehr leicht wieder dazu machen. Auf Grund dieser Erkenntnis entstand das cultural jamming, das die Luft aus diesen Werbeblasen lassen wollte. Dass Werbung sehr wenig mit den reellen Produkten, ihren Rohstoffen oder den Herstellungsprozessen zu tun hat, war schon früh klar:

Wenn Sie für irgend ein Produkt Werbung machen, sehen Sie sich nie die Fabrik an, wo es hergestellt wird. ... Sehen Sie den Leuten nicht bei der Arbeit zu ... denn, sehen Sie, wenn Sie die Wahrheit über irgendwas wissen, die wirklich innerste Wahrheit, dann ist es sehr schwer, die oberflächliche Schaumschlägerei zu schreiben, durch die es verkauft wird.

Helen Woodward, Werbetexterin um 1920

Einem ähnlichen Zweck dienen die in den Teppichetagen, zunehmen im ganzen Haus, obligaten Tarnanzüge und Sauerstoffdrosseln (Krawatten), die das Denken verhindern sollen. Eine Vielzahl an Tempelhüterinnen des Kapitals, heute nicht mehr als Vestalinnen bezeichnet sondern als Stil- und Imageberatung, helfen den Anzugträgern das Dogma zu verteidigen, dass das gepflegte äusserliche Erscheinungsbild dem Gegenüber Respekt vermitteln und Vertrauen erwecken soll - während Sandalen auf unproduktive und verantwortungsscheue Ferienstimmung, und noch schlimmer Bärte, auf Maskerade und Hinterlist deuten sollen.

Die zwei wichtigsten Werbestrategien die mit den Logos verbunden waren war:

1. Die Exklusivität, die Zugehörigkeit zur reichen Oberklasse, die Leistungsfähigkeit, die heute meist nur noch als finanzielle Leistungsfähigkeit gemessen wird:: Ralf Laurens Polospieler, Lacostes Alligator Die Logos hatten die selbe Funktion, wie wenn man das Preisschild am Kleidungsstück gelassen hätte. [S. 47]
2. Jugendmarketing: Mitte der 90er wurde die Frage "Bin ich cool?" zur Existenzfrage. Hilfiger verkaufte den weissen Jugendlichen den schwarzen cool-Schein und jenen den weissen reich-sein-Schein, womit er seinen Absatz von 53 Millionen 1991 auf 847 Millionen 1998 steigerte.

Die wertvollsten Marken der Schweiz


[Interbrand]

1.4.2 Kultur & cultural jamming

Die wichtigste Kritik an der Globalisierung der Märkte betr. ihres Einflusses auf die Kultur lautet, dass durch betriebswirtschaftliche Homogenisierung die Vielfalt der Kulturen verloren geht. Das Prinzip ist einleuchten, was Vor- wie Nachteile betrifft. Wenn Unternehmen auf lokale Geschmäcker oder Sitten Rücksicht nehmen müssen, dann sind sie zum Scheitern verurteilt, da ihnen hier die lokalen Kleinbetriebe weit voraus sind. Also macht der Grossbetrieb genau das Umgekehrte: Er definiert sein Produkt als "guten Geschmack" - womit er die Bedürfnisse unterschiedlichster Nutzergruppen effizient homogenisiert. Der erfolgreichste Kulturimperialist in der Beziehung war und ist McDonalds (da Nestlé ein Schweizer Unternehmen ist, reden wir davon mal nicht ... ähum). Im Vergleich zur Rasanz der Ausbreitung dieser geschmacklosen Brötchen (ich konsumiere einen Hamburger jedes Jahr um mich zu vergewissern ...) humpelt die Gegenbewegungen des slow food in Frankreich und Italien (Deutschland, Schweiz) auf einem Bein daher. Warum?

Ein Musterbeispiel übelster Kulturversumpfung ist für Klein MTV. Dieser Musiksender wurde 1998 von 273 Millionen Haushalten empfangen, 70 Millionen davon in den USA. 1999 erreichte die Sendung bereits 83 Länder: Kritik: Je mehr Zuschauer die MTV-Vision von einem Stamm kulturaustauschender, globaler Teen-Nomaden akzeptieren, desto homogener wird der Markt für die Werbetreibenden, die ihre Produkte verkaufen müssen.

Cultural jamming wurde allerdings inzwischen von der Werbung derart assimiliert und von den Werbedesignern stilistisch dressiert, dass der ursprüngliche Zweck total unterging. Heutige Werbung, wie etwa Sprite: Gehorche deinem Durst, setzen das Konzept bereits selbst derart penetrant ein, dass damit der Kern des Widerstandes absorbiert, und der Widerstand gegen Werbung selbst gejammed wurde. Fazit:: Es gibt keinen Widerstand!

In seiner hohen Zeit, den letzten Jahren des vergangenen Millenniums, war cultural jamming eigentlich Zynismus pur - mit der klassisch stoisch-humorvollen Grundhaltung.

Beispiele:

*

Ein zusammengeschlagener Jugendlicher, mit dem Gesicht nach unten, ohne Schuhe, auf dem Betonboden liegend - auf der andern Seite des Bildes die Hand eines Jungen, der sich mit den Nike-Turnschuhen davon macht. Slogan: Just do it.
*

Die Magersüchtigen Modelle wurden mit dem Slogan: füttere mich / gib dem Supermodell zu essen auf die Schippe genommen.

http://www.adbusters.org/home/
Die Kosten eines modernen Inkjet-Druckers setzen sich deshalb wie folgt zusammen: Logistik 20 Franken, Marketing und Vertrieb 70 bis 300 Franken. Die Kosten für die Fertigung sind heute so tief, dass sie irrelevant geworden sind.

Patrick Roettger, Man. Dir. Lenovo Schweiz in Ph. Löpfe: Das Geheimnis des globalisierten Notebooks. CASH, 13. Okt. 2005, S. 24-25.

Relativ einfach war es auch, die teuren Exklusivmarken durch Filme aus ihren Produktionszonen bloss zu stellen. So gab es etwa einen Film von indonesischen Nike-Arbeitern, denen der Mund offen stehen bleibt, weil die Schuhe, die sie für 2$ am Tag produzieren, im Nike Town von San Franzisko 120 Dollar kosten. [S. 360] Oder die Reaktion von Haitianischen Arbeitern, denen der lokale Wert eines Wal-Mart Pocahonts T-shirts umgerechnet wird. Der Verkaufspreis von 10.97 $ entspricht nämlich auf Haiti 172.60 Gourdes, damit dem Fünffachen eines Tagesverdienstes der Arbeiter, die an einem Tag hunderte solcher Shirts herstellen.

http://www.bendib.com/newones/2008/march/small/3-29-Oil-vs.-Food.jpg

1.4.3 Das Problem der öffentlichen freien Meinungsäusserung

Das Burma-Gesetzt, das in Massachusetts diejenigen Firmen von staatlichen Kontrakten ausschloss, die mit Burma Handel betreiben, wurde von der WTO als illegal und wirtschaftsfeindlich erklärt. Stadt- und Einzelstaatregierungen wurden wegen Verstösse gegen WTO-Bestimmungen angeklagt, von der eigenen Regierung. Auf den ersten Blick scheint das einigermassen logisch. Die Begründung zeigt aber das Problem dahinter: Die selektive Wahl der Anbieter darf nicht auf Grund politischer Vorgaben geschehen. Die Idee der Verfasser aber war: Da Individuen die freie Wahl haben, sollten auch Kollektive, wie Schulen, Stadträte oder Staatsregierungen diese haben.

Ein ähnlicher Fall geschah in Vancouver. Hier machte das Gericht klar, dass über Handel keine Politik betrieben werden darf:

Shell Canada verklagte die Stadt Vancouver wegen Diskriminierung. Das Verfahren zog sich fast fünf Jahre hin, und im Februar 1994 entschied der kanadische Oberste Gerichtshof mit fünf zu vier Stimmen zugunsten von Shell. Richter John Sopinka schrieb, der Stadtrat dürfe sich bei ihren Beschaffungsbeschlüssen nur am Wohl der Einwohner von Vancouver orientieren - nicht an dem der südafrikanischen Bevölkerung. Der Zweck des Shell-Boykotts, schloss er, besteht darin, ohne jeden erkennbaren Vorteil für die Einwohner der Stadt Einfluss auf Angelegenheiten ausserhalb der Stadtgrenze zu nehmen. [S. 427]

Das ist schon ziemlich happig, denn es bedeutet, dass die Konzerne weltweit in ihrem Interesse Einfluss nehmen dürfen, die Politiker nur in ihrem eigenen Kreis - und auch das nur in Angelegenheiten, die diesen direkt betreffen.



1.4.4 "Volksbildung" durch Konzerne - Sponsoring durch Konzerne = Zensur durch Konzerne

Wir bieten wenig Existenzangst, nur ungehemmtes Konsumdenken.

MTV-CEO Tom Freston über den Programminhalt von MTV Indien im Juni 1997

Channel 1 legte eine Pipeline in die Schulklassen, für die er dann Höchstpreise von Werbekunden verlangen konnte, doppelt so viel wie das Fernsehen, da der Sender als Pflichtprogramm und ohne die Möglichkeit den Kanal zu wechseln oder den Ton abzudrehen wirklich "einzigartig" war.

Diese Markenkonzerne sind die besten und grössten Volksbildungsinstrumente des Planeten geworden. Die Aussage erinnert daran, dass auch in der Schweiz diese Verhältnisse schon lange herrschen. Die Migros deckt mit ihren Clubschulen mehr als die Hälfte des gesamten Schweizerischen Weiterbildungsangebots ab. Gratiszeitschriften wie 20 Minuten, aber noch mehr die Hauszeitschriften der dominierenden Detailhänder Migros und Coop werden von der Presse links (rechts?) liegen gelassen, wobei übersehen wird, dass diese mit 2 bis 2.5 Millionen LeserInnen mehr als das Doppelte des eben so überflüssigen Massenblattes 20 Minuten erreichen, das Dreifache der Boulevardzeitschrift, die mit Überschriften auskommt, und gar das Vierfache des gegenwärtig besten Massenblattes, des Tagesanzeigers.

Ein beliebter Werbezweig ist auch das Sponsoring:

Indem es das Unternehmerische überhöht, entwertet das Sponsoring zugleich, was es sponsert .... Das Sportereignis, das Konzert und das öffentliche Fernsehprogramm werden der Verkaufsförderung untergeordnet, da sie in den Augen des Sponsors und nach der Symbolik der Veranstaltung dafür da sind, Werbung zu machen. Dies ist nicht Kunst als Selbstzweck, sondern Kunst zu Reklamezwecken. [S. 51]

Die weltweiten Ausgaben für Sponsoring durch die Privatindustrie explodierten von 7 Milliarden $ 1991 auf 19.2 Milliarden 1999.

In allen drei Bereichen ist mit massiver Vertretung der Eigeninteressen zu rechnen, also mit der Unterdrückung von Kritik, d.h. mit Zensur. Die Grossen in den USA argumentieren mit "Familienfreundlichkeit". Ihre Anlagen sollen der ganzen Familie zum Einkaufen, zur Erholung, als Erlebnis dienen. Wal-Mart und die andern Supermarktketten, die 55% des amerikanischen Zeitschriftenverkaufs tätigen, werfen regelmässig Zeitschriften aus dem Verkauf, die zu viel nackte Haut zeigen oder sich sonst nicht "einkaufsfreundlich" zeigen. Da in den USA (wie hier) Meinungsfreiheit herrscht und es keine Zensur gibt ... legen Cosmopolitain und Vibe diesen Unternehmen jeweils Vorabdrucke vor. Als sich China für die ausländischen Medien öffnete, zeigten sich diese dankbar dafür, indem sie die Zensur auch hier gleich selbst leisteten. (nach S. 182)



1.4.5 Forschungspartnerschaften zwischen Universitäten und der Privatwirtschaft



Die Besteuerung von Grossunternehmen wurde in Kanada unter Britan Mulroney, in den USA unter Ronald Reagan, in Grossbritannien unter Margaret Thatcher (und in vielen anderen Ländern ebenfalls) drastisch gesenkt, ein Schachzug, der den Staatshaushalten Steuermittel entzog und den öffentlichen Sektor allmählich ausbluten liess. Angesichts sinkender Staatsausgaben liessen sich Schulen, Museen und Rundfunkanstalten in dem verzweifelten Bestreben, ihre Haushaltlöcher zu stopfen, bereitwillig auf die Partnerschaft mit Privatunternehmen ein. Zusätzlich gefördert wurde diese Entwicklung durch das damalige politische Klima, in dem es kaum möglich war, einen nicht-kommerzialisierten öffentlichen Bereich leidenschaftlich zu verteidigen. [S. 50]

Unternehmen die Sponsoring-Verträge mit Universitäten eingehen, schützen sich gerne mit einer Klausel gegen Rufschädigung: Keine Untersuchungen dürfen publiziert werden, die dem Ruf des Sponsors abträglich sind oder seinen Interessen entgegen stehen. Während des Maurier Tennis Tourniers 1996 an der New York Universität in Toronto wurde sogar das Verteilen von Flugblättern verboten.

Klein erwähnt eine Studie zu "Synthroid" von Boots - die herausfand, das die Wirkung von Synthroid äquivalent, aber nicht besser, ist als das viel günstigere Konkurrenzprodukt, woraus sich Sparmöglichkeiten von 365 Millionen $ auf der Einen, aber ein Verlust von 600 Millionen $ bei Boots ergeben hätten. Die Publikation der Resultate wurde durch Einspruch verhindert, kam allerdings durch einen Artikel im Wall Street Journal ans Licht, wurde also um 2 Jahre verzögert.

Eine andere Studie zeigte, dass Deferiprone von Apotex lebensbedrohliche Nebenwirkungen haben kann. Die Studie wurde abgebrochen und die Studienleiterin entlassen, da sie trotz Verbots publiziert hatte.

Wer denkt, so was gäbe es nur in den USA, der irrt. Es gab da mal einen Statistiker an der ETH, der hat statistisch belegt, dass Krebserkrankungen um Atomkraftwerke gehäuft vorkommen. Er hat bis heute Publikationsverbot. Es gab da mal eine Untersuchung die belegte, dass der Bödmerenwald eben doch kein Urwald ist. Die Untersuchung wurde eingestampft. Es gab da mal .... suchen Sie selbst. Es gibt jede Menge davon. Auch in der Schweiz. Man darf bei der heeren Forschung nicht vergessen, dass auch sie in Betrieben stattfindet, die auf Finanzierung angewiesen sind und die über Hierarchien gelenkt werden.

Peinlich sind eigentlich Professuren von Nahrungsmittelungernehmen, Webanbietern, Spielzeugfabrikanten oder gar Supermarktketten - aber offenbar nicht in den USA. Die von Naomi Klein erwähnten sind nach wie vor, und offenbar sogar mit Stolz, im Internet zu finden [S. 117]:

* Taco Bell Distinguished Professor of Hotel and Restaurant Administration, Washington State University
* Yahoo! Chair of Information-Systems Technology, Stanford University
* Lego Professorship of Learning Research, Massachusetts Institute of Technology
* J. Patrick Kelly, Prof. Kmart Chair of Marketing, Wayne State University - dessen Forschung Kmart ein Vielfaches der gespendete 2 Millionen eingebracht hat.

Irgend wann in diesen Jahren hörten Professoren und Studenten also auf, miteinander zu streiten, weil sie merkten, dass sie einen mächtigeren gemeinsamen Feind hatten: Marken erobern die Forschung und die Lehrfreiheit, vor allem aber die Forschungsfreiheit, wird zunehmend durch Kommerzialisierung bedroht. Stellte sich früher die Forschung (nicht jedoch alle Forscher) in den Dienst der schöpferischen Suche nach Erkenntnis und Fortschritt, der Lösung wissenschaftlicher Probleme, so scheint heute das wichtigste Ziel von Lehre und Forschung zu sein, neue, vermarktbare Produkte und Prozesse zu finden. In den letzten 15 Jahren wurden auch hier in der Schweiz die Universitäten mehr und mehr über die Anzahl der von ihr losgetretenen Startups, der von ihr aus beantragten Patente und der von ihr erzielten, bildungsmarkt- (nicht aber ausbildungs-)relevanten Nobelpreise gemessen.

Patente und Spin-offs sind aber Privateigentum, das private Recht, ein spezifisches Wissen zu verwenden und zu vermarkten. Dieses Wissen war aber nie Ziel und Sache der Universität, sonst hiesse sie nämlich Privatizität:

In vieler Hinsicht sind Schulen und Universitäten unsere fassbarste Verkörperung von öffentlichem Raum und kollektiver Verantwortung. Insbesondere der Campus- mit seinen Wohnanlagen, Bibliotheken, Gründflächen und allgemein anerkannten Regeln für den offenen und respektvollen Diskurs - spielt eine zentrale, wenn auch weitgehend symbolische Rolle: Er ist der einzige noch vorhandene Ort, wo junge Menschen noch echtes öffentliches Leben kennen lernen können. [S. 121]

Man muss hier vielleicht doch darauf aufmerksam machen, dass der Campus vieler Colleges und Universitäten Englands z.B. seit jeher geschlossen, und den höheren sozialen Schichten allein zugänglich waren. Insbesondere die Internate dienten der Erhaltung der geschlossenen Gesellschaft. Die Öffnung zu dem von Klein so geschätzten offenen Campus geschah erst langsam, vor allem durch die 68er - und der erneute Schluss derselben durch wirtschaftliche Interessen zeigt somit eine Gegenbewegung. Sollen Lehr- und Forschungsfreiheit, wie das Ideal des Campus, Forums oder der Agora erhalten werden, so wird dies nicht ohne Engagement und Anstrengungen möglich sein. Ein aktueller Fall anhand dessen sich die Entwicklung beurteilen lässt, ist der Novartis Campus.Novartis Campus



2. Förderung der Konzerninteressen

2.1 WTO, WELTBANK, IWF (Internationaler Währungsfonds, IMF auf engl. als International Monetary Fund), World Economic Forum ...

Die WTO (World Trade Organisation - WHO als Welthandelsorganisation), Nachfolgerin des GATT (General Agreement on Trade and Tarifs) vertritt die Interessen der Welthändler, und die sitzen zu 80% in den USA, Kanada, Japan und der EU. Widerstand ist also zwecklos oder sogar Selbstmord. Innerhalb der WTO sind es aber nur wenige transnationale Gesellschaften, ca. 200, die den Ton angeben. Man versucht über diese Organisation, das, was generell die Aufgabe von "Organisationen" ist, nämlich: die eigenen Interessen zu stärken, und die der Anderen zu unterlaufen: TRIPS, Ablehnung einer Sozialklausel und einer Umweltklausel, die es erlaubt hätten, Waren aus dem freien Verkehr auszuschliessen, die unter nicht hinnehmbaren sozialen oder ökologischen Bedingungen hergestellt wurden. [Jean Ziegler: Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher. C. Bertelsmann. München 2002]

http://radicalgraphics.org/albums/Money/What_s_So_Bad_About_Capitalism.sized.jpg

Die WTO scheint auf den ersten Blick demokratisch. Entscheidungen werden aber in den sog. Green-Room-Sitzungen getroffen, die von der EU, den Vereinigten Staaten, Kanada und Japan kontrolliert werden. [George Monbiot: United People. Manifest für eine neue Weltordnung. Riehmann. One Earth Spirit. 2003. S. 25]

Die WTO wird vor allem getrieben durch Interessen globaler Konzerne, meist aus den USA. Ohne American Express und Citicorp hätte es kein WTO-Dienstleistungsabkommen gegeben, ohne Cargill (Getreidehandel) kein Landwirtschaftsabkommen, Diese Abkommen behandeln nationale Sozial- und Umweltgesetze zunehmend als Handelsschranken, die es zu beseitigen gilt. Der Zugang solcher Grosshändler macht allerdings die kleinen kaputt, der Zutritt grosser Banken verschafft den Kleinbetrieben (KMUs) keine Kredite, "erledigt" aber häufig ländliche Kleinbanken, die solche ermöglicht haben. Der internationale Handel von Nahrungsmitteln verdrängt lokale Kleinproduzenten. Die Politik der WTO begünstigt die eh schon Grossen.

Die Weltbank: Heute gibt es in der ganzen Dritten Welt riesige Staudämme, die verschlammt sind, Strassen, die verkommen und ins Nirgendwo führen, leer stehende Bürogebäude, verwüstete Urwälder und Felder und riesige Schulden, die niemals zurückgezahlt werden können. Das sind die vergifteten Früchte jener Politik, die die Weltbank seit den Tagen McNamaras bis heute verfolgt. [Zur Strategie und Taktik s. John Perkins]. Die Weltbank ist der führende Propagandist einer neoliberalen Wirtschaftsordnung, also der Vorteile einer Privatisierung öffentlicher Güter. Obwohl dies sachlich falsch ist, beten fast alle Entwicklungsorganisationen das Credo nach, da sich die meisten eben gerne am reichlich fliessenden Projekt-Tropf der Weltbank laben: Die Reden, welche auf den grossen internationalen Konferenzen gehalten werden, und die an die Adresse der Weltbank gerichtete Kritik werden plötzlich milder. Diese NGOs vehalten sich letztlich wie feile Dirnen. [Ziegler, S. 171] Dies passiert immer, wenn die grossen Geldgeber wieder mal ein restauratives Antiforum gründen, das mit reichlich Projektgeldern gesegnet ist: 1999 schlossen sich einige der meistgehassten Multis der Welt - Dow Chemical, Nestlé, Rio Tinto, Unocal - hastig einer Partnerschaft zwischen verschiedenen Menschenrechtsgruppen und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen an. Zusammen bildeten sie neue Dachorganisationen mit Namen wie Business Humanitarian Forum, Partners in Development und Global Sustainable Development Facility.

Die Demokratie der Weltbank ist eine Gelddemokratie, also eigentlich eine Plutokratie, denn die Stimmen entsprechen der jeweiligen Höhe der Einlagen. Auch hier haben die Herrschenden Bremsen eingebaut, die substantielle Änderungen verunmöglichen, denn da jeder Beschluss, der die Satzungen betrifft, mit einer Mehrheit von 85% gefasst werden muss, können die USA, die 17.4% der Stimmen halten, jede Änderung selbst verhindern.

Beim IWF, dem internationalen Währungsfonds, wird gemäss der Finanzkraft der 183 Mitgliedsländer abgestimmt, also mit ähnlichem Resultat wie bei WTO und Weltbank. Das Hauptanliegen des IWF scheint es zu sein, Verluste bei westlichen Banken zu verhindern. [Zur Strategie und Taktik s. auch hier John Perkins:]

Das Dogma der Herrscher und ihrer Söldlinge hat ein Herzstück: Privatisierungen. Jedes Mal wenn ein Minister nach Washington fährt, um kniefällig eine Kreditverlängerung zu erbitten, entreissen ihm die Aasgeier vom IWF ein weiteres Stück von der Industrie oder dem öffentlichen Sektor seines Landes.

Die Methode ist immer die Gleiche: Der IWF verlangt - und setzt durch -, dass Industrien oder Dienstleistungsunternehmen (Transport, Versicherung) eines rentablen Wirtschaftssektors an transnationale, im Allgemeinen nordamerikanische oder europäische Gesellschaften verkauft werden. Die nicht-rentablen Wirtschaftssektoren verbleiben natürlich bei der lokalen Regierung.

Die Asienkrise von 1997 ist dafür ein gutes Beispiel. Die südostasiatischen Staaten hatten, auf Druck der USA und der Finanzinstitute von Bretton Woods (Bretton Woods hat den Dollar als Leitwährung bestimmt, mit dem Problem, dass dies der USA einiges Potential gibt, diese Situation auszunutzen.), ihre Kontrolle über die Finanzströme aufgeben müssen. Als Folge kamen enorme Mengen kurzfristigen Investitionskapitals ins Land, die nach raschen Gewinnen riefen. Kolossale Bürotürme, Spielcasinos, Freizeitclubs, Luxuswohnungen wurden in kürzester Zeit aus dem Boden gestampft, so dass das Angebot die Nachfrage bald übertraf (und die Renditen die Erwartungen untertrafen). ie Blase platzte und das "Investitionskapital" war genau so rasch wieder weg wie es gekommen war, hinterliess aber, präzise wie ein Tsunami, beim Rückzug gewaltige Schäden. Die Forderungen der ausländischen Spekulanten mussten mit IWF-Krediten gedeckt werden, der seinerseits auf drastischen Kürzungen der Haushalte, insbesondere der Sozialausgaben und Unternehmerkredite bestand. Dies präzise in einer Phase, in der hunderttausende die Arbeit verloren. Der Mittelklasse wurde der Boden unter den Füssen weggezogen.

Die G8-Staaten, also USA, Kanada, Japan, Russland, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien halten 49% der Stimmrechte am IWF und 48% der Weltbank. Die Macht ist unter den 148 Mitgliedstaaten also äusserst ungleich verteilt und hat mit Demokratie wenig zu tun. Da es eine Demokratie des Geldes ist, müsste man diese Herrschaftsform Pekunikratie nennen (pecunia = Vermögen, Geld, Kapital, von pecu, der Anzahl Köpfe der Viehherde). Diese Pekunikratie ist der Grund, warum sich alle Staaten darum reissen, dem IWF und der Weltbank das Geld nachzuwerfen, ganz den Gesetzen der Schwarzen Löcher gehorchend, deren Anziehung um so grösser wird, je mehr (untaugliche und schädliche Entwicklungsprojekte) sie schlucken.

Da die Mitgliedsländer verpflichtet sind, Währungsreserven in Dollar zu halten, stützen sie den Dollar als Weltwährung, ganz egal welchen Sch... Bush zu hause produziert. Die USA profitieren so 1) von der Seignorage (dem Gewinn des Münzers), und 2) zahlen arme Länder zwar 18 % an Zinsen für die Aufnahme von Dollarkrediten, erhalten aber in den USA bloss 3% auf ihr Depot.

In der Zwischenzeit scheint der IWF allerdings selbst auf dem absteigenden Ast zu sitzen, oder auf dem Ast, den er selbst absägt. Brasilien, Argentinien, Russland und einige Asiatische Länder haben ihre Kredite vorzeitig zurückgezahlt, Indonesien prüft dies, die Ukraine, Uruguay, Serbien-Montenegro und Pakistan wollen keine neuen Kredite. Diese sind zwischen April 2004 und Januar 2006 von 90 auf 31 Milliarden Dollar zurückgegangen - obwohl die Bank über 162 Milliarden verfügt, die sie ausschütten könnte. Den "Kunden" reichen aber die Vorschriften, die an IMF-Kredite gebunden sind, und mit denen die Situation, sogar die wirtschaftliche Situation, in den meisten Ländern verschlimmert wurde. Zur Zeit stürzt sich also die Bank, wen wundert's, auf den Irak. Vermutlich ist dort die Sparquote zu tief ... Beim IWF sind also dringend Reformen, und mehr Mitbestimmung nötig. [Bruno Gurtner: Dem IWF laufen die Kunden davon. Global+ No 21, 2006, S. 8-9]. Die Asiatischen Staaten haben, um sich vor der Einflussnahme des IWF zu schützen, inzwischen so viel Geld auf der hohen Kannte, dass sie auf den Verein spucken können. China z.B. könnte mit seiner Billion $ Währungsreserven die gesamte indische Wirtschaft aufkaufen - aber dennoch hat Asien insgesamt nur 10% der Stimmrechte, obwohl es 25% der Weltwirtschaft betreibt.

Sogar die UN wird, über den Sicherheitsrat, von den USA und den ... weitern Mitgliedern kontrolliert, den Vereinigten Staaten, Grossbritannien, Russland, Frankreich und China. Gegen diese kommt kein kleines Land an. Eine Änderung der Statuten kann zudem immer vom Sicherheitsrat gebremst werden, in dem die 5 das Vetorecht haben. Dass die Kriege die seit 1945 von den USA geführt wurden nicht alle den hehren Zielen der UN entsprochen haben, also: der Bewahrung des Friedens, Schutz der Menschenrechte, Einhaltung internationalen Rechts, sozialer Fortschritt, weltweite Hebung des Lebensstandards, Verhinderung eines weiteren Weltkrieges, muss nach dem Irak-Krieg wohl kaum mehr erläutert werden. Alleine die USA haben seit 1945 über 200 Kriege geführt, die meisten im höchst eigenen Interesse wirtschaftlicher und politischer Macht.

Die 5 permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates können auch die Wahl eines Generalsekretärs, die Wahl der Richter des Internationalen Gerichtshofes oder die Aufnahme neuer Mitglieder in die UN blockieren. - Dafür sind die Stimmrechtsverhältnisse in der Generalversammlung recht eigenartig, denn da hat etwa Tuvalu mit 10'000 Einwohnern das selbe Gewicht in der Abstimmung wie Indien mit mehr als 1 Milliarde Einwohner.

Eine erste Protestwelle gegen unbegrenztes Wachstum war der Club of Rome, der zwar erst mal über seine zu Endzeitlichen und zu kurzfristigen Prognosen stolperte, im Nachhinein aber recht behalten wird. Dann setzte in den 90ern eine Welle des "sustainable development" ein, die zwar immer noch wellt, aber durch absurde umdefinieren von "sustainable, nachhaltig" z.B. in "nachhaltiges Wachstum", als Synonym für immerwährendes Wachstum, total verarscht wurde.
Über zweihundert Jahr lang herrschte dann, zumindest theoretisch, eine Art von labilem Gleichgewicht zwischen dem Wort der Mächtigen und dem Wort der Unterdrückten. Im ganzen 19. Jahrhundert und noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein stand die Arbeiterkultur in Blüte. Das Lager der Armen hatte seine Künstler, seine Intellektuellen, seine Philosophen. Es brachte seine eigenen Zeitungen heraus. Es hatte seine Theater, seine Festlichkeiten, seine Umzüge, seinen Kalender. Seine Gewerkschaften, seine Parteien wurden mächtig. Kurzum das Lager der Armen verfügte in dieser Zeit über eine solide kollektive Struktur von grosser Lebendigkeit und Dynamik, über eine in allen Farben schillernde Kreativität und einen felsenfesten Widerstandswillen.

Heute ist dieses Gleichgewicht zerstört. Das Wort Opfer ist praktisch aus dem Diskurs verschwunden.

[Jean Ziegler: Die neuen Herrscher der Welt. Bertelsmann. S. 227]





3. Wie weiter?

Alternative Bewegungen [s. 68er]

* Die Reifen, die Alten, die Fossile (1909-45 geboren - betrifft heute natürlich zunehmend die Babyboomer ...
* die Babyboomer (1946-1964 geboren, also die 40-60-jährigen). Man sieht hier leicht, dass diese Generation 1968 erst 4-18 Jahre alt, also nur am Rande an dieser Kulturrevolution beteiligt war. (Die meisten meiner Kollegen behaupten zwar, bereits mit 13 Jahren über ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein verfügt zu haben. Ich war aber dabei - und von denen die da, mit dem Maobüchlein in der Tasche, ho-ho-hochiminh gerufen haben wusste wohl kaum einer recht, mich inbegriffen, worum es eigentlich ging.) Diese entstand primär an den Universitäten, wurde also von der Nachkriegsgeneration, den 43-48 geborenen, den Fossilen, angetrieben.
* Generation x (1960-70 geboren, also die bis 35-45-jährigen), die nach dem Motto leben:

Ich muss mir in dieser Welt nehmen, was ich kriegen kann, denn niemand wird mir was schenken.

http://radicalgraphics.org/albums/Money/make_capitalism_history_by_GhostCity.sized.jpg

Die wichtigsten Bewegungen seither:

*

Umweltbewegungen
*

Konsumkritik: Von den sozialen Bewegungen der Sechziger- und Siebzigerjahre war keine konsumkritischer als die Frauenbewegung.
o Fair Trade

Fair Trade improves lives through:

* fair wages

* long term partnerships

*environmental stewardship

* democratic decision making

* cultural connections


*

Identitätspolitik: Der Kampf gegen Unsichtbarkeit - und um kulturell bessere Repräsentanz.
*

Rückeroberung des öffentlichen Raums: reclaim the street s. streetparade.
*

Menschenrechte - insbesondere für Indigene Völker: In Indien (wie anderswo) wurden z.B. Stämme mit Gewalt an Protesten gegen den Bau von Hotels, Kraftwerken u.a. "Erschliessungen" auf ihrem eigenen Land gehindert: Die Lage in Indien ist laut Bericht "nicht nur am schlimmsten, sondern entspricht auch einem Trend in der Weltwirtschaft, die Menschenrechte zugunsten von "Entwicklung" zu missachten. (s. Bhopal. Aber auch Niger, wo Ken Saro Wiwa in den Auseinandersetzungen mit Shell erhängt wurde.)
o

Amnesty International CH, D, Oe
*

Antirassismus: Antiapartheid Bewegung
* Global Justice Movement [Übersetzung von mir. Hier wie beim Weltsozialforum (s.u.) sind die Formulierungen oft schlicht haarsträubend. s. 3: Was immer physikalisch möglich ist, ist auch finanziell möglich. In der Beziehung kommen wir zur Zeit bereits massiv mit den medizinischen Möglichkeiten in Bedrängnis, da wir ein Mehrfaches des BSP schon nur für die Dinge aufwenden könnten, welche heute zur "Verbesserung" der Gesundheit angeboten werden. Der "Zugang zu produktivem Eigentum" liesse sich verständlicher formulieren als: Recht auf Arbeit. Wir haben heute eine Pflicht zu arbeiten - aber kein Recht auf einen Arbeitsplatz, was doch nicht so ganz logisch erscheint. Besonders diffus ist Paragraph 4, in dem es um das Problem geht, dass ich als Machttreppe beschrieben hat, das Problem der persönlichen Bedeutung und Macht, das Problem des Thymos.]

Globale Gerechtigkeit für Alle

1. Viel Reichtum kann geschaffen werden durch Tätigkeiten und Innovationen von Menschen die längst tot sind. Ohne jemandem etwas weg zu nehmen ermöglicht dieses kulturelle Erbe:
o

Wärme, saubere Luft, reines Wasser, Nahrung und Behausung, Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheits- und Bildungsdiensten
o

respektiert zu werden, gleich frei und in der Lage, das eigene Schicksal zu wählen.
o

das emotionale, intellektuelle und spirituelle Potential auszufüllen

Respekt für die Erde

2. Jede Person muss den Rest der Schöpfung respektieren und Verantwortung für die Erhaltung der Umwelt übernehmen, inklusive Fauna und Flora, die alle in Verbundenheit existieren und mit den Menschen eine gemeinsame göttliche Herkunft teilen

Überfluss und Freiheit sind Möglich

3. Unveräusserliche Rechte des Individuums sind das Recht auf Leben, Zugang zu produktivem Eigentum, wirklich freie Märkte und Rechtsgleichheit. Was immer physikalisch möglich ist, ist auch finanziell möglich.

Kreativität an der Arbeit

4. Es gibt eine Hierarchie menschlicher Arbeit. Die höchste Form von Arbeit ist es, die soziale Ordnung zu verbessern und die Stellung jeder Person, oder, wenn gewünscht, die Macht, in ihren frei gewählten Beziehungen zu andern zu erhöhen. Die niedrigste Form der Arbeit ist Arbeit des Überlebens willen.

Wirtschafts-Demokratie

5. Es ist die Aufgabe demokratisch gewählter Regierungen, sicherzustellen, dass eine transparente öffentliche Verwaltung die Ziele erreicht, die ihr vom Volk gestellt werden - so weit als individuelle Rechte anderer nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

*

Konzernkritik (s. diesen Artikel, ATTAC, )
*

....

Die Methode, d.h. die Strategie dieser Bewegungen bestand in den letzten Jahren vor allem darin, zu Foren wie G8, Welthandelskonferenz, IWF Jahresversammlung, Weltwirtschaftsforum, etc ein Gegenforum am selben Ort abzuhalten - um die mediale Präsenz gleich mit nutzen zu können für die Kritik an den doch recht einseitigen Inhalten solcher Foren. Leider beschränkt sich die Präsentation der Gegenforen meist auf Darstellung von medial interessanten Aktionen wie Steine werfen und Schlägereien, während die Botschaft dahinter oft nicht weiter vermittelt wird. Dass diese Botschaft oft auch etwas diffus daher kommt, erleichtert ihre Unterdrückung.

Anstehende Probleme:

Loyalität kann nicht verordnet werden

Für Klein ist dieses Verhalten der Generation x ein bestimmendes Element der gegenwärtigen Probleme. Das verlorene Vertrauen in Politik und Konzerne führt zur Übernahme der sozialdarwinistischen Werte eben diesen Systems. Sie werden härter, gieriger, zielbewusster . Wobei sich mancher bei "zielbewusst" vermutlich am Kopf kratzen und fragen wird: really? Das Rätsel löst sich aber leicht. Auch wer chaotisch abgehoben und ohne höhere Ziele lebt - aber immer brav Geld und Karriere (getarnt als "Selbstverwirklichung") nachrennt, kann ja als zielbewusst gelten. Dadurch dass sich die Wirtschaft von allen Regeln befreien will, seien es Recht, Gesetz, Politik, Gesellschaft, und sich längst der "unsichtbaren, aber ordnenden Hand (Gottes)" entzogen hat, förderte sie einen destruktiven Vulgärdarwinismus: Jeder gegen Jeden, der zu Recht die Frage in den Vordergrund rückt: Warum sollten sie sich weiterhin für wirtschaftliche Ziele von Konzernen engagieren, die sich so effektiv von ihnen losgesagt haben? Warum sollten sie sich loyal gegenüber einem Sektor verhalten, der sie ihr ganzes bisheriges Erwachsenenleben lang mit der Botschaft "zählt nicht auf uns" bombardiert hat? [S. 278]. Mit dem Druck auf die Löhne kommt noch dazu:

Wer mit Peanuts bezahlt, kriegt Affen als Arbeitskräfte. [S. 278]

http://radicalgraphics.org/albums/Money/money_fist_radgraph.sized.jpg

Die Wirtschaft führt mit der Jugend die klassische paradoxe Kommunikation (s. Watzlawick: double bind), und diese führt nicht nur zu Orientierungsverlust sondern auch zum weitern Abbau jeglicher Solidarität mit den Betrieben. Bereits vor 10 bis 15 Jahren zeichnete sich auch ab, dass die Werbung zwar auf die Jugend setzt, um ihre Produkte loszuwerden, dass gleichzeitig aber die Wirtschaft von den Jugendlichen immer mehr verlangt, also mit 25 Jahren die selbe Erfahrung zu haben die der zu ersetzenden Vorgänger mit 60 hatte; dass gleichzeitig die Jugend bereits im Kindergarten in den späteren Wettbewerb um die beste Pfründe (sprich Stelle) tritt.

Stil und Haltung von Jugendlichen gehören zu den besten Verdienstquellen in unserer Unterhaltungsgesellschaft, aber real existierende Jugendliche werden rund um den Erdball als eine neue Art von Wegwerf-Arbeitskräften missbraucht. S. 284

Indem sie auf ihre angestammte Rolle als direkte Verwalter von sicheren Arbeitsplätzen verzichten, um ihre markenpolitischen Träume zu verwirklichen, haben sie die Loyalität verspielt, die sie einst vor der Wut der Bürger schützte. Und indem sie einer ganzen Arbeitergeneration eingebläut haben, dass sie sich auf die eigene Kraft verlassen muss, haben sie unfreiwillig ihre Kritiker dazu befähigt, ihre Wut ohne Furcht zu artikulieren. [S. 455-6]



Der 11. September

Der 11. September 2001 setzte leider einen neuen Schwerpunkt, leider nicht für mehr Gerechtigkeit, sondern zum Krieg gegen den Terrorismus ... leider nicht gegen den grossen Terrorismus der Staaten und Unternehmen, sondern bloss gegen den Kleinen der Machtlosen.

Was damals schon deutlich wurde, nämlich dass die USA nicht im geringsten auf solche Katastrophen vorbereitet ist, da das Verkehrssystem, Wasserversorgung, Energieversorgung und insbesondere das Gesundheitssystem, also alle öffentlichen Dienste, am Anschlag arbeiten, hat sich anlässlich von Katarina aufs härteste bestätigt. Stunden Hilfsgüter weltweit bereit, sogar in Kuba, sahen sich die USA nicht mal in der Lage, diese Güter zu empfangen, zu verteilen und gezielt einzusetzen. Die UN musste den Job übernehmen.



Aktuelle Lösungsansätze

Die 90er haben den Vorteil offener, ehrlicher Informationen deutlich gezeigt: Wenn die Arbeiter wissen, dass die Produkte, die sie für ein paar Cents herstellen für 50 bis 100 Dollar verkauft werden, werden sie eher die Bezahlung von Überstunden verlangen oder die lange versprochene Gesundheitsvorsorge.

Naomi Klein findet ihre 90er Anarcho-Wurzeln offenbar bei den Zapatistas in Mexiko.

*

Diese begegnen Konzentration durch Fragmentierung, Zentralisierung durch Lokalisierung und der Konsolidierung von Macht durch radikale Verteilung von Macht.
*

Die Kritik an globalen Institutionen wird nur das Symptom einer tieferen Krise der repräsentativen Demokratie gesehen, einer Krise, die darauf beruht, dass Macht und Entscheidungsfindung an Institutionen delegiert werden, die immer weiter von den Orten entfernt sind, wo sich ihre Entscheidungen auswirken.
*

Hoch zentralisierte Institutionen, die alles nach den gleichen Massstäben beurteilen, führen unmittelbar und zwangsläufig zu einer Homogenisierung der politischen und kulturellen Wahlmöglichkeiten und zu weit verbreiteter Lähmung und Gleichgültigkeit der Zivilgesellschaft.

Vielleicht kommt etwas völlig Neues dabei heraus. Nicht eine weitere vorgefertigte Ideologie für einen Gladiatorenkampf gegen den Fundamentalismus der freien Marktwirtschaft und gegen den islamischen Fundamentalismus, sondern ein Plan, um viele Welten möglich zu machen und zu entwickeln - oder, wie die Zapatisten sagen, eine Welt, die viele Welten enthält. Vielleicht wird diese Bewegung von Bewegungen die Vertreter des Neoliberalismus nicht frontal angreifen, sondern sie von allen Seiten umzingeln? [S. 520]

Motto:

Wir selbst sind die Führer, nach denen wir Ausschau halten. [S. 516]

Es waren darin einige Erfolge zu verzeichnen. So sah etwa in einer Gerichtsklage gegen zwei Greenpeace Mitglieder das Gericht die Behauptung als gerechtfertigt an, dass McDonald's "seinen Arbeitern niedrige Löhne bezahlt und dazu beiträgt, die Löhne im britischen Hotel- und Gaststättengewerbe zu drücken". So wurde etwa das britische Gesetz gegen Verleumdung 1993 so geändert, dass Regierungsorgane wie Stadträte nicht mehr berechtigt sind, wegen Verleumdung zu klagen. Die Reform sollte es dem Bürger erleichtern, Regierungsorgane zu kritisieren. Die Multis werden zurzeit rapide mächtiger als die Regierungen - und sind sogar noch weniger Rechenschaftspflichtig-, also sollten für sie die selben Regelungen gelten.

Hier besteht ein noch zu lösendes, nein, nicht bloss ein, das dringendste zu lösenden Problem der Gegenwart, nämlich

1.

der: Schutz der freien Meinungsäusserung angesichts der wachsenden Macht der Konzerne
2.

der Schutz der individuellen Handlungsfreiheit vor den Diktaten der Machtwirtschaft (Finanzwirtschaft)

Schon vor dem 11. September breitete sich eine neue Stimmung der Ungeduld aus, ein starkes Bedürfnis nach sozialen und wirtschaftlichen Alternativen, die an die Wurzeln der Ungerechtigkeit gehen - von der Landreform in der Dritten Welt über die Entschädigung für die Sklaverei in den USA bis zur partizipatorischen Demokratie auf Gemeindeebene in Städten rund um die Welt. Kondensationspunkt war 1999 die Demo in Seattle gegen WTO, IWF, Weltbank, Wirtschaftsforum - und das von diesen vertretene Globalisierungsmodell. das Milliarden von Menschen aus "seinem Weltmarkt" ausschliesst!

Der ehrgeizigste Versuch einer sozialen Neuordnung der Entwicklung ist gegenwärtig das Weltsozialforum (WSF), das erstmals im Januar 2001 im brasilianischen Porto Alegre, mit 10'000 Teilnehmern, stattfand.


Charta/Prinzipien (E/D) des Welt-Sozialforums von Porto Alegre, gekürzt und kommentiert:

Weiterentwicklung von: Postkapitalismus/Finanztheater-Kapitalismus: Kapitalismus ohne Investitionen = Kapital ohne Verantwortung. Nach: Naomi Klein: No Logo! Goldmann, Random House. 2000

Was ist das Weltsozialforum 1. Teil?

1. Das Weltsozialforum ist ein offener Treffpunkt für reflektierendes Denken ... freien Austausch von Erfahrungen und das Verbinden für wirkungsvolle Tätigkeit, durch und von Gruppen und Bewegungen der Zivilgesellschaft. Widerstand gegen Neoliberalismus und Kapital ... ja, sicher, aber hier ist eine präzisere Formulierung nötig sonst bleibt der Eindruck bestehen, dass es sich einfach um eine Gruppierung von Leuten handelt, die dagegen sind, wogegen auch immer.
2. Das Weltsozialforum ist ein permanenter Prozess des Suchens und des Aufbauens von Alternativen.
3. Das Weltsozialforum ist ein Weltprozess.

Was will das Weltsozialforum? Zielsetzung 1. Teil

4. Diese Alternativen sind so gestaltet, dass eine Globalisierung in Solidarität ... sicher gestellt wird. Diese wird die allgemeinen Menschenrechte respektieren, die Rechte aller Bürger - Männer und Frauen - aller Nationen, die Umwelt, und sie wird gestützt sein auf demokratische, internationale Systeme und Institutionen im Dienste sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und der Selbstbestimmung der Völker.
5. Das Weltsozialforum bringt Organisationen und Bewegungen der Zivilgesellschaft aus allen Ländern in der Welt nur zusammen und verbindet sie, aber beabsichtigt nicht, eine Institution zu sein, welche die Weltzivilgesellschaft repräsentiert. Diese nicht-Formulierung sollte in eine positive gewandelt werden. Es ist klar, dass Repräsentation immer ein Problem darstellt, da die Repräsentanten sehr schnell vor allem ihre eigenen Interessen vertreten und versuchen, den Wähler mit passenden Erklärungen bei Laune zu halten. Dennoch sollte das Forum seine politische Kraft, die es hat, gezielter einsetzen und verlauten lassen als "Die vorherrschende Meinung des Forums", "Vorschläge des Sozialrates" oder so was. Das Produkt des Forums muss eine klare Form und Aussage kriegen, die politisch Wirkung erzeugt.

Wie funktioniert das Weltsozialforum?

6. Nicht als repräsentatives politisches Forum oder Parlament. Die Teilnehmer an den Foren haben keine repräsentative Funktion. Das Forum ist also kein Parlament, in dem über Machtverteilung und Kompromisse verhandelt wird. Die Teilnehmenden Organisationen und Personen sind frei sich an die gemeinsamen Beschlüsse zu halten oder eben nicht. > Umwandeln in positive Formulierung!
7. Das Forum nimmt Vorschläge für Aktionen auf und macht sie publik (- ohne zu kritisieren oder zu werten. Noch beabsichtigt es, die einzige Option für die Wechselbeziehungen und Aktivitäten der Organisationen und Bewegungen, die an ihr teilnehmen, festzusetzen. Hier wäre vermutlich noch einiges mehr an politischer Verhandlungsarbeit zum Wohle einer klareren Zielsetzung nötig. Chaotische Aktivismus erzeugt zwar mediale Aufmerksamkeit - wenn jedoch nicht klar ist, wozu diese dienen soll oder ob sie sogar Selbstzweck ist, sind die Aktionen ziemlich für die Katz. Auch ein Parlament kann ja den beteiligten Parteien nicht Optionen vorschreiben - aber es kann und soll die in den Parteien vertretenen Meinungen kritisch würdigen).

Was ist das Weltsozialforum 2. Teil?

8. Das Weltsozialforum ist ein pluraler, breit gefächerter, nicht-konfessioneller, nichtstaatlicher und nicht-parteiischer Zusammenhang, der auf dezentralisierte Art und Weise die Organisationen und Bewegungen verknüpft, die durch konkrete Aktionen von der lokalen bis zur internationalen Ebene dabei mitwirken, eine andere Welt aufzubauen. > zu Diffus. Netzwerk? s. Punkt 13.

Teilnehmer:

9. Das Weltsozialforum wird immer ein Forum sein, das offen ist für Pluralismus, Vielfältigkeit der Aktionen und Arten des Engagements der Organisationen und der Bewegungen, die sich entscheiden, an ihm teilzunehmen, sowie für Vielfalt der Geschlechter, der Ethnien, der Kulturen, der Generationen und der physischen Kapazitäten, vorausgesetzt sie halten sich an die Prinzipien dieser Charta. Weder Repräsentanten von Parteien noch militärische Organisationen können am Forum teilnehmen. Regierungsmitglieder und Staatsbeamte, die die Verpflichtungen dieser Charter annehmen, können als Einzelpersönlichkeiten eingeladen werden.

Zielsetzung 2. Teil:

10. Das Weltsozialforum widersetzt sich allen totalitären und reduktionistischen Ansichten der Wirtschaft, der Entwicklung und der Geschichte, und dem Einsatz von Gewalttätigkeit als Mittel der Sozialsteuerung durch den Staat. Es unterstützt Respekt für die Menschenrechte, die Praxis echter Demokratie, partizipatorische Demokratie, friedliche Beziehungen in Gleichheit und Solidarität zwischen Menschen, Ethnien, Geschlechtern und Völkern, und verurteilt alle Formen von Herrschaft und jede Unterdrückung eines Menschen durch einen anderen.

Was ist das Weltsozialforum 3. Teil?

11. (grauenhafte Formulierung in neomarxistischem Soziologendeutsch in der sämtliche Schlagwörter recht wild zusammengewürfelt sind; eine "Bewegung von Ideen", Reflexion, Zirkulation, Transparenz, Herrschaftskritik ... Mit derartigem werden 99% der Leser gleich erschreckt und vergrault.

12. Rahmen für Austausch von Erfahrungen ... s. Punkt1
13. Netzwerk: Das Weltsozialforum versucht nationale und internationale Verbindungen unter Organisationen und Bewegungen der Gesellschaft zu verstärken und neue zu schaffen.
14. Prozess der Entwicklung des Weltbürgers: lokal Handeln - global denken.

Kurzum, ein ziemliches strukturelles und inhaltliches Chaos. Wenn das bei Charta/Prinzipien schon so ist ... warum sollte sich jemand in dieses Gestrüpp verirren wollen?

Das Problem liegt schon mal bei der diffusen Formulierung der Charta. Man will globale hehre Ziele erreichen, Netzwerke bauen - aber keine Statements, keine gemeinsamen Aktionen, keine Kritik (s. 7), keine Statements, keine Verbindlichkeit .... da bleibt eben schon nicht viel.

Ich denke dass das SF eine weitaus grössere Chance und Breitenwirkung hätte, nähme es von unten her den Vorschlag von Johannes Heinrichs, der 4fache Pfad http://www.brainworker.ch/Orientierung/ordnungsmodelle.htm auf und würde über Grassroots ein Sozial- und Kulturparlaments aufbauen. Da es "Grassrootsparlamente" kaum noch gibt, eine beträchtliche aber zukunftsgerichtete Aufgabe. In der Form des Sozialparlaments, Werteparlaments oder Kulturparlaments müsste man dann auch Kritik zulassen und sich über Schwerpunkte einigen, mindestens so weit, dass Empfehlungen (nicht Gesetze) an die Öffentlichkeit möglich werden.

Diskussionsbeitrag M. Herzog, Basel, 9.10.05

http://www.spiegel.de/static/epaper/SP/2006/51/ROSPANZ20060510001-312.jpg

„Unter dem Dröhnen des herangrollenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs werden die noch schlafenden Scharen der Proletarier erwachen wie von den Posaunen des Jüngsten Gerichts, und die Leichen der hingemordeten Kämpfer werden auferstehen und Rechenschaft heischen von den Fluchbeladenen. Heute noch das unterirdische Grollen des Vulkans – morgen wird er ausbrechen und sie alle in glühender Asche und Lavaströmen begraben.“

(Karl Liebknecht, veröffentlicht am 15. Januar 1919 in der Roten Fahne. Am selben Tag wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet)


15 Dezember 2009

Drogenhandel der Banken

Geld aus Drogenhandel soll Banken 2008 gerettet haben
Der Chef der UN-Drogenbehörde sagt, das schmutzige Geld sei oft das einzige Kapital gewesen, das noch verfügbar war.

352 Milliarden Dollar hat das organisierte Verbrechen 2008 an Profiten erzielt. Und ein Großteil davon sei, wie Antonio Maria Costa, der Leiter der UN-Drogenbehörde, dem Observer berichtet hat, während der Finanzkrise in das globale Bankensystem geflossen. Gelegentlich habe das schmutzige Geld, das vorwiegend aus dem Drogenhandel stamme, auch Banken, die nicht mehr liquide waren, gerettet.

In vielen Fällen, so Costa, sei dies das einzige Investitionskapital gewesen, das noch geflossen ist, da in der zweiten Hälfte von 2008 Liquidität das Hauptproblem der Banken war. Auch die Anleihen der Banken untereinander seien mitunter durch Gelder geschehen, die aus dem Drogenhandel und anderen kriminellen Aktivitäten stammten.

Allerdings wollte Costa weder Banken noch Länder nennen. Seine Aufgabe sei es, das Problem zu lösen, aber nicht Schuldige herauszustellen. Das Problem sei, dass das schmutzige Geld nun gewaschen und Teil des offiziellen Systems geworden ist. Nach dem Observer seien Hinweise auf Drogengelder, die in die Banken flossen, aus Großbritannien, der Schweiz, Italien und den USA gekommen. Normalerweise hätten die Verbrecherorganisationen das Bargeld außer Landes gebracht, um es vor den Behörden zu entziehen. Als die Banken auf dem Höhepunkt der Finanzkrise kaum mehr verfügbares Kapital hatten, sei die Herkunft des Geldes kein so großes Problem mehr geworden.

Ein Sprecher der britischen Bankenbundes erklärte auf Nachfrage des Oberserver, er habe noch nichts gehört, was eine solche Theorie unterstütze. Es habe zwar einen Liquiditätsengpass gegeben, der aber vor allem von den Zentralbanken . die Geld in den Markt pumpten - aufgelöst worden sei.
Florian Rötzer14.12.2009

Bundeswehr KSK (black op) ILLEGAL

"Das schreit geradezu nach Aufklärung"

Markus Klöckner 15.12.2009

Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth über die Rechtmäßigkeit des Afghanistan-Krieges und der Frage, ob die Terroranschläge in den USA aus rechtstaatlicher Sicht ausreichend aufgeklärt wurden
Dieter Deiseroth ist seit 2001 Richter am Bundesverwaltungsgericht und Experte für Völker-, Verwaltungs- und Verfassungsrecht. Er hat den Sammelband "Der Reichstagsbrand und der Prozess vor dem Reichsgericht" und, zusammen mit dem früheren Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs, M. Bedjaoui, das Buch "Völkerrechtliche Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung?" herausgegeben. In einem Artikel in der Frankfurter Rundschau hat Deiseroth jüngst den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr kritisch betrachtet: [extern] Deutschlands "Kampfeinsatz". Jenseits des Rechts.

Die militärischen Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan werfen gravierende rechtliche Probleme auf

Eine kürzlich geführte repräsentative [local] Umfrage in Deutschland kam zu dem Ergebnis, dass 69 Prozent der Bundesbürger einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordern. Anfang 2010 wird es eine neue Afghanistan-Konferenz geben. Möglicherweise wird danach das deutsche Parlament der Entsendung weiterer deutscher Soldaten nach Afghanistan zustimmen. Der Einsatz in Afghanistan dauert nun schon gut 8 Jahre, die Bundeswehr ist dort seit 2002. Wie bewerten Sie die rechtliche Grundlage des Bundeswehr-Einsatzes?

Dieter Deiseroth: Ihre Frage zielt zum einen auf das geltende Völkerrecht und zum anderen auf das innerstaatliche Recht, also auf die deutsche Verfassung, das Grundgesetz. In beiderlei Hinsicht werfen die militärischen Kampfeinsätze der Bundeswehr und der Verbündeten in Afghanistan gravierende rechtliche Probleme auf. Analysiert man diese, so gelange ich zu der Schlussfolgerung, dass weder eine hinreichende völkerrechtliche noch eine hinreichende verfassungsrechtliche Grundlage für diese Einsätze vorhanden ist.

Welche rechtlichen Defizite der militärischen Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan gibt es Ihrer Meinung nach?

Dieter Deiseroth: Bei den nach 9/11 vor allem von der US-Regierung seit September/Oktober 2001 veranlassten Militäroperationen in Afghanistan ging und geht es um zweierlei: um die "Operation Enduring Freedom" (OEF) und um die Einsätze der "Internationalen Sicherheitsunterstützungskräfte" (ISAF). OEF wurde und wird völkerrechtlich und politisch als "Selbstverteidigung" nach Art. 51 UN-Charta im Rahmen des von Präsident Bush jun. ausgerufenen "War on Terror" gerechtfertigt. Der neue US-Präsident Obama setzt diese Linie fort. Bei ISAF stützte und stützt man sich dagegen sowohl juristisch als auch politisch auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nach Art. 39 und 42 der UN-Charta. Diese Resolutionen sollen die Aktivitäten von ISAF in Afghanistan legitimieren. Beide Rechtfertigungen sind defizitär.

Die Bundeswehr ist aber sowohl an OEF als auch an ISAF beteiligt.

Dieter Deiseroth: Ja. Dementsprechend hat der Deutsche Bundestag auch erneut mit Mehrheit seine Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr sowohl im Rahmen von ISAF als auch von OEF, jeweils in getrennten Beschlüssen, erteilt. Den Einsatz der Bundeswehr innerhalb von OEF-Aktionen hat das deutsche Parlament auf Antrag der Bundesregierung allerdings auf Verwendungen außerhalb Afghanistans, nämlich vor allem im Mittelmehr und am Horn von Afrika, beschränkt. Das ändert aber nichts daran, dass die bisher im Rahmen von OEF eingesetzten Bundeswehr-Spezialkräfte (KSK) nunmehr jedenfalls im Rahmen von ISAF in Afghanistan weiter agieren können. Sie tun dies offenbar auch mit weit reichenden Folgen. Aus jüngsten Medienberichten ist zum Beispiel einiges über die wichtige Rolle der KSK bekannt geworden. Dabei meine ich die von einem Bundeswehr-Oberst angeordneten US-Bomberangriffen auf die beiden im Flusssand bei Kundus steckengebliebenen gekaperten Tanklastzüge bzw. die dort anwesenden Menschen. Laut Medienberichten waren KSK-Männer an der Aktion beteiligt.

Heute ist eine Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nicht mehr gerechtfertigt

Aber nach Darstellung der Bundesregierung beteiligt sich Deutschland doch nun nur noch an ISAF-, nicht jedoch an OEF-Einsätzen. Beides sei strikt zu trennen.

Dieter Deiseroth: Das ist immer wieder behauptet worden. Der zwischenzeitlich zurückgetretene Generalinspekteur der Bundeswehr, General Schneiderhan, hat diese Trennungsthese zwischen OEF und ISAF auch in dem Afghanistan-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Sachen der geplanten Tornado-Einsätze vertreten und sie dem Gericht vermittelt. Die Verfassungsrichter haben Schneiderhan dies damals abgenommen. Sie haben sich dabei auf dessen unterstellten militärischen Sachverstand und die nicht weiter hinterfragte Glaubhaftigkeit seiner Aussagen als sachverständiger Zeuge verlassen. Überprüft hat das Bundesverfassungsgericht diese "Trennungsthese" jedoch nicht. Inzwischen spricht alles dafür, dass es bei der Unterscheidung zwischen OEF und ISAF eher um die Außenfirmierung geht.

Warum?

Dieter Deiseroth: OEF und ISAF unterstehen seit Jahren demselben Kommando, an dessen Spitze heute der US-General McChrystal steht. Auf die ihm in einem FAZ-Interview dieser Tage gestellte Frage, warum Präsident Obama "jetzt nur die Schutztruppe ISAF, nicht aber seine rund 30.000 Kräfte unter dem Antiterrormandat 'Operation Enduring Freedom' verstärkt habe, hat der Afghanistan-Beauftragte des US-Präsidenten, Richard Holbrooke, offen und ohne Scheu geantwortet: "Das ist nur noch eine formale Frage, seit beide Truppen unter dem Kommando eines Kommandeurs stehen."

Sind die OEF-Einsätze nach geltendem Völkerrecht gerechtfertigt oder muss man hieran ernsthaft zweifeln?

Dieter Deiseroth: Ob die völkerrechtlichen Voraussetzungen für die "Operation Enduring Freedom" nach 9/11 jemals vorlagen, ist höchst zweifelhaft. Jedenfalls heute ist m.E. eine Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta nicht gerechtfertigt.

Woraus ergibt sich, dass militärische Aktionen im Rahmen von OEF nicht auf das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht gestützt werden können? Begründete 9/11 kein Recht zur Selbstverteidigung der USA und zur Nothilfe seiner Verbündeten?

Dieter Deiseroth: Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass das (militärische) Selbstverteidigungsrecht, wie es in Artikel 51 der UN-Charta gewährleistet ist, überhaupt nur dann in Anspruch genommen werden darf, wenn ein Staat militärisch angegriffen wird ("if an armed attack occurs"). Es muss sich also um einen gegenwärtigen militärischen Angriff handeln, der gerade erfolgt ist oder unmittelbar gegenwärtig bevorsteht. Dieses Selbstverteidigungsrecht darf sich außerdem nur gegen den Staat richten, der den Angriff geführt hat oder dem er zumindest zurechenbar ist.
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Das Selbstbestimmungsrecht der Afghanen wurden missachtet

Noch einmal zurück zur UN-Resolution: Welche völkerrechtliche Relevanz haben die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates für die ISAF-Verbände in Afghanistan?

Dieter Deiseroth: Die Anwesenheit der seit Anfang 2002 in Afghanistan befindlichen ISAF-Verbände kann im Grundsatz auf entsprechende Resolutionen des UN-Sicherheitsrates[1] nach Art. 39 und 42 UN-Charta gestützt werden. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes gelang es der Bush-Regierung, für diese Resolutionen im UN-Sicherheitsrat eine breite Mehrheit zu erhalten. Kein Staat ist dadurch aber zur Truppenentsendung verpflichtet worden. Jeder Staat kann frei darüber entscheiden, ob er sich daran beteiligen will. Jeder Staat kann und muss selbst prüfen, ob er Truppen schicken will und kann oder nicht. Vor allem NATO-Staaten haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht, während etwa islamische Länder sich kaum daran beteiligt haben, obwohl sie Afghanistan kulturell näher stehen.

Gegen eine Teilnahme an diesen ISAF-Einsätzen in Afghanistan gibt es seit Anbeginn jedoch zwei gravierende Einwände, die sowohl völkerrechtliche als auch verfassungsrechtliche Implikationen haben. Erstens kann und muss festgestellt werden: Die im Dezember 2001 begonnenen ISAF-Einsätze und die ihnen zugrunde liegende UN-Resolution sowie alle Folgeresolutionen sollen der Umsetzung des - nach dem Tagungsort bei Bonn benannten -"Petersberg-Abkommens" vom 5.12.2001 dienen. Dessen demokratische und völkerrechtliche Legitimation ist jedoch in hohem Maße zweifelhaft.

Aus welchem Grund?

Dieter Deiseroth: In den UN-Resolutionen, die den ISAF-Einsätzen zugrunde liegen, wird regelmäßig die Verantwortlichkeit des afghanischen Volkes für den Inhalt und die Implementierung des Petersberg-Abkommens betont und herausgestellt. Regelmäßig verbunden wird dies mit der Hervorhebung eines intendierten Schutzes der "afghanischen Souveränität". Der gesamte "Petersberg-Prozess" war von seiner Inszenierung bis zu seiner Umsetzung jedoch alles andere als demokratisch und zukunftsoffen strukturiert. Das Selbstbestimmungsrecht des afghanischen Volkes kam dabei unter die Räder.

Wie zeigte sich dies?

Dieter Deiseroth: Das lässt sich bereits an der Auswahl des zu der Petersberg-Konferenz eingeladenen Personenkreises erkennen. Die afghanischen Teilnehmer waren "handverlesen". Die Auswahl erfolgte durch die Organisatoren der Petersberg-Konferenz, nämlich insbesondere die US-Administration, aber auch die gastgebende deutsche Regierung. Es wurden allein ausgewählte Vertreter der Muhjaheddin und bestimmter afghanischer Exilgruppen zugelassen. Andere waren von vornherein ausgeschlossen und blieben es.

In Anwesenheit einer auch zahlenmäßig dominierenden US-amerikanischen Delegation wurden diese "Handverlesenen" von den Organisatoren als berechtigt ausgegeben, ein völkerrechtliches Dokument ("Petersberger Abkommen") zu unterschreiben, obwohl sie hierzu von der afghanischen Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt ermächtigt oder legitimiert worden waren. Darin wurde eine Übergangsregierung mit einem Interimspräsidenten Karzai an der Spitze installiert, einem afghanischen Feudalherrn. Karzai, der zuvor für das US-Ölimperium Unilocal tätig war und über enge Kontakte zum US-amerikanischen Geheimdienst verfügte, soll sich zum Zeitpunkt der Petersberg-Konferenz noch auf einem US-Kriegsschiff im Indischen Ozean befunden haben. Unmittelbar darauf gelang es den interessierten Mächten unter Führung der US-Administration, hierfür im UN-Sicherheitsrat eine Billigung zu finden. Die afghanische Bevölkerung hatte keinerlei Chancen, Alternativen dazu zu entwickeln.

Wie verhielten sich die anderen Sicherheitsrats-Mitglieder, insbesondere Russland und China?

Dieter Deiseroth: Russland und China hatten wegen ihrer eigenen innerstaatlichen Probleme mit aufständischen Gruppen ein Eigeninteresse darin, Afghanistan "ruhig zu stellen". Zudem erhofften sie sich, mit Zugeständnissen an die US-Regierung ihre Handlungsfreiheit im eigenen Machtbereich zu erweitern.

Es wurden Strukturen geschaffen, die dem vorgeblichen Ziel eines demokratischen Neuaufbaus geradezu entgegenstanden

Und was geschah in der Folgezeit?

Dieter Deiseroth: Die Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung Afghanistans setzte sich dann mit der Etablierung des Karzai-Regimes und dem sogenannten . Verfassungsgebungsprozess in Afghanistan fort. Dieser war von massiven Einmischungen vor allem des von der Bush-Regierung ernannten US-Botschafters in Kabul, Zalmay Khalizad, gekennzeichnet. Außerdem spielten bei der Auswahl und Zulassung der Delegierten zur nationalen Verfassungsversammlung ("Verfassungs-Loya-Dschirga") korruptive Geldzuwendungen an genehme Kandidaten und massive Einschüchterungen von Oppositionellen eine dominierende Rolle.

Von Anfang an konnte angesichts der obwaltenden Umstände und der massiven US-Interventionen keine Rede davon sein, dass der afghanischen Bevölkerung ernsthaft die Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes bei der Neuformierung Afghanistans ermöglicht wurde. Von Anfang an war auch keine funktionsfähige UN-Struktur zur Bewältigung der konfliktbeladenen Zentralprobleme in Afghanistan vorhanden. Das wurde von den interessierten Mächten nicht zugelassen und nicht ermöglicht. Stattdessen dominierten von Anfang an die USA und ihre Verbündeten.

Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich daraus?

Dieter Deiseroth: Sowohl der "Petersberg-Prozess" als auch die damit einhergehende Installierung des demokratisch nicht legitimierten und weithin korrupten Karzai-Übergangsregimes, in dem auch die mit schrecklichen Menschenrechtsverletzungen belasteten Warlords eine wichtige Rolle spielten, verletzten in gravierendem Maße das Selbstbestimmungsrecht des afghanischen Volkes. Damit wurden jedoch Strukturen geschaffen, die dem vorgeblichen Ziel eines demokratischen Neuaufbaus geradezu entgegenstanden.

Daran hat sich, ungeachtet der zwischenzeitlich von dem Karzai-Regime veranstalteten und kontrollierten Wahlen, bis heute nichts Wesentliches geändert. Dies zeigen nicht zuletzt auch die massiven Wahlfälschungen bei der jüngsten Präsidentenwahl im Jahre 2009 und das Ausmaß der allseits konstatierten Korruption und Gewaltausbrüche. Auf Druck der US-Regierung und deren Verbündeten musste sich Karsai zwar bereit erklären, einen zweiten Wahlgang als Stichentscheid gegen seinem Konkurrenten Abdullah durchführen zu lassen. Da Abdullah dann aber eine solche Stichwahl angesichts der nach wie vor ungeklärten Hintergründe des erfolgten massiven Wahlbetruges ablehnte, wurde Karsai ohne Wahl zum Sieger erklärt, was die Legitimation seiner weiteren Regentschaft weiter unterminiert hat.

Was ergibt sich daraus für die Legitimation der ISAF-Verbände in Afghanistan?

Dieter Deiseroth: Eine Politik, die ein solches Regime als Protektorat durch ausländische Interventionsmächte (USA und NATO-Staaten) mit Hilfe der ISAF-Verbände etabliert und seitdem auch stützt, ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der afghanischen Bevölkerung schwerlich zu vereinbaren. Den Vorgaben des Friedensgebotes des Grundgesetzes und dem auch in der UN-Charta verankerten Selbstbestimmungsrecht der Völker, nämlich frei und ohne Einmischung durch andere Staaten über den eigenen politischen Status zu entscheiden und die eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung frei zu gestalten, entspricht sie nach meiner Auffassung nicht. Damit korrespondiert, dass auch die aus vielfältigen Stammesgesellschaften bestehende Bevölkerung Afghanistans bis heute wenig Vertrauen in eine vor allem von den ausländischen Interventionsmächten gestützte und weithin finanzierte Zentralregierung in Kabul hat, zumal bislang weder eine Befriedung der gewaltförmigen Auseinandersetzungen noch ein wirtschaftlicher Aufbau des Landes erreicht werden konnten.

Sie sprachen noch von einem zweiten Umstand, der die Völkerrechtswidrigkeit der ausländischen militärischen Interventionen, auch Deutschlands, in Afghanistan begründe. Was meinen Sie damit?

Dieter Deiseroth: ISAF und OEF gehen immer stärker ineinander über. Die völkerrechtlichen Defizite der OEF wirken sich deshalb auch immer stärker zu Lasten von ISAF aus.

Bis heute hat keine unabhängige Stelle die angeblichen oder tatsächlichen Beweise überprüft und nachprüfbar festgestellt, wer für die Anschläge von 9/11 verantwortlich war

Sprechen wir über die Gründe, warum gegen Afghanistan Krieg geführt wird. Dafür sind nach den offiziellen Darstellungen die Terroranschläge vom 11. September verantwortlich. Wie sehen Sie diese Begründung?

Dieter Deiseroth: Geht man von der Darstellung der US-Regierung und dem offiziellen Bericht der von Präsident Bush jun. seinerzeit eingesetzten US-Untersuchungskommission aus, handelte es sich bei 9/11 um eine Verschwörung von Attentätern, die aus Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten sowie aus Hamburg, also aus verbündeten Staaten kamen. Afghanen befanden sich offenbar nicht unter den Tätern. Die USA wurden, so die offizielle Darstellung, von dieser "Surprise-Verschwörung" überrascht. Die ausweislich des offiziellen US-Untersuchungsberichts zu 9/11 mutmaßlichen rund 20 Attentäter in den vier gekaperten Flugzeugen haben die Anschläge nicht überlebt. Von diesen toten Attentätern konnte damit kein weiterer Anschlag oder Angriff auf die USA verübt werden, gegen den das Selbstverteidigungsrecht (noch) hätte ausgeübt werden können.

Wie stand es um mögliche andere Tatverdächtige und Hintermänner der Terroranschläge?

Dieter Deiseroth: Bei den Tätern von 9/11 und ihren Mit-Verschwörern . wer auch immer diese waren - handelte es sich um kriminelle Straftäter. Es ging um organisierte terroristische Kriminalität. Auch wenn es sehr mühsam und schwierig ist, terroristische, also kriminelle Täter zu ermitteln, vor Gericht zu stellen und den Nachweis ihrer individuellen Schuld zu führen, rechtfertigt dies nach geltendem Völkerrecht nicht, diese Schwierigkeiten dadurch zu umgehen, dass man stattdessen das Militär einsetzt und sich auf das Selbstverteidigungsrecht beruft. Soweit man über die toten Attentäter hinaus weitere Tatverdächtige oder Hintermänner außerhalb der USA in Afghanistan oder anderen Staaten ("safe haven") vermutete, hätte man . bei Vorliegen entsprechender konkreter Beweise . ihre Auslieferung betreiben müssen, um sie vor Gericht zu stellen.

Woraus ergibt sich das? Aus welchem Grund durfte man nach Ihrer Auffassung nicht gegen mögliche Hintermänner und zur Abwehr von diesen noch ausgehenden Gefahren von dem in Art. 51 UN-Charta normierten) Selbstverteidigungsrecht Gebrauch machen?

Dieter Deiseroth: Art. 2 Nr. 3 der UN-Charta sieht ausdrücklich vor, dass alle Staaten ihre internationalen Streitigkeiten, also auch diejenigen etwa über eine Auslieferung von Tatverdächtigen und deren Gehilfen oder Hintermänner, ausschließlich durch friedliche Mittel beizulegen haben. Es besteht kein Wahlrecht zwischen der völkerrechtlichen Pflicht zu einer friedlichen Streitbeilegung und einer militärischen Gewaltanwendung nach Art. 51 UN-Charta, soweit Letztere über die unmittelbare Abwehr eines gegenwärtigen oder gegenwärtig unmittelbar bevorstehenden "bewaffneten Angriffs" hinausgeht.

Als die USA ihre Militäroperationen im September/Oktober 2001 in Afghanistan einleiteten, waren die Terroranschläge in New York und Washington längst ausgeführt. Die mutmaßlichen 20 Terroristen in den zum Absturz gebrachten vier Flugzeugen waren alle tot. Von ihnen konnte keine Angriffsgefahr mehr ausgehen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass von möglichen Hintermännern der 9/11-Attentäter außerhalb der USA unmittelbar gegenwärtige Angriffsgefahren ausgingen, die Afghanistan und dem Talibanregime zuzurechnen waren, sind nicht ersichtlich. Zudem: Hätten die innerstaatlichen Sicherheitsbehörden der USA vor dem 11. September die ihnen obliegenden Sicherheitsaufgaben ordentlich erfüllt, so wäre es, nach allem was bisher bekannt geworden ist, kaum zu den Anschlägen von 9/11 gekommen. Die sicherheitspolitischen Hausaufgaben der Abwehr unmittelbarer Gefahren waren also in allererster Linie in den USA zu erfüllen.

Die Bush-Regierung stand mit dem geltenden Völkerrecht auf Kriegsfuß

Es gab die 9/11 Kommission, die, so zumindest die offizielle Lesart, aufgezeigt hat, dass die Anschläge in Afghanistan von Osama Bin Laden und den von ihm gesteuerten Al Qaida-Netzwerken ausgearbeitet worden sind.

Dieter Deiseroth: Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der 9/11-Untersuchungskommission sind zu hinterfragen. Die Kommission bestand ganz überwiegend aus Personen, die der Bush-Regierung sowie dem militärisch-industriellen Komplex und den Geheimdiensten sehr nahe standen. Das galt auch für Henry Kissinger, dem zuerst der Vorsitz in der Kommission angetragen worden war, der dann aber bald zurücktreten musste, weil die Öffentlichkeit und große Teile des Kongresses seine Unabhängigkeit massiv in Frage stellten.

Bis heute, also mehr als 8 Jahre nach 9/11, hat keine unabhängige Stelle, kein unabhängiges Gericht, die zur Verfügung stehenden angeblichen oder tatsächlichen Beweise überprüft und nachprüfbar in einem rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahren festgestellt, wer für die Anschläge von 9/11 verantwortlich war. Was auf keinen Fall geht, ist zu sagen, die Beweisführung ist schwierig; es ist uns zu mühsam, die Täter bzw. mögliche Hintermänner zu ermitteln und dingfest zu machen. Deshalb umgehen wir diese rechtsstaatlichen Schwierigkeiten und fangen einen Krieg an, um mögliche Tatverdächtige mit militärischer Gewalt direkt unschädlich zu machen, also zu töten. Es darf in einem Rechtsstaat nicht sein, dass man auf die erforderlichen Maßnahmen der Ermittlung von Verdächtigen, ihre Dingfestmachung und eine Anklageerhebung vor einem unabhängigen Gericht verzichtet oder jedenfalls davon Abstand nimmt und stattdessen einen Krieg ausruft, ein fremdes Land bombardiert und militärisch besetzt, in dem sich Tatverdächtige oder mögliche Hintermänner befinden sollen.

Genau das ist aber unter den Augen der Weltöffentlichkeit geschehen.

Dieter Deiseroth: Ja, genau das ist geschehen. Seit dem 11. September wurde wie in einer Endlosschleife immer wieder verkündet, Osama Bin Laden und Al Qaida seien für die Anschläge verantwortlich gewesen. Interessanterweise wird Osama Bin Laden vom FBI bis heute nicht wegen 9/11 gesucht. Warum? Weil man, so vorliegende Erklärungen von Offiziellen des FBI, gegen ihn in Sachen 9/11 keine gerichtsverwertbaren Beweise hat. Und dennoch, obwohl die oberste Strafverfolgungsbehörde der USA nicht über solche gerichtsverwertbaren Beweise gegen OBL verfügt, hat man Kriege angefangen, zuerst in Afghanistan, dann gegen Irak, möglicherweise bald auch in Pakistan.

Warum unterläuft ein gesamter Regierungsapparat eines Landes mit einer so langen demokratischen Tradition wie den USA die Rechtsstaatlichkeit?

Dieter Deiseroth: Das ist eine sehr interessante, aber leider bisher ungeklärte Frage. Wir müssen dessen ungeachtet jedoch darauf insistieren: Wenn man die Behauptung aufstellt, Bin Laden trage die Verantwortung für den Terror von 9/11, dann ist man in der Beweispflicht. Man hätte sich jedenfalls um seine Auslieferung ernsthaft bemühen und ihn dann vor ein unabhängiges Gericht stellen müssen.

Es gab den Versuch der USA, an Bin Laden durch eine Auslieferung heranzukommen.

Dieter Deiseroth: Von Seiten der amerikanischen Regierung ist . über Saudi-Arabien - ein Auslieferungsbegehren an das Taliban-Regime übermittelt worden. Allerdings ließ man den Taliban nur wenige Tage Zeit, dem zu entsprechen. Es gibt detaillierte Berichte seriöser Medien[2], dass die Taliban im September/Oktober 2001 angeboten haben, Bin Laden auszuliefern, wenn entsprechende Beweise für seine Tatverantwortlichkeit vorgelegt würden und wenn er gegebenenfalls anschließend ausschließlich vor einem internationalen Gericht oder vor einem Gericht eines neutralen Staates angeklagt würde. Präsident Bush jun. und seine Regierung haben dieses Angebot damals rundweg abgelehnt und stattdessen einen Krieg angefangen. Dieses Verhalten zeigt einmal mehr, dass jedenfalls die damalige US-Regierung mit dem geltenden Völkerrecht auf Kriegsfuß stand.

Warum gibt es wegen 9/11 keinen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden?

Ihnen ist bekannt, dass es alternative Lesarten zum 11. September gibt. In den letzten Jahren hat sich nicht nur in den USA, sondern fast um den gesamten Globus, eine breite Gegenöffentlichkeit formiert, eine Gegenöffentlichkeit, die als 9/11 Truth Movement bekannt wurde und nicht an die offizielle Version der Bush-Regierung glaubt. Wie bewerten Sie diese Zweifel?

Dieter Deiseroth: Ich stelle fest, dass der offizielle US-Untersuchungsbericht zu 9/11 sehr viele offene Fragen hinterlässt. In vielen Medien ist darüber berichtet worden. Das ist aber für die Frage der Völkerrechtsmäßigkeit der Militäraktionen gegen und in Afghanistan als Antwort auf 9/11 ohne durchschlagende Bedeutung. Wie ich versucht habe darzulegen bestehen gravierende völkerrechtliche Bedenken gegen OEF und auch gegen ISAF selbst dann, wenn man von der offiziellen Version der US-Regierung ausgeht, Osama Bin Laden und das Al Qaida-Netzwerk hätten die Anschläge in New York und Washington organisiert, wofür es aber, wie gesagt, bislang keine gerichtsfesten Beweise gibt.

Wie schätzen Sie die vielen Zweifel an der offiziellen 9/11-Version ein?

Dieter Deiseroth: Die von der Bush-Administration angeführten angeblichen oder tatsächlichen Beweise für ihre offizielle 9/11-Version ist, wie gesagt, bisher nie von einem unabhängigen Gericht geprüft worden. Das wurde verhindert. Wer sich näher mit der offiziellen Version einer "Surprise-Verschwörung" (von Osama Bin Laden und vom Al Qaida-Netzwerk gesteuerter Attentäter) auseinandersetzt, wird feststellen, dass man es mit vielen unbewiesenen Behauptungen zu tun hat, von denen einige mehr, andere weniger plausibel erscheinen. Warum werden die Beweise nicht vorgelegt? Warum gibt es wegen 9/11 keinen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden? Es sollte deshalb in jedem Falle schleunigst auf strikt rechtsstaatlicher Basis überprüft werden, ob die offizielle Verschwörungs-Version, wie sie seit 8 Jahren gegenüber der Öffentlichkeit als Wahrheit ausgeben wird, auch tatsächlich der Wahrheit entspricht.

TP: In den USA wird in Kürze ein Strafprozess gegen mutmaßliche Hintermänner der Anschläge stattfinden. Erwarten Sie dabei Aufklärung?

Dieter Deiseroth: Nach allem, was man den Medien entnehmen kann, stützen sich die Anklagen in diesen Prozessen in erster Linie auf Geständnisse der Angeklagten, die durch die Anwendung von Folter ("water boarding" und Ähnliches) zustande gekommen sein sollen. Ich bin gespannt, ob es einen fairen und rechtsstaatlichen Prozess geben wird und ob außer diesen Folter-Geständnissen noch andere Beweismittel präsentiert werden, die dann aber auch im gebotenen Maße hinreichend geprüft werden müssen.

Welche Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach noch, um eine rechtsstaatliche Aufklärung zu fördern?

Dieter Deiseroth: Viele Juristen, darunter sehr bekannte Völkerrechtler wie etwa Prof. Richard Falk (Princeton University) und Prof. Burns Weston (University of Iowa), haben gefordert, dass die UNO eine internationale, unabhängige Kommission einrichten sollte, um die Abläufe und Verantwortlichkeiten für die Terroranschläge von 9/11 zu untersuchen. Diese Forderung erscheint mir durchaus sinnvoll. Ein solches unabhängiges Untersuchungsgremium könnte wichtige Aufklärungsarbeit leisten.

Erinnern wir uns an den kürzlichen Krieg zwischen Georgien und Russland. Damals hieß es zunächst immer wieder, auch von unserer Regierung und von Seiten der NATO, Russland sei dafür allein oder jedenfalls in erster Linie verantwortlich zu machen, nicht aber das Regime des georgischen Präsidenten. Diese Darstellung wurde in den meisten Medien sofort weithin übernommen. Unter anderem auf Drängen des deutschen Außenministers Steinmeier wurde dann erfreulicherweise auf EU-Ebene schließlich eine Untersuchungskommission eingerichtet. Als die Kommission ihre Arbeit . auch vor Ort - durchgeführt und ihre Ermittlungen abgeschlossen hatte, stellten sich die Ereignisse und Abläufe plötzlich ganz anders dar. Die Darstellung des georgischen Präsidenten wurde weitgehend widerlegt und seine maßgebliche Verantwortlichkeit für den Krieg mit Russland gut belegt.

Es ist bedauerlich, dass viele Medien bis heute nicht in hinreichendem Maße bereit sind, sich dem Thema 9/11 und den offenen Fragen offen zu stellen

Halten Sie den Vorschlag einer unabhängigen Kommission, die 9/11 aufarbeitet, für realistisch?

Dieter Deiseroth: : Ich halte den Vorschlag für sinnvoll und seine Realisierung für notwendig. Denn es geht ja um die Untersuchung der zentralen offiziellen Rechtfertigung für einen Krieg ("Operation Enduring Freedom") und für gravierende Umgestaltungen der US-Rechtsordnung im Rahmen der sogenannten Homeland-Security-Gesetzgebung.

Das dürfte schwierig werden, schließlich wagen weder Politik noch die großen Medien, die offizielle Version zu 9/11 kritisch zu hinterfragen.

Dieter Deiseroth: Wenn die offizielle Darstellung der Terroranschläge von 9/11 medial wirksam von allen Regierungen weithin übereinstimmend verbreitet wird . und das wurde sie -, dann ist es sehr aufwändig und schwierig, die dadurch bewirkten verfestigten Meinungen wieder in Frage zu stellen. Es ist ein großer Rechercheaufwand erforderlich und für aufwändige Recherchen müssen personelle, zeitliche und monetäre Mittel zur Verfügung stehen, was in Zeiten, in denen die Ressourcen in den Redaktionen aus ökonomischen Gründen vielerorts abgebaut werden, nicht einfach zu erreichen ist.

Immerhin, auch das Lügengebäude zur Rechtfertigung des Irak-Krieges konnte zum Einsturz gebracht werden. Wir wissen heute, dass die Bush-Regierung, was Glaubwürdigkeit und Wahrheitsliebe angeht, alles andere als vertrauenswürdig war. Es ist bedauerlich, dass viele Medien dennoch bis heute nicht in hinreichendem Maße bereit sind, sich dem Thema 9/11 und den offenen Fragen offen zu stellen. Möglicherweise auch deshalb, weil sich dann Abgründe auftun.

Im japanischen Parlament wurde noch vor gar nicht all zu langer Zeit offen über alternative Erklärungsansätze zu den Terroranschlägen in den USA diskutiert.

Dieter Deiseroth: In der Tat. Parlamentarier der Demokratischen Partei Japans, die inzwischen die letzten Unterhauswahlen haushoch gewonnen hat und seitdem den Ministerpräsidenten und die Regierung stellt, haben seit etwa 2 Jahren im japanischen Parlament die offizielle Bush-Version der Hintergründe von 9/11 wiederholt mit durchaus ernsthaften Argumenten in Frage gestellt und nach Aufklärung verlangt. So etwas findet im deutschen Parlament, wenn ich dies richtig sehe, bisher leider nicht statt.

Allerdings weisen die alternativen Wirklichkeitskonstruktionen zu 9/11 ebenfalls viele Mängel auf.

Dieter Deiseroth: Das ist vollkommen richtig. Ich kann aber nur eindringlich davor warnen, die offizielle Verschwörungstheorie der Bush-Administration durch vorschnelle alternative Verschwörungsversionen abzulösen. Sollten die Kritiker der offiziellen Version wirklich eine neue nationale oder internationale Untersuchung der Anschläge von 9/11 erreichen wollen, dann müssen sie sich ein Höchstmaß an Seriosität, Tatsachenorientierung und Offenheit für mögliche Gegeneinwände auferlegen. Nur so können sie vermeiden, ihre eigene Argumentation zu diskreditieren und "Eigentore" zu schießen, indem sie z.B. Vermutungen und Spekulationen als Beweise ausgeben. Ich stelle fest: Auf beiden Seiten, dass heißt sowohl bei der offiziellen Darstellung der Bush-Regierung mit dem 9/11-Commission Report als auch auf Seiten der "alternativen Aufklärer" mit ihren vielen Gegentheorien, hat man es mit einem Meer von Fragen, aber auch mit einem Meer von offenkundigen Unwahrheiten zu tun. Das schreit geradezu nach Aufklärung.