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28 Juli 2011

Libya NATO - lang vorbereitet

Kein »arabischer Frühling«

Hintergrund. Der Krieg gegen Libyen. Teil I:
Über den Charakter der Revolte und die Opposition im Land


Joachim Guilliard

In der Nacht zum 17. Juli erschüttern zwei Stunden lang die Abwürfe von rund 70 Bomben mehrere Wohnviertel in Tripolis. Die Hochhäuser in der ganzen Stadt erzittern wie bei einem Erdbeben, viele Anwohner flüchten voller Angst auf die Straße. Zahlreiche Gebäude werden zerstört und die Bewohner unter den Trümmern begraben – seit 120 Tagen ist dies nun Alltag in Libyen. Das besonders schwere Bombardement an diesem Sonntagmorgen war offenbar die Antwort der NATO auf die Großdemonstration vom Freitag, wo erneut Hunderttausende gegen den NATO-Krieg protestierten und ihre Unterstützung für die Regierung demonstrierten.

Seit über vier Monaten führen Frankreich, Großbritannien und die USA nun schon mit Unterstützung der NATO Krieg gegen die »Sozialistische Libysch-Arabische Dschamahirija (dt.: Herrschaft der Massen)« – mit dem erklärten Ziel, das derzeitige Regime zu stürzen. Seit 120 Tagen gehen Tag für Tag und Nacht für Nacht schwere Bomben und Raketen auf libysche Städte nieder. Dennoch wird die neueste Aggression gegen ein Land des Südens in der westlichen Öffentlichkeit nicht als Krieg wahrgenommen. Gingen bei den vorangegangen Kriegen gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak Zehn- und Hunderttausende auf die Straße, so regt sich gegen die Zerstörung des nordafrikanischen Landes im Westen kein nennenswerter Protest.

Viele, auch in der Linken, halten den Aufstand in Libyen immer noch für eine Fortsetzung des »arabischen Frühlings« und stehen hinter den als »demokratische Opposition« idealisierten »Rebellen«. Vorbehaltlos übernahmen die meisten das von der Kriegsallianz in kürzester Zeit erschaffene Feindbild. Hartnäckig hält sich– ungeachtet aller historischen Erfahrungen – die Hoffnung, die NATO würde eine fortschrittliche Entwicklung im Land herbeibomben.

Außerhalb Europas und Nordamerikas stößt der Krieg auf breite Ablehnung. Hier sind die meisten davon überzeugt, daß er nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung oder für Demokratie geführt wird, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte. Die parallele militärische Intervention Frankreichs in der Elfenbeinküste und die forcierte Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in Afrika deuten zudem auf Ziele hin, die darüber hinausgehen: die Sicherung und Ausweitung westlicher Dominanz auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.

Es begann mit einer Lüge

Wie jeder Krieg von NATO-Staaten begann auch dieser mit einer großen Lüge. Der Ruf nach einer Flugverbotszone über Libyen wurde damit begründet, Machthaber Muammar Al-Ghaddafi würde die Luftwaffe gegen friedliche Demonstranten einsetzen und die »eigene Bevölkerung abschlachten«. Doch selbst US-Verteidigungsminister Robert Gates gab vor Kriegsbeginn zu, dafür keine Beweise gesehen zu haben. Weder die UNO noch die westlichen Botschaften in Tripolis konnten irgendwelche Belege vorweisen. Mittlerweile sind die Vorwürfe eindeutig widerlegt.1 Auch für das vielbeschworene Blutbad, das bei der Einnahme der Rebellenhochburg Bengasi durch Regierungstruppen drohe, gab es keine ernstzunehmenden Hinweise. Libysche Truppen hatten in den Tagen vor der Verabschiedung der UN-Resolution mehrere Städte zurückerobert. In keiner war es dabei zu Massakern gekommen, und es gab keinen Grund anzunehmen, daß dies in Bengasi anders sein sollte.

Eine entscheidende Rolle bei der Manipula­tion der öffentlichen Meinung spielte der Satellitensender Al-Dschasira, dessen gute Reputation wesentlich zum Erfolg der Propaganda beitrug. Dieser wertete, so der algerische Politologe Djamel Labidi, in erster Linie die von den Aufständischen präsentierten Meldungen zu Nachrichten auf. In einer Zeit, in der wir ständig mit Live-Bildern von den Schauplätzen des Geschehens informiert werden, traten dabei plötzlich »Zeugen« auf, die man nur hört, ohne sie zu sehen, und die ihre Eindrücke schildern, ohne daß sie mit Bildern unterlegt werden.

In der Nacht vom 17. auf den 18. März, d.h., unmittelbar nach dem Sicherheitsratsbeschluß, der die »Willigen« zur Intervention ermächtigte, inszenierte Al-Dschasira beispielsweise ein regelrechtes Drama. »Augenzeugen« erschienen, die behaupteten, die libysche Regierung würde, entgegen ihrer Zusage, die verordnete Waffenruhe nicht respektieren, Regierungstruppen seien »in die Vororte von Bengasi eingedrungen«. Gleich darauf interviewte Al-Dschasira die US-Botschafterin Susan Rice, um ihr mit großer Empörung vorzuwerfen, daß nichts unternommen würde, den bedrohten Rebellen zu helfen, »bevor es zu spät ist«. Minuten später verkündete Rice, als habe sie auf nichts anderes gewartet, unter Berufung auf Al-Dschasira, daß Ghaddafi den Waffenstillstand gebrochen habe. Andere Medien übernahmen diese Nachricht sofort wie eine offizielle Verlautbarung. Deren Reporter hatten selbst nichts gesehen, verfügten über keinerlei Bilder, befanden sich aber »vor Ort« und verliehen dadurch ihren Aussagen die nötige Glaubwürdigkeit. Der Druck durch die Medien nahm am folgenden Tag immer mehr zu, passend zum gleichzeitigen Gipfeltreffen in Paris, auf dem der Beginn von Luftangriffen beschlossen wurde.

Weitere Propagandalügen – wie etwa die »angeordneten Massenvergewaltigungen« unter Einnahme von Viagra (!) oder der Einsatz von Streubomben durch libysche Truppen – folgten. Obwohl sie meist rasch widerlegt wurden, prägen sie nach wie vor das Feindbild im Westen.
Anders als in Tunis und Kairo
Die Entwicklung in Libyen ist mit den Revolten in den anderen arabischen Ländern nicht vergleichbar. In Tunesien und Ägypten war es eine überwiegend gewaltfreie Oppositionsbewegung, die allein durch ihre zahlenmäßige Stärke und ihre enorme Ausdauer die Machthaber in Bedrängnis brachte, die Zentren der Bewegung waren überall – mit Ausnahme des gleichfalls atypischen Syrien – die Hauptstädte. In Libyen konzentrierten sich die verhältnismäßig kleinen Demonstrationen mehr auf den Ostteil des Landes.

In den anderen arabischen Ländern waren es der soziale Niedergang in Folge der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die materielle Not und die völlige Perspektivlosigkeit, die die Leute auf die Straße trieben. Im Vordergrund standen soziale Forderungen. In Libyen hingegen mit seinem relativen hohen Lebensstandard leidet kaum einer materielle Not.2 Im wesentlichen geht es hier um die Verteilung von Einfluß und Macht, um Rivalitäten zwischen Stämmen und zwischen der unter der Monarchie dominierenden, religiös-konservativen Kyrenaika im Osten und dem bevölkerungsreicheren Tripolitanien im Westen. Demokratie und Menschenrechte sind dabei höchstens Rhetorik.3

Zweifelsohne gingen auch in Libyen junge Leute, Anwälte und Akademiker gewaltfrei mit der Forderung nach mehr Freiheit, mehr Demokratie auf die Straße, veröffentlichten Manifeste oder bildeten Arbeitsgruppen, die eine demokratische Verfassung ausarbeiten wollten. Sie waren aber nie besonders zahlreich und in dem Maß, wie die militärischen Auseinandersetzungen eskalierten, wurden sie von den bewaffneten Aufständischen, den abtrünnigen Regierungspolitikern und der gut organisierten Exilopposition an den Rand gedrängt. Mit Beginn der NATO-Intervention waren sie endgültig aus dem Spiel.

Bereits Tage vor den Zusammenstößen am 17.Februar, die als Auslöser der Revolte gelten, hatten oppositionelle Kräfte schon zu massiver Gewalt gegriffen. Am 15.2. waren in Zintan und Al-Baida Polizeistationen in Brand gesetzt worden. Auch in den folgenden Tagen wurden vielerorts Polizeireviere und andere öffentliche Gebäude niedergebrannt. In der Großstadt Al-Baida wurden fünfzig als Söldner bezeichnete Schwarzafrikaner exekutiert und in Bengasi zwei Polizisten gelyncht. Bewaffnete Islamisten stürmten schließlich in Derna ein Armeedepot und den daneben liegenden Hafen, nahmen eine größere Zahl von Soldaten und Zivilisten als Geiseln und drohten sie zu erschießen, falls die libysche Armee sich nicht aus der Stadt zurückziehe.

Es waren diese Angriffe, gegen die die libysche Polizei und Armee mit Waffengewalt vorgingen. In westlichen Ländern hätte man mit Sicherheit nicht zurückhaltender auf eine solche massive Gewalt reagiert.

Was zunächst als Protestbewegung erschien, ging auf diese Weise unmittelbar in einen bewaffneten Aufstand über. Erste Anhaltspunkte über dessen Charakter gaben die sich bald häufenden Berichte über brutale Angriffe von Rebellen auf schwarzafrikanische Fremdarbeiter. »Bekanntlich versucht Ghaddafi wie kein anderer regionaler Führer, das Image des arabischen Rassismus zu durchbrechen«, so Gunnar Heinsohn, Autor des »Lexikons der Völkermorde« in der FAZ. Seine »Bemühungen um Schwarze« komme diese jetzt allerdings teuer zu stehen. Eine Million afrikanische Flüchtlinge und Tausende afrikanische Wanderarbeiter sind nun in Gefahr, ermordet zu werden.4 Als Vorwand für die Übergriffe dient meist der Verweis auf schwarze Söldner in den Reihen der Regierungstruppen. Opfer sind jedoch meist einfache Arbeiter und Flüchtlinge. Ein türkischer Bauarbeiter berichtete der britischen BBC, daß er mitansehen mußte, wie siebzig bis achtzig Arbeiter seiner Firma aus dem Tschad mit Baumscheren und Äxten niedergemetzelt wurden. Aktuell sind u.a. die Bewohner von Tawergha von Gewalt und Vertreibung durch Rebellenmilizen bedroht. Hier, 40 Kilometer südlich der unter der Kontrolle von Aufständischen stehenden Hafenstadt Misurata, wohnen– ein Erbe des Sklavenhandels im 19. Jahrhundert– überwiegend schwarze Libyer.

Von langer Hand geplant

Der Aufstand war keineswegs, wie meist angenommen, spontan, sondern schon seit langem geplant. Die Protestbewegungen in den arabischen Ländern waren nicht die Ursache, sondern nur ein willkommener Aufhänger.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Nationale Front für die Rettung Libyens (NFSL). Diese wurde bereits 1982 mit israelischer und US-amerikanischer Unterstützung gegründet, um Ghaddafi zu stürzen. Unter Führung des zur CIA übergelaufenen Kampfgefährten Ghaddafis, Khalifa Haftar, legte sie sich 1988 mit der Libyschen Nationalarmee (LNA) auch einen militärischen Arm zu. Die von den USA ausgerüstete kleine Untergrundarmee unterhielt in Virginia ein Trainingscamp und führt seit den 1990er Jahren Aufstandsversuche und Terroraktionen in Libyen durch. 2005 gründete sie mit sechs kleineren Gruppen die Dachorganisation »Nationale Konferenz der Libyschen Opposition« – Vorbild war hier offensichtlich die Irakische Nationalkonferenz von Ahmad Tschalabi (»Irakischer Nationalkongreß«), während die NFSL analog Iyad Allawis »Irakischer Nationaler Eintracht« gestrickt wurde. Beide spielten und spielen eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung des Irak-Krieges und der folgenden Besatzung.

Die NFSL war treibende Kraft hinter den Demonstrationen vom 17. Februar, zu der sie über Facebook und ähnliche Netzwerke mobilisierte. Haftar reiste unmittelbar danach nach Bengasi, um die militärische Führung des Aufstands zu übernehmen.

Die NFSL nutzte sofort ihre guten Kontakte zu den westlichen Politikern und Medien und prägte so maßgeblich die Berichterstattung im Westen über die Auseinandersetzung. Ihr Generalsekretär Ibrahim Sahad zieht seither weiterhin von Washington aus die Fäden, während andere führende Mitglieder eine maßgebliche Rolle im sogenannten ›Nationalen Übergangsrat‹ spielen. Dieser Rat wird, ohne daß nach seiner Legitimation gefragt wird, vom Westen als Repräsentant der gesamten Opposition im Land angesehen und von der Kriegsallianz sogar offiziell als neue libysche Regierung anerkannt.

Auch Frankreich und Großbritannien hatten ihre Vorbereitungen offensichtlich schon lange vor dem 17. Februar begonnen. So trafen sich Vertreter der französischen Regierung im Herbst letzten Jahres in Paris mit abtrünnigen libyschen Politikern, darunter der ehemalige Protokollchef und enge Vertraute Ghaddafis, Nouri Mesmari. Vermutlich nahmen die Franzosen auch Kontakt zu libyschen Offizieren in Bengasi, wie dem Luftwaffenoberst Abdallah Gehani, auf, die mit Mesmari konspirierten und einen Aufstand vorbereiteten. All diese Dissidenten gehören seit Februar zur Führung der Aufständischen.

Im November 2010 verabredeten Paris und London auch das gemeinsame Manöver »Südlicher Mistral« (1-2-3), bei dem die Luftwaffen beider Länder die Bekämpfung einer »südländischen« Diktatur üben sollten. Die Vorbereitungen zu der für den 21. März 2011 angesetzten Übung gingen dann nahtlos in die »Operation Morgendämmerung« über – dem am 19. März von französischen Kampfjets eingeleiteten Luftkrieg gegen Libyen. Bereits einen Monat zuvor waren nach Informationen der britischen Zeitung Daily Mail bereits 250 britische Elitesoldaten nach Libyen eingedrungen – d.h. gleich nach Beginn des Aufstands oder sogar schon davor.

Wirtschaftsliberale und Exilpolitiker

Aus welchen Kräften sich im einzelnen die Anti-Ghaddafi-Koalition zusammensetzt, an deren Seite die NATO bombt, ist – wie auch westliche Politiker und Medien häufig beklagen – nicht zu überblicken. Die Personen, die im Zusammenspiel mit der westlichen Kriegsallianz die Führung des Aufstandes übernommen haben und nach deren Willen die Macht im Land übernehmen sollen, sind jedoch sehr gut bekannt. Es sind Exilpolitiker und ehemalige Regierungsmitglieder, die alle seit langem engen Kontakt mit Washington, London und Paris halten.

An der Spitze steht, als Chef der »Exekutive« des Übergangsrats, Mahmoud Dschibril, der sich bis dahin in der libyschen Regierung als Leiter des Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung um einen radikalen Privatisierungskurs bemüht hatte. Zuvor hatte er lange Zeit an US-amerikanischen Universitäten wirtschaftspolitische Planung gelehrt und war erst 2005 nach Libyen zurückgekehrt. Seinen vertrauten Kontakt zur US-Regierung hatte er, wie die von Wikileaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen enthüllten, nie aufgegeben. Darüber hinaus gilt er auch als enger Freund des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der den Rat als erster anerkannte.

Neben Dschibril sorgt der frühere libysche Wirtschaftsminister Ali Al-Issawi für die enge Abstimmung der Rebellenführung mit der Kriegsallianz. Al-Issawi verlor das für die Privatisierung zuständige Ressort im Streit um den Umfang der wirtschaftsliberalen Reformen, die er, wie Dschibril, gerne radikaler gestaltet hätte. Ebenso eng verbunden mit Washington und ausgewiesen neoliberal ist der »Finanzminister« in der Gegenregierung, Ali Tarhouni. Er ist langjähriger US-Bürger und lehrte bis zum Beginn des Aufstands an der University of Washington Wirtschaft und Finanzwesen. Seine Frau arbeitet als Anwältin im US-Justizministerium.

Eine wichtige Rolle spielt als Vorsitzender des unter der alten Flagge der Monarchie agierenden Übergangsrates auch der ehemalige Justizminister Mustafa Mohammed Abdul Dschalil. Zum Militärchef avancierte, in Abstimmung mit der Westallianz, Abdulfattah Junis, bis dahin Innenminister und Kommandeur der libyschen Sondereinheiten. Er soll vor allem enge Verbindungen zur britischen Regierung haben. Als »Generalstabschef« ist er nun zuständig für die enge militärische Koordination zwischen den Rebellenmilizen und den Kommandeuren der NATO.5

Zum Kreis der Abtrünnigen gehört auch Generalstaatsanwalt Abdul-Rahman Al-Abbar, der kurz nach Junis zu den Rebellen überlief. Somit stehen nun die drei wichtigsten bisherigen Verantwortlichen für die staatliche Repression an der Spitze dessen, was im Westen als demokratische Opposition angesehen wird.

Die drei, die schon beruflich eng verbunden waren, traf die Entwicklung offenbar nicht unvorbereitet. Sie standen vermutlich, wie der ehemalige Protokollchef auch, seit langem mit jenen Kreisen in Verbindung, die den Aufstand planten. Junis hat den Ausbruch der Unruhen vermutlich in seiner Funktion als Innenminister auch direkt gefördert. Nach Angaben eines hochrangigen Polizisten hatten die Sicherheitskräfte bereits am 17. Februar den Befehl vom Hauptquartier in Tripolis erhalten, die Polizeistationen zu verlassen. »Wir wurden aufgefordert, unsere Uniformen auszuziehen und nach Hause zu gehen.«6

Schließlich spielt im Hintergrund noch der frühere Chef der Zentralbank Farhat Omar Beng­dara eine entscheidende Rolle. Auch er kommt aus Bengasi und war offensichtlich in die Umsturzpläne eingeweiht. Der wirtschaftsliberale Banker, der wegen seines »Nebenjobs« als Vizepräsident der italienischen Großbank UniCredit sehr oft in Mailand weilte, hatte sich zu Beginn des Aufstands ins Ausland abgesetzt und seine Position genutzt, um den Abzug libyscher Kapitalanlagen aus Europa und den USA solange zu blockieren, bis UN-Sanktionen deren Einfrieren ermöglichten. Er hatte auch engen Kontakt zu Berlusconis Regierung und dürfte dazu beigetragen haben, sie zu überzeugen, trotz der umfangreichen italienischen Geschäfte in Libyen an der Seite der Aufständischen in den Krieg zu ziehen. Auch nach seinem Abgang von der Zentralbank behielt Bengdara seinen Posten bei UniCredit und arbeitet nun an den Plänen zum Aufbau eines neuen Banksystems in der Rebellenhauptstadt Bengasi.

Die militärisch erfahrensten Kämpfer in den Reihen der libyschen Opposition scheinen radikal-islamische Veteranen zu sein, die in Afghanistan und im Irak gegen US- und NATO-Truppen kämpften. Ein Teil von ihnen ist in der Libyschen Islamischen Kampfgruppe organisiert, die bereits in den 1990er Jahren Anschläge in Libyen durchführte. Ihre Hochburg ist die östlich von Bengasi liegende Stadt Derna.

Obskures Gremium

Wohl noch nie haben sich aufständische Kräfte trotz ideologischer Vielfalt und differierenden Interessen derart schnell auf eine Führung geeinigt. Der am 27. Februar gegründete »Nationale Übergangsrat« (NTC: National Transitional Council) sei, so heißt es, von Ad-hoc-Räten der »befreiten Städte« im Osten im Schnellverfahren bestimmt worden. Wahrscheinlicher ist es, daß er schon lange zuvor in enger Abstimmung mit den Regierungen in Washington, Paris und London konzipiert wurde. Allein aus dem engen Kontakt mit diesen bezieht er bis heute seine Autorität.

Das obskure Gremium, von dessen nominell 31 Mitgliedern bisher nur 13 in Erscheinung traten, repräsentiert – wenn überhaupt – nur einen kleinen Teil der Opposition und keineswegs die des gesamten Landes oder gar – wie die NATO-Staaten glauben machen wollen – des »libyschen Volkes«. Der Rat ist zudem zwischen den verschiedenen politischen und militärischen Befehlshabern gespalten, sein Einfluß auf das lokale Geschehen geht kaum über Bengasi hinaus.

Die anderen aufständischen Städte haben ihre eigene Führung, und auch viele bewaffnete Verbände kämpfen auf eigene Faust. Die Rebellen von Brega z.B., die bisher vergeblich versuchten, die Kontrolle über die Stadt zu erlangen, erkennen seine Autorität nicht an. Er würde in keiner Weise Brega repräsentieren, so ihr Sprecher Mohammed Musa Al-Maghrabi. »Uns erscheint der NTC wie eine ausländische Regierung, voller Nepotismus und Korruption.« Er sei wesentlich geschickter dabei, sich Legitimation unter europäischen Regierungen zu verschaffen als in der libyschen Bevölkerung.

Die größte Rebellenmiliz, die »Märtyrerbrigade des 17. Februar«, steht in direkter Opposition zum Übergangsrat wie auch zu den diversen anderen Milizen. Mehrfach kam es, wie die kanadische Zeitung Globe and Mail berichtete, zwischen diesen zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

Die libysche Gesellschaft ist stark stammesbezogen und schon daher wenig geneigt, ferne Autoritäten anzuerkennen. Auch das politische System der »Dschamahirija«, der »Herrschaft der Massen« durch eine direkte Demokratie über die lokalen »Basisvolkskongresse«, hat eher eine dezentrale Selbstverwaltung als eine echte nationale Administration gefördert, so der private texanische Informationsdienst Stratfor. »Ironischerweise war es dieses Erbe von Ghaddafis Regime, das den einzelnen östlichen Städten half, rasch lokale Komitees zu bilden und die Verwaltung ihres jeweiligen Gebietes zu übernehmen. Aber es wird Schwierigkeiten schaffen, sollten sie versuchen, wirklich zusammenzukommen. Die Rhetorik ist weit entfernt von einer handfesten

Demonstration der Einheit.«7

Im Westen hat es, mit Ausnahme von Misrata, nie sonderlich große Demonstrationen gegeben. Seit die NATO bombt, dürften auch viele Gegner Ghaddafis wieder hinter ihrer Regierung stehen. »In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen«, so der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, »die Ghaddafi nicht mögen, aber sehr wohl seine Errungenschaften schätzen.«8

Anmerkungen

1 Reinhard Mutz, Libyen: »Lizenz zum Töten?« Blätter für deutsche und internationale Politik, Juni 2011

2 Joachim Guilliard, »Zerstörung eines Landes – Droht Libyen der gleiche Absturz wie dem Irak?« junge Welt, 5.5.2011

3 »Den Demonstranten geht es nicht um Demokratie«, Interview mit Gabriele Riedle, Redakteurin des Magazins Geo, Berliner Zeitung, 21.2.2011

4 Gunnar Heinsohn, »Da schweigt Ghaddafi – Wer sind die Aufständischen«, FAZ 22.3.2011. Siehe auch »African migrants targeted in Libya«, Al Jazeera, 28.2.2011 und Wolfgang Weber, »Libysche Rebellen massakrieren Schwarzafrikaner«, WSWS, 31.3.2011

5 Knut Mellenthin, »Offen und kooperativ – Die ›Revolutionäre‹, denen der Westen vertraut«, jW, 1.4.2011; Prof. Peter Dale Scott, »Who are the Libyan Freedom Fighters and Their Patrons?« The Asia-Pacific Journal Vol 9, Issue 13 No 3, 28.3.2011.

6 Amira El Ahl, »Sie feiern schon ihr neues Libyen«, Welt am Sonntag, 27.2.2011

7 »Libya's Opposition Leadership Comes into Focus«, Stratfor, 20.3.2011

8 Johan Galtung, »Libya: The War Is On«, TRANSCEND Media Service, 28 3.2011

junge welt 27.07.2011 / Thema / Seite 10

08 Juli 2011

Israel und Lufthansa

Pressemitteilung

Berlin, 07.07.2011

Lufthansa, Swiss Air und Malev machen sich zu Handlangern der israelischen Politik und verweigern Aktivisten den Flug nach Israel/Palästina

Das israelische Innenministerium hat alle Fluggesellschaften (darunter Lufthansa und Air Berlin) mit einer Liste von mehreren Hundert Namen angeschrieben und fordert die Gesellschaften auf, diese Personen nicht nach Israel zu befördern. Israel behauptet ohne jede Grundlage, dass diese Personen die öffentliche Ordnung stören und die Konfrontation mit Sicherheitskräften suchen wollen. Den Fluggesellschaften wird bei Zuwiderhandlung die Verspätung der Flüge angekündigt und die unmittelbare Ausweisung der Personen mit dem gleichen Flug.
Hintergrund ist, dass weit über 500 internationale Aktivisten morgen, am 8. Juli 2011 im Rahmen der Initiative „Willkommen in Palästina" und auf Einladung von etwa 40 palästinensischen Organisationen nach Palästina reisen wollen, darunter auch über 20 Teilnehmer aus Deutschland. Es sind keine Protestaktionen am Flughafen in Tel Aviv oder beim Transit nach Palästina geplant.

Lufthansa, Swiss Air und Malev haben bereits einzelne Teilnehmer der Initiative „Willkommen in Palästina" abgewiesen oder kontaktiert und ihnen mitgeteilt, dass ihre Flüge aufgrund der Intervention Israels annulliert wurden.

„Wo verlaufen die Grenzen Israels?" fragt ein Sprecher des Deutschen Koordinationskreises Palästina Israel. „Israel besetzt völkerrechtswidrig palästinensisches Territorium und siedelt darüber hinaus eigene Bevölkerung in diesem Gebiet, in den Siedlungen an. Und jetzt werden auf Druck Israels bereits in griechischen Häfen und europäischen Flughäfen Menschen abgefangen, die nach Palästina wollen. Europäische Fluggesellschaften und die griechische Regierung machen sich zu Handlangern der israelischen Politik, die darauf abzielt, die Palästinenser abzuschotten und in den verbliebenen palästinensischen Gebieten einzusperren."

Morgen werden zahlreiche friedliche Protestaktionen an europäischen Flughäfen stattfinden.

Der Deutsche Koordinationskreis Palästina Israel (KoPI) ist ein Verbund von bundesweit über 40 Organisationen und Initiativen.

Kontakt und Interviews: Sophia Deeg, sophia_deeg@yahoo.de, (030) 88007761, (0179) 9878414

02 Juli 2011

ACHTUNG! Zusammenbruch Währungssystem!! Datum: Aug 2011

Artikelbild: "Es gibt ein systemisches Betrugsmodell einer Institution, der in unserem   Wirtschaftssystem das Monopol zur Geldschöpfung über Kredite eingeräumt   wird", meint Franz Hörmann. - Foto: Franz Hörmann

"Es gibt ein systemisches Betrugsmodell einer Institution, der in unserem Wirtschaftssystem das Monopol zur Geldschöpfung über Kredite eingeräumt wird", meint Franz Hörmann.

Franz Hörmann ist Professor für Unternehmensrechung am Institut für Revisions-, Treuhand- und Rechnungswesen an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er beruft sich in seiner Wirtschaftskritik auf das Universitätsgesetz §1 UnivG. 2002, wodurch pragmatisierte Universitätslehrer die Pflicht haben, vor Entwicklungen zu warnen, die gegen das Gemeinwohl gerichtet sind.

Crash der weltweiten Börsen im August 2011 erwartet

Das Intervie führte Angelika M. Wohofsky

franz_hoermann_wien_interviewThe Intelligence traf Prof. Franz Hörmann zu einem längeren Gespräch in Wien. Hörmann sieht einen zehnmal größeren Zusammenbruch der Weltbörsen als 2008 für August dieses Jahres nahen. Die Immobilienblase in China wird in wenigen Wochen platzen, die Supply-Chains beispielsweise der Automobilindustrie sind unterbrochen und werden in den Quartalsbilanzen des Juli nicht mehr vertuscht werden können. Die Liquidation Osama Bin Ladens sieht Hörmann ohne Auswirkung auf die Weltwirtschaft. Vielmehr wären die Unruhen in den arabischen Ländern wie Libyen geplante Aktionen. Man bohrt angeblich schon nach Öl vor der libyischen Küste. Die Hintermänner dieser Aktionen lässt Hörmann jedoch unbenannt, meint damit aber eine Elite, die im Finanzsystem angesiedelt ist. Die Menschen, auch in Europa, müssten sich organisieren, mit den Arbeitslosen solidarisieren und dieses System damit schlagartig zum Stehen bringen. Hörmann meint, sie sollen ihr eigenes Ding machen ohne dieses Geldsystem.

The Intelligence (TI): Wie schätzen Sie die Situation in Nordafrika ein?

Prof.Franz Hörmann (FH): Das Buch von Gene Sharp wurde in 28 Sprachen übersetzt: „Von der Diktatur der Demokratie". Darin sind ein paar Methoden des gewaltlosen Widerstands der Bevölkerung beschrieben, wie man gewaltlos ein Regime stürzen kann. Und dieses Strickmuster wurde im ersten Schritt in Jugoslawien bearbeitet. Da wurden serbische Gruppierungen und Vereine gegründet, die genau diese Methode verwenden. Sämtliche Ostblockstaaten wurden auf diese Art und Weise ausgeschaltet, die Regimes dort. Das Ganze ist natürlich gesteuert passiert. Und was jetzt im arabischen Raum passiert ist im Prinzip genau das Gleiche. Das ist nicht die Bevölkerung, die sich da erhebt. Leider Gottes, muss man sagen. Schön wär´s. Das sind gezielte Aktionen, die Machthaber dort zu vertreiben. Und man kann sich auch überlegen, warum. Das eine ist das knapper werdende Öl, und der andere Punkt ist das Islamic Banking, das nicht gewünscht wird. Denn die Idee, dass man Geld ohne Schulden und Zinsen produzieren kann, schmeckt halt den meisten Leuten nicht. Das ist der springende Punkt.

TI: Weil ja daran ein gesamter Wirtschaftssektor hängt?

FH: [nickt] Eigentlich ist es eine Katastrophe, wie sich die Weltöffentlichkeit irreführen lässt. Wenn man die Berichte genauer anschaut, dann sieht man, dass gerade jetzt, wo man Libyen retten möchte, dass nicht einmal entschieden ist, die Situation ist noch nicht geklärt, wer die Oberhand gewinnt. Im Hintergrund wird bereits eine Zentralbank gegründet, es werden die verstaatlichten Ölfirmen privatisiert, und man bohrt bereits in den Hoheitsgewässern von Libyen nach Öl. Man wartet gar nicht, bis es vorüber ist. Man beginnt gleich.

TI: Und das würden sie nicht tun, wenn sie nicht wüssten, wie es läuft.

FH: Genau.

TI: Und die Angelegenheit mit Bin Laden scheint auch eine konzertierte Aktion zu sein?

FH: Der gute Mann ist schon seit vielen Jahren tot. [lacht] Wenn man sich die Gesichter anschaut, von der Clinton und dem Obama, wie sie angeblich dieses Video gesehen haben. Eine schlechtere Schauspielerei ist mir noch nie untergekommen. [lacht herzlich auf] Also einen Oscar gewinnen die für ihre Rollen nicht. Das ist einfach lächerlich.

TI: Ein Kollege meinte unlängst, nicht einmal dem schlechtesten Krimiautor würde es einfallen, die Leiche so schnell ins Meer zu kippen. Das würde jede Spannung in der Handlung reißen lassen.

FH: Die Inszenierungen dieser Leute werden immer schlechter und immer unglaubwürdiger. Wir sollten langsam anfangen „Buuuh" zu rufen, „Langweilig, wir wollen ein anderes Programm! [lacht] Tauscht´s ein paar Hauptdarsteller aus, sie können ihre Rollen nicht." Das ist mediales Kasperletheater, so wie Demokratie im Allgemeinen. Das ist mediales Kasperletheater.

TI: Vielleicht ist in den USA schon Wahlkampf?

FH: Naja, vielleicht macht er sich Hoffnungen. Aber so wie der Mann [Anm. d. Red., Hörmann meint damit Obama] derzeit nervlich zerrüttet ist, hat er sowieso keine Chance auf eine Wiederwahl. Der ist ausgebrannt, den kann man kein zweites Mal verwenden. Außerdem kommt er sofort aus dem Takt, wenn der Teleprompter umfällt. Schaut euch das einmal auf Youtube an, wo man ihm den Zettel wegnimmt. Auch sehr lustig ist auf Youtube, er glaubt offenbar wirklich, dass die USA 52 Bundesstaaten haben. Ja, das hat er gesagt. Er war schon in 50 Bundesstaaten und in die nächsten zwei fährt er dann auch noch. Ist ein Originalzitat, im ernst.

Das sind Schauspieler, die den Text zu lesen oder zu spielen gelernt haben. Oder, die eine Zwischenfrage gestellt bekommen, da ist es komplett vorbei. Der Mann kann keine wirklichen Antworten geben, weil er nicht weiß, was er sagen darf. Der muss sofort seine Berater fragen, ja. „Moment ich muss mal kurz aus dem Raum gehen, um mir die Antworten zu holen, die ich geben darf." [lacht]

TI: Hat die Aktion mit Bin Laden einen Einfluss auf die Weltwirtschaftssituation?

FH: Nein, die Weltwirtschaft läuft von alleine ins Leere. Und möglicherweise wird es so sein, wie einige Ökonomen auch im Internet vermuten, dass durch den Ausfall der japanischen Produktion jetzt die Quartalsberichte, die jetzt im Juli publiziert werden, beim Großteil der Unternehmen so schlecht ausfallen, dass es zu einem Aktiencrash kommen wird.

TI: Im Juli?

FH: Jetzt im Juli. Das hieße dann für August der Zusammenbruch der Weltbörsen. Aber heftig. Das ist zehnmal so schlimm wie 2008, was wir bei Lehman Brothers gesehen haben. Weil jetzt einfach bei Halbleiterchips, Bauteile für Automobilkonzerne usw. City Bank hat gesagt, sämtliche Autoaktien sofort verkaufen.

TI: Wann hat City Bank das gesagt?

FH: Naja, unmittelbar nach Fukushima. Das scheint wirklich ein gröberes Problem zu sein mit diesen Versorgungsketten. Da die Supply-Chains sich im globalen Maßstab dramatisch spezialisiert haben, und offenbar nicht schnell genug Ersatzkapazitäten aufgebaut werden können, dürfte das, was üblicherweise, massenweise aus Japan kommt, um mindestens 20 Prozent einbrechen. Dass heißt natürlich jetzt für viele, dass sie keine Teile mehr kriegen und auf ihren Bestellungen sitzen bleiben und nicht arbeiten können.

TI: Das sieht man ja schon, dass die Automobilindustrie teilweise schon zum Stillstand gekommen ist.

FH: Ja, und das wird noch viel schlimmer werden, weil man das in den Quartalsberichten als Ertragseinbruch nicht mehr verstecken kann. Das heißt, dass die Aktienkurse zusammenbrechen werden. Und das bedeutet viel, weil diese Aktien wieder in Fonds liegen. Diese halten wieder Pensionsversicherungen und so weiter. Die Investoren reißt es dann mit.

TI: Das steht dann auch in Ihrem Buch "Das Ende des Geldes". Diese Kettenreaktion, Versicherungen gehen pleite…

FH: Genau, denn eines, wenn ein wirklich heftiges Szenario, ein globales Szenario eintritt, dann reißt es alle in dieser Kette mit, deren Werte wieder von diesen Werten abhängen.

TI: Ausgehend von den USA?

FH: Ja, in den USA startet jetzt sehr viel. Ich nehme einmal an die Unzufriedenheit der Bevölkerung, weil 44 Millionen nur noch von Lebensmittelmarken leben und immer mehr in Zeltstädte ziehen. Das ist nicht so wirklich der American Dream.

TI: Vor allem, wenn man mit einem Jahreseinkommen zwischen 80.000 und 120.000 Dollar nicht mehr auskommt und die „Mittelstandslüge" jetzt auffliegt. Die Leute aber am Lebensstandard festhalten. Das Umdenken kommt vermutlich erst dann, wenn man in der Zeltstadt wohnt?

FH: Vermutlich. Es würde aber genügen, wenn man sich gesellschaftlich organisiert, sodass man diese Art von Geld, diese Art von Arbeitsvertrag nicht mehr benötigt. Das wäre die cleverere Lösung. Die, die heute noch einen Job haben, und glauben, arbeiten zu müssen, um Geld zu bekommen, die sollen einfach alle sofort die Arbeit niederlegen, und sich mit den heute noch Arbeitslosen solidarisieren. Und sich so zu neuen Produktionsketten, Supply Chains, organisieren. Völlig unabhängig vom bestehenden Rechtssystem, vom bestehenden Geldsystem machen die einfach ihr eigenes Ding. Schlagartig. Und die Eigentümer dieser Unternehmen können sich dann selber ans Fließband stellen. Das wäre eine elegante Lösung.

TI: Wie sehen Sie die Lage in Indien? Mr. Dax spricht davon, dass er sich mit indischen Aktien noch zurück hält, hier aber ein Markt besteht [Anm. d. Red., laut Financial Times Deutschland vom 04.05.2011]

FH: Schlimmer wird China. Die chinesische Immobilienblase ist jetzt wirklich drauf und dran zu platzen. Das wird noch wenige, ich schätze, Wochen dauern.

TI: Indien wird doch als Land mit wirtschaftlicher Zukunft gehandelt?

FH: Die Bevölkerung dort, die werden doch alle ausgebeutet. Auch dort ist eine gezielte Blase, die nach unten gehen wird, aber auf der Preisebene. Und dann, wenn zu viel investiert wird, dann lässt man es wieder platzen. Das sind doch alles gezielte Vermögensumverteilungs-Aktionen. Ich kann ja immer die Preise nach oben bewegen. Und kurze Zeit davor, das ist der Punkt, kurz vor der Spitze oben, ich muss schon vorher aussteigen. Die Bewegung, die noch hinauf geht, das sind dann die, die am meisten verlieren. Also nicht am Gipfelpunkt sondern schon vorher raus. Und am schönsten ist es, wenn man auf beiden Seiten spielt. Als Käufer und als Verkäufer. Gut ist es, wenn man die Versicherungen noch einschaltet. Mit Leerkäufen, mit Versicherungen. Man ist dann auf beiden Seiten mit dabei.

TI: Das wird ja getan…

FH: Na freilich, dafür haben sie die ganzen Instrumente ja auch erfunden. Und da die entweder die größere Marktmacht haben oder zeitlich frühere Information, sind alle, die keine Insider sind, in diesem Spiel automatisch vorprogrammierte Verlierer. Die können gar nicht gewinnen.

TI: Das wäre der Großteil?

FH: Das sind alle, die nicht wirklich mit denen verwandt oder befreundet sind.

„Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen", meint Franz Hörmann im Interview mit The Intelligence. Wenn also sein prognostizierter Zusammenbruch des Währungssystems kommt, wird es keine Banken mehr geben. Auch Zwangsenteignungen fallen in Europa vermutlich aus, weil sich diese der europäische Bürger nicht bieten lassen wird. Die Leute müssen sich jetzt schon zusammenschließen und einen neuen Lebensstil kreieren. Hilfreich will Hörmann mit Tipps für eine solche neue Gesellschaft und Wirtschaft sein: im Sommer erscheint dazu ein Pamphlet. Seine Richtung weist in einen Alltag mit weniger Stress und in dem wir unsere Kreativität dafür verwenden, uns das Leben leichter zu machen. Die Zukunft liegt gesellschaftlich in Gruppennetzwerken, die sich interessensgeleitet bilden und in der Demarchie statt der Demokratie.

TI: Was passiert beim prognostizierten Zusammenbruch?

FH: Ich nehme an, wenn das Währungssystem zusammenbricht, wird das Rechtssystem auch zusammenbrechen. Banken als Institutionen, sprich Kapitalgesellschaften, werden nicht überleben. Und ein Bankaktionär wird sagen, ich habe jetzt Aktien einer Bank, der wird ja nicht zu den Leuten gehen und sie aus dem Haus rausschmeißen. Was hat er davon, wenn es die Bank nicht mehr gibt. Der wird ja in den Häusern auch nicht wohnen. Der will ja Geld sehen. Und wenn es das Geld nicht gibt, was soll er machen? Geht er dann hin und nimmt sich zwei Zaunlatten mit nachhause?

TI: Das heißt, Sie sehen keinerlei Zwangsenteignungen und dergleichen auf uns zukommen?

FH: Keine Chance. Das ist politisch nicht durchzubringen. Wenn so etwas in Europa passieren würde, dann würden die Straßen brennen. Das würde sich die europäische Bevölkerung nicht bieten lassen. Man denke an Paris schon vor vielen Jahren oder an Griechenland. Dort haben ja Polizisten gebrannt auf der Straße. Die wurden mit Molotowcocktails beworfen. Aber bei uns in den Medien hat man das nirgendwo gesehen, wie dramatisch das war. Aber auf Youtube oder im Internet sieht man diese Videos.

TI: Gut, in Griechenland scheint es momentan recht eng herzugehen. Mein Bekannter in Athen meint, man sieht zu, dass man das Notwendige zum Leben verdient. Das sind Nahrungsmittel, und dass die Menschen die Miete zahlen können. Es wird immer prekärer.

FH: Na sicher. Das sind die Weltgegenden, wo als erstes alternative Systeme entstehen. Dabei sind die Lösungen ja sehr einfach. Man braucht nur eine Inventur machen, die jeder in seinem eigenen Leben macht. Also in welchem Zeitraum brauche ich welche Güter und welche Dienstleistungen. Das schreibe ich mir einfach zusammen. Welche Nahrungsmittel brauche ich, welche Energie, welche Art von Kleidung und so weiter. Und das wird dann beispielsweise im Internet in eine Usinglist eingetragen. Und dann schaut man herum, was kann man selbst organisieren, was kann man leihen, was kann man neu machen, was kann man beschaffen. Damit sind wir eigentlich schon in einer neuen Wirtschaftsform.

TI: Wenn man den Minimalismus als Alternative für das herkömmliche System nimmt, dann geht man dabei ja auf diese Art vor. Das heißt, ich tue alles weg, was ich nicht mehr benötige, behalte jenes, was ich für meinen Weg brauche und dann schaue ich, wie ich mir das organisiere.

FH: Das tut zwar ein bisserl weh in dem Moment, aber mit dem Essen können wir anfangen. Ich war jetzt in Altlengbach (Niederösterreich) und habe einen Vortrag gehalten bei einer Konferenz mit dem Titel „Wahre Alternativen", und da war ein Kollege, auch ein Vortragender, ein gewisser Helmut Matzner. Und der hat über gesunde Ernährung einen Vortrag gehalten. Und der ist tatsächlich der Meinung und kann das auch gut argumentativ begründen, dass alles, was wir an Nahrungsmitteln zu uns nehmen pro Tag, was über eine Handvoll Reis hinaus geht, in Wirklichkeit dem Körper schadet. Also, zwei Hände Reis sind schon zu viel, sagt er. Eine Hand Reis, Ende. Jetzt stellen wir uns einmal vor, was brauchen wir wirklich? Sauberes Wasser, den Reis und einen Reiskocher. Die Zeit, die wir einsparen, weil wir nicht dreimal am Tag beim Essen sitzen,…

TI: Die Zeit fürs Einkaufen….

FH: …genau, für das Kochen, der ganze Abfall, der Geschirrspüler, der Kühlschrank…. Weg, weg, weg… Wäre das nicht eine schöne Idee?

TI: Absolut, wären dabei aber nicht viele überfordert mit der Frage: Was mache ich mit der so gewonnenen Zeit?

FH: Nachdenken, wie es uns auf anderen Ebenen besser geht! Da lässt sich immer was finden und wenn man nur ein Mittagsschläfchen hält. In Japan machen das die Menschen auch. Die schlafen im Restaurant, in der U-Bahn und keiner stört sie. Das ist einfach nur ein kultureller Effekt. Warum können wir das nicht auch machen? Wer hindert uns daran? Das wäre wirkliche Lebensqualität. Da brauch ich nicht ein Schloss und einen Fuhrpark.

TI: Was raten Sie jenen, die jetzt schon in prekären Situationen sind? Von der finanziellen Art, von der Jobsituation her.

FH: Sich zusammen zu schließen und zu organisieren. Mit unserer nächsten Publikation, das wird eine Broschüre, um nicht zu sagen ein Pamphlet, die im Sommer verfügbar sein soll. Da treten wir in die Fußstapfen von Stephané Hessel  mit „Empört euch", denn der kommt jetzt im Sommer mit „Erhebt euch!" Und wir wollen im gleichen Format, im gleichen Umfang und auch um maximal vier Euro ein kleines Pamphlet mit dreißig Seiten, „Vereint euch!", schreiben. Und im Untertitel „Neues Geld für eine neue Gesellschaft". Und dort steht dann alles drin. Wie es geht, was man macht, was wir brauchen, was wir nicht brauchen. Wie wir die Denkweise ändern, was im Alten falsch ist, wie es im Neuen besser geht. Und so, dass es jeder versteht. Das ist geplant für Sommer.

TI: …das heißt, ab Herbst verfügbar?

FH: Wenn es so läuft wie wir wünschen, dann wird es schon vorher verfügbar sein. Damit die Leute wissen, was sie tun sollten.

TI: Das klingt für mich handfester als das, was ATTAC fordert… demonstrieren, Regeln für den Finanzmarkt…

FH: Das ist Zeitverschwendung. Den Finanzmarkt gibt es bald nicht mehr. Geld, der Finanzmarkt, Kapitalgesellschaften. Alle diese Dinge sind doch nur Werkzeuge in den Händen der Elite zu einem bestimmten Zweck. Und das ist die flächendeckende Bevölkerungsenteignung. Und daher brauchen wir uns um diese Werkzeuge nicht zu kümmern. Und wenn wir besonders clever sind, dann schaffen wir Eigentum gleich auch mit ab. Dann können sie nämlich nichts mehr tun. Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Eine Gesellschaft, in der das persönliche Eigentum, wie wir es heute haben, verschwindet, nur durch individuell gesicherte Nutzungsrechte ersetzt wird, wo wirklich jeder Mensch das, was er wirklich braucht, garantiert haben kann. Und das organisiert sich nicht unter einer diktatorischen Vorgabe, sondern aufgrund des Menschenverstandes, in Kooperation, in permanenter Abstimmung. Und das kann durchaus heißen, dass wir alle, später einmal, metaphorisch gesprochen, ein Schloss haben werden. Aber es ist dann etwas, was ökologisch, nachhaltig funktioniert. Was wir auch selber reparieren und in standhalten können. Wo wir nicht auf Dienstleistungen, die wir nicht bezahlen können, angewiesen sind. Und so weiter und so weiter. In der richtigen Geisteshaltung durch Kooperation können wir einen solchen Reichtum für alle schon schaffen. Aber wir können das nicht im bestehenden System, weil es diese Art von Entwicklung nicht zulässt.

TI: Da werden wir doch auf unsere individuelle Selbstbestimmung zurückgeworfen, oder?

FH: Naja, nicht so ganz dramatisch. Wir werden nach wie vor in Gruppennetzwerken leben.

TI: In Stämmen oder Clans?

FH: Nun ja, interessensgeleitet schon. Also was die Leute gemeinsam tun wollen. Aber nicht von der Abstammung her, nicht von der Kultur, der Religion. Das ist zu archaisch. Entscheidend wird sein, dass die Menschen herausfinden, dass unser Reichtum und Wohlstand eben nicht von diesen Papierschnipseln und Computerzahlen abhängt. Sondern von dem, was in der Realwirtschaft da ist. Das heißt zum Beispiel, ein Energieversorger, ein Lebensmittelproduzent, ein Unternehmer oder ein Treibstoffunternehmer – wenn die jetzt wirtschaftlich bankrott sind, dann müssen die trotzdem in der Realwirtschaft weiter leisten. Deswegen brauchen wir eine Änderung des politischen Systems. Damit wir sagen, Bilanzen, irgendein positives Eigenkapital brauchen wir nicht mehr. Sondern die Menschen tun etwas für andere, die auf die Dienstleistungen und Güter angewiesen sind. Und das müssten wir sicherstellen. Die Organisationsform, ob wir das Ergebnis jetzt Gewinn nennen, ob wir die Eigentümer schöpfen, ob das genossenschaftlich ist oder verstaatlicht. Das spielt keine Rolle. Es muss nur funktionieren.

Das ist ja eigentlich nur die Ideologie, die dafür sorgt, dass die Leute weiter arbeiten. Zuckerbrot und Peitsche ist es eben heute. Dann müsste es vernünftiger sein, eine „schiache" (Anmerk. d. Red.: österreichisch für „hässlich") Arbeit, die will ich nicht machen, da stelle ich einen Roboter hin und ich bin dann immer noch nützlich für die Gesellschaft. Und ich hab dann auch meine Einkommen, sonst gibt es ja auch keine Kreativität. Wenn jede Verbesserung meine eigene Existenz bedroht, dann gibt es keinen Fortschritt mehr.

TI: Wobei wir dabei bei der Grundversorgung wären, bei einem Grundeinkommen oder wie Sie das auch bezeichnen: funktionales Geld, funktionale Währung, Sozialversicherungsgeld.

FH: Ganz genau.

TI: Das heißt, basisdemokratische Prozesse, oder besser gesagt die Demarchie, wo man einen Konsens herstellt…

FH: …ganz genau, richtig.

TI: …weil Demokratie ist ja auch wieder eine versteckte Hierarchie

FH: Jawoll, wir haben heute noch das Problem der Abschirmungsprozesse. Heute ist es so, dass 51 Prozent 49 Prozent beherrschen können. Und das ist natürlich ein Unsinn. Man muss in die Richtung gehen, dass man sagt, man friert nicht den eigenen Standpunkt ein, sondern man bleibt so flexibel, dass man zu einer Lösung kommt. Dann hat man zum Beispiel 80 oder 90 Prozent Zustimmung. Und die erreicht man nur, wenn man eigene Elemente der eigenen Meinung auch aufgibt oder variabel gestaltet. Das ist etwas, was wir systemisch nicht wirklich drauf haben. Ja weil wir glauben immer, ich hab ein komplettes Paket und wir haben gewonnen, wenn es unverändert, genauso für alle gilt. Das ist natürlich ein völliger Unsinn. Wir müssen das ganze zerlegen in einzelne Bauteile, dann sagen, was ist besonders wichtig, was ist absolut notwendig, auf was kann ich sofort verzichten. Dann kann man sich viel besser  unterhalten. Aber wenn man vereinfacht schwarz-weiß malt oder ja nein, oder die eine Variante und sonst gar keine und auf der Ebene die Argumente verwendet, dann hat man es bei solchen Prozessen schwer.

TI: Das erinnert mich an das Managementtool „Effectuation", wo man von einer Idee ausgeht, man sich dazu Stakeholder sucht und dann sagt, was jetzt.

FH: Richtig, und dann entwickelt man dazu das Projekt aus dem Prozess heraus und nicht wie zuvor aus einer logisch kausalen Kette heraus und stur Heil durch. Und so etwas kann man im Internet wunderbar umsetzen. Mit kleineren Gruppierungen. Das kann man auch für Staaten oder größere Regionen verwenden. Und dann kann man mit Menschen, vor allem in Schulen, schon üben, so zu denken. Weil heute ist es ein Machtverlust, ein Verlust an Selbstwertgefühl, wenn ich meine komplette Meinung, also von A bis Z, nicht durchsetzen kann. Da verliere ich mein Gesicht. Vor allem in einer sozialen Gruppe, wo ich schon eine bestimmte Hierarchiestufe erreicht habe. Wenn ich da jetzt klein beigebe und Zugeständnisse mache da und dort auch, dann bin ich kein Alphatier mehr.

Das aktuelle Wirtschaftssystem ist ein Nullsummenspiel. Somit ist auch das Geldsystem automatisch, nach Franz Hörmann, ein auf Lüge und Betrug basierendes Wirtschaftssystem, das verändert werden muss. Die Wissenschaft hat dabei einen entscheidenden Anteil. Hochschullehrer sind aufgefordert, dem Universitätsgesetz und allen Gesetzen zu folgen und davor zu warnen, wenn gemeinschaftliches Wohl gefährdet ist. Die einheitliche Weltwährung sieht Hörmann nicht kommen und damit wäre auch die Basis für eine Neue Weltordnung vereitelt. Er setzt auf den Einfluss realwirtschaftlicher Unternehmen, die erkennen werden, dass dieses Geldsystem nicht funktioniert und damit auch deren Macht und Einfluss abhandenkommt. Legten wir das aktuelle Nullsummenspiel ab, bräuchten wir keine Steuern mehr, keine Zinsen, keine Enteignungen usw.Franz Hörmann (FH) sieht in den Mechanismen unseres Wirtschaftssystems ein Nullsummenspiel, das vom Markt ausgeht: „Weil der Markt hat eine endliche Zahl von Käufern. Denn ich kann nur wachsen in einem Markt, wenn ich dem Konkurrenten seine Käufer abjage. Deswegen muss ich mich durchsetzen."

TI: Damit produziere ich aber Gewinner und Verlierer.

FH: So ist es. Dieses Muster haben wir überall. Mich selbst zu verändern geht gar nicht in der heutigen Wirtschaft. Weil im wirklichen Wirtschaftsleben mache ich mich schwach in der Veränderungsphase. Und die Schwäche erkennt jeder Mitbewerber und schlägt beinhart zu. Dann werde ich entweder übernommen oder in die Pleite gedrängt.

TI: Das nennt sich dann euphemistisch „Marktbereinigung", „Gesundschrumpfen" oder „Marktregulierung".

FH: So ist es. Es kommen am Ende am Ende immer Monopole heraus. Das ist das Ende der Marktbereinigung. Das hat ja schon der Schumpeter gewusst. Die ursprüngliche Idee war die einheitliche Weltwährung.

TI: Glauben Sie, dass die kommt?

FH: Nein. Ich glaube nach wie vor, dass die BRICS-Staaten [Anm. d. Red.: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika] nicht mitspielen werden. Die akzeptieren die Vorherrschaft des Westens so nicht. Daran werden sich die Architekten der Neuen Weltordnung sicher die Zähne ausbeißen – hoffe ich.

TI: Die Architekten der Neuen Weltordnung sind für Sie wer?

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FH: Das sind die reichsten Familien und ihre Stellvertreter in unseren Systemen. Nur das Problem ist, dass diese Gruppe von Menschen genauso wenig homogen ist, wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen auch. Da gibt es zum Beispiel die, die rein von der Finanzwirtschaft leben. Dazu zählen Versicherungen und Banken. Und dann gibt es die, die eigentlich realwirtschaftliche Unternehmen besitzen. Und die realwirtschaftlichen Superreichen sind zwar nicht reich bezogen auf Geld, aber sie sind die Mehrheit in dem Verein. Und die merken, dass das normale Geldsystem nicht funktioniert. Die wissen, dass ihr Einfluss, ihre Macht verschwindet, wenn es keine Kunden mehr gibt, die ihre Produkte kaufen. Ja? Und deshalb werden die sich eher mit den Kunden und der Bevölkerung verbünden, und ein Geldsystem entwickeln, das für die Bevölkerung und sie selbst viel besser ist und nicht für die Versicherungen und die Banken im alten System. Und damit sind sie gleichzeitig auch die Beherrscher der neuen Finanzwirtschaft.

Und auf die Idee muss man natürlich kommen. Was braucht die Bevölkerung wirklich? Sie braucht Güter und Dienstleistungen, aber nicht Zettel und Zahlen. Wenn ich jetzt Zettel mit Zahlen erfinde, die sicherstellen, dass meine Produktion von den Kunden auch wirklich gekauft wird, dann haben alle neue Zettel und Zahlen und nicht mehr das alte Finanzsystem. Und dann sind die bisherigen Herrscher in der Realwirtschaft zugleich die neuen Herrscher in der Finanzwirtschaft. Das ist der Spaltpilz in allen Elitegruppen. Es ist eigentlich ganz einfach. Daher können die auch selber nicht mehr an einem Strang ziehen, weil das Spiel „Divide et Impera", das sie mit der Bevölkerung gespielt haben, fällt jetzt auf sie selber zurück.

TI: Sie berufen sich in Ihrer Kritik auf den Paragraph 1 des Universitätsgesetzes von 2002.

FH: Dort steht sinngemäß, die Universitäten sind dazu aufgerufen für gesellschaftlichen Wohlstand zu forschen und neue Ideen hervorzubringen. Das ist alles ganz toll. Dort steht zum Beispiel nirgendwo, dass man eine hirnverbrannte Berufsausbildung anbieten soll, basierend auf Methoden, von denen man wissenschaftlich schon weiß, dass sie gar nicht funktionieren. Das finden wir da nicht. Eine mittelalterliche Buchhaltung ist auch keine neue Idee, und schon gar nicht für die Gesellschaft sinnvoll und nützlich. Trotzdem wird das an den Universitäten scheinbar unterrichtet. Ich frage mich nur, warum und auf welcher gesetzlichen Grundlage dies passiert.

TI: Ist der Universitätsrat mit dieser Kritik von Ihnen schon konfrontiert worden?

FH: Ich bin pragmatisierter Beamter. Das interessiert mich nicht.

TI: Das heißt, Sie nützen Ihre sichere Stellung.

FH: Diese sichere Stellung ist für mich eine Verpflichtung, weil alle meine jungen Kollegen mit ihren befristeten Dienstverhältnissen können das eben nicht tun. Wenn das überhaupt jemand machen kann, dann nur jemand in meiner Position. Das ist vollkommen klar.

TI: Das wäre aber auch eine indirekte Aufforderung von Ihnen an alle Pragmatisierten, sich auf das Universitätsgesetz zu besinnen.

FH: Ganz genau. An alle Gesetze! Sich einfach einmal die Mühe zu machen zu fragen, für wen bin ich eigentlich tätig? Ich werde von der Bevölkerung bezahlt und nicht von einer Prüfungsfirma und nicht von einer Marketingfirma und von keinem Lobbyverein. Mich bezahlt die Bevölkerung, alle die Steuern zahlen.

Unser Problem ist, dass wir als Kultur komplett auf Nullsummenspiele geprägt sind. Nullsummenspiel ist, ich kann nur gewinnen, wenn andere verlieren. Gewinne und Verluste in der Runde gleichen sich immer auf null aus. Und schön kann man das bei Kartenspielen demonstrieren. Das klassische Nullsummenspiel beim Kartenspiel ist Poker. Das ist der absolute Klassiker. Weil alle ihre Einsätze tätigen and the winner takes it all. Der gewinnt natürlich nur das, was die andern verlieren. Aber er kann auch nur gewinnen, wenn andere verlieren. Anders geht´s nicht.

Es gibt aber heute andere Kartenspiele, die nicht Nullsummenspiele sind. Zum Beispiel Wizard oder Rage. Funktioniert ganz anders. Bei Wizard kriegt jeder sein Blatt. Dann wird eine Trumpfkarte aufgedeckt. Dann muss jeder in der Runde sagen, wie viele Stiche will er machen, mit diesem Blatt und der Trumpffarbe. Und wenn er genauso viele Stiche wirklich macht, kriegt er für jeden Stich eine Prämie, und zusätzlich noch einen Bonus. Macht er aber zu wenig Stiche oder zu viele, dann kriegt er ausschließlich Strafpunkte für die Differenz; also für die Unter- oder Überstiche. Da sehen wir sofort, diese Belohnungs-, Bestrafungspunkte summieren sich pro Runde niemals auf null.

Was heißt das aber jetzt. Wenn ich sage, ich will zwei Stiche machen. Und ich mach gleich am Anfang meine zwei Stiche, schalte ich sofort um auf kooperatives Spielen, lasse überall, wo es möglich ist, nach. Weil ich ja froh bin, wenn die anderen stechen. Weil ich habe ja meinen Spielvertrag, meinen Kontrakt schon erfüllt. Okay?

Andererseits, was könnte man sich für ein Geldsystem als schöneres Ziel vorstellen, in der Wirtschaft, als wenn man die belohnt, mit Geld, die sich an die Verträge halten. Und jetzt stellen wir uns einmal vor, fünf Spieler ziehen Stiche, und jeder einzelne sagt: Ich mache zwei Stiche. Und die bringen das auch zusammen. Von allen einzelnen Zusagen werden alle Kontrakte eingehalten. Jetzt müsste ich jeden einzelnen belohnen. Das geht natürlich nicht in einem Nullsummenspiel. Bei einem Nullsummenspiel hätte ich jetzt niemanden etwas wegnehmen können, weil sich alle an ihre Verträge gehalten haben. Das ist der einzige Grund, warum ein Nullsummenspiel als Geldsystem automatisch ein unethisches, ein verlogenes, ein auf Lüge und Betrug basierendes Wirtschaftssystem erzeugt.

TI: In diese Richtung wird vermutlich auch Ihre kommende Diskussion mit Margrit Kennedy laufen, oder?

FH: Aber selbstverständlich. Sie glaubt, als Freiwirtschaftsanhänger, an das Nullsummenspiel, ohne dass es ihr bewusst ist. Das sind Verteilungskämpfe. Das schönste Beispiel dafür ist für mich der Finanzminister. Der Finanzminister mit seinem Budget lebt in dem bestechlichen Wahn, dass er einem Ressort nur dann mehr geben kann, wenn er einem anderen denselben Betrag wegnimmt. Das ist diese merkwürdige Sichtweise. Dabei weiß er ja, dass auf keiner Bank das so funktioniert. Kredite sind immer nicht vorhandenes Geld, das entsteht, weil es entliehen wird. Nur der Finanzminister kann sich daran nicht halten. Der kann nicht Geld erzeugen, wann er es braucht. Nein, noch viel lustiger. Der borgt es sich bei der Bank. Und die erzeugt es aus Luft. Aber er muss von der Bevölkerung Zinsen beschaffen.

TI: Wir würden uns also auch die Steuern sparen?

FH: Komplett. Wir hätten keine Zinsen mehr, keine Steuern, keine Staatsdefizite, keine Enteignungen, und könnten 80 Prozent unserer Lebenszeit einfach das tun, was uns Spaß macht.

TI: Wir müssen also nur auf null stellen?

FH: Wir brauchen nur den politischen Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Wir brauchen ein anderes Gesellschaftssystem. Nicht nur Geldsysteme, Wirtschaftssysteme, wir brauchen auch ein anderes Bildungssystem, das uns zu gelebten Werten hinführt und nicht zu so komischen Rechnungseinheiten, wo keiner weiß, warum die Zahlen immer größer werden sollen.

TI: Wie geht es jetzt für Sie weiter?

FH: Naja, jetzt kommt einmal diese Aufklärungsbroschüre, um nicht den Namen Pamphlet zu verbreiten. Und parallel dazu möchte ich eine Webseite einrichten, Ende Mai, wenn möglich, mit dem Titel ANEW. Ich könnte sie auch NÖNÖ nennen. Das sind Abkürzungen. NÖNÖ ist das Netzwerk Österreichischer Neuer Ökonomie. Aber ANEW klingt besser: Austrian New Economics Web. [lacht] Ich muss zugeben, NÖNÖ hat auch was.

TI: Und was steht auf dieser NÖNÖ-Webseite?

FH: Und da zeigen wir halt die ganzen Denkfehler, die, wenn man den Geldschöpfungsprozess negiert, und den Zinsen, die in der Geldmenge nicht vorhanden sind, die dann passieren bei dem, was wir heute Wirtschaftswissenschaften nennen. Und welche Konsequenzen das für die Wirtschaftswissenschaften hat, und wie man das aber berücksichtigt. Und wenn man insbesondere das Geldsystem als Variable betrachtet, also als Konstrukt, das gesellschaftlich gestaltbar ist, dann haben wir auf einmal einen viel größeren Lösungsraum. Und in diesem Lösungsraum beginnen wir dann langsam mit Vorschlägen aus der Gesellschaft zu füllen. Der beste Vorschlag soll sich dann einfach durchsetzen.

In der geistigen Welt bin ich ja total für Wettbewerb. 100-prozentig. Die beste Idee soll sich durchsetzen. Gar keine Frage. Nur müssen wir erst einmal lernen, von den eigenen, selbst generierten Ideen wegzukommen.

TI: Herr Professor Hörmann, wir bedanken uns für dieses ausführliche Interview.

 


derStandard.at-Interview

"Banken erfinden Geld aus Luft"

Daniela Rom
13. Oktober 2010 07:05


Warum das Finanzsystem ein Betrugsmodell ist, was Bilanzen damit zu tun haben und warum der ultimative Crash droht, erklärt der Wiener Wirtschaftwissenschafter Franz Hörmann

Für Franz Hörmann, Professor an der Wirtschaftsuniversität in Wien, ist die Zeit der Banken und des Geldes vorbei. Ein Paradigmenwechsel sowohl in den Wirtschaftswissenschaften, als auch in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht, ist für ihn unumgänglich. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt er, warum wir die Banken getrost ignorieren können, die freien Märkte "Blasenmaschinen zum Missbrauch für die Eliten" sind und noch in den nächsten drei Jahren der Zusammenbruch des gesamten Systems droht.

derStandard.at: Sie gehen davon aus, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft in den kommenden Jahren völlig verändern werden. Hat unser derzeitiges Finanz- und Wirtschaftssystem ausgedient?

Franz Hörmann: Definitiv in jeder Hinsicht. Weil wir aus Sicht der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Modelle verwenden, die auf die alten Römer zurückgehen. Das Zinseszinssystem stammt aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend, die doppelte Buchhaltung aus dem 15. Jahrhundert. Und es gibt keinen Bereich unserer Gesellschaft und der Wissenschaften, wo Methoden dieses Alters überhaupt noch ernst genommen werden. Aber es dient dazu, gesellschaftliche Eliten mächtig und reich zu erhalten, deswegen ändert sich nichts.

derStandard.at: Läutete die Krise nun ein Umdenken ein?

Hörmann: Das denke ich schon. Die heutige Krise geht von den Banken aus. Banken erfinden im Kreditprozess Geld. Wenn man aber Geld aus Luft erfindet und das, was vorher noch nicht existiert hat, verzinst weiter gibt und dinglich absichern lässt, dann ist das, wenn das Geschäftsmodell schief geht, in Wahrheit ein Enteignungsmodell. Das ist auch der Hintergrund des Bankgeheimnisses. Banken können überhaupt nicht offenlegen, wo beispielsweise die Zinsen für Sparbücher, Bausparverträge oder Sonstiges herkommen. Denn wenn sie das täten, müssten sie zugeben, dass das alles in Wirklichkeit verkettete Pyramidenspiele sind. Diese verdeckte Geldmengenausweitung hat mit der doppelten Buchführung begonnen. Weil wenn man mit Geld eine Sache kauft, dann wechselt das Geld in Wahrheit den Besitzer. Der Verkäufer hat das Geld, der Käufer hat die Sache. Ab dem Moment ist die Sache aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr in Geld bewertbar. Trotzdem schreiben wir diese Geldbeträge in Bilanzen rein.

derStandard.at: Den Banken und dem Finanzsystem zu vertrauen ist also ein Fehler?

Hörmann: Das Vertrauen ist ja in den letzten Jahren von den Banken systematisch missbraucht worden. Es gibt ein systemisches Betrugsmodell einer Institution, der in unserem Wirtschaftssystem das Monopol zur Geldschöpfung über Kredite eingeräumt wird. Solange man mit Eigenkapital als Sicherheit zur Bank geht und die erzeugt aus Luft echtes Geld, das eine Zahlungsmittelfunktion hat, haben wir ein Problem. Eigenkapital ist eben kein Geld, es ist eine Rechengröße. Nach irgendwelchen Regeln wird die Aktivseite bewertet und dann die Schulden abgezogen. Wenn ich ein drei Meter langes Brett habe und ziehe ein zwei Meter langes Brett ab, dann hab ich immer noch kein ein Meter langes Brett, ich habe eine Differenz. Wenn ich ein ein Meter langes Brett haben will, dann muss ich die zwei Meter abschneiden. Ökonomisch heißt das, ich muss die Aktiva liquidieren, damit ich das Geld kriege. Zu Liquidationserlösen sind aber alle Unternehmen weltweit pleite. Auch Staaten können sich daher in Wirklichkeit gar nicht verschulden. Ein Staat, wenn man ihn als Summe des gesamten Geldflusses versteht, wo soll sich der verschulden? Warum gerade bei einer Privatbank? Ein Staat müsste sein Geld eigentlich selbst erzeugen, und zwar basisdemokratisch.

derStandard.at: Was ist dann von einer Rettung wie im Falle Griechenlands zu halten?

Hörmann: Die europäischen Länder haben nicht unbedingt die Griechen gerettet, sondern ihre eigenen, in erster Linie die deutschen Banken, die hier absurde Kredite vergeben haben. Die Zusammenhänge sind auch völlig absurd, wenn man sich Folgendes überlegt: Der Staat verschuldet sich bei den Banken, um die Zinsen der Schulden, die er bei den Banken hat, zu begleichen oder um die Banken zu retten, bei denen er selber Schulden hat. Da versteht ja keiner mehr, wer eigentlich bei wem Schulden hat und was Schulden eigentlich sind.

derStandard.at: Die Systemrelevanz von Banken und das "too big to fail"-Argument und die Bankenrettungspakete sind für Sie also reines Eigeninteresse?

Hörmann: Das "Too big to fail" ist ja ein Geschäftsmodell. Es gibt erwiesenermaßen die gezielte Absicht, Banken durch Übernahmen immer größer zu machen, damit sie "too big to fail" werden. Die Verknüpfungen zwischen Finanzwirtschaft und Politik sind enorm. Eigentlich kann man Regierungen, die aus aktiven oder früheren Mitarbeitern des Finanzsystems bestehen, gar nicht ernst nehmen. Da hat es zumindest eine mutige Aktion gegeben, nämlich das Eigentum der Oesterreichischen Nationalbank zu verstaatlichen und damit die Nationalbank von jenen Banken unabhängig zu machen, die sie prüfen sollte. Aber die Geldpolitik macht nun einmal nicht die OeNB sondern die EZB. Die Bankenrettungspakete sind überhaupt wahnsinnig witzig: Die Banken wurden nicht gerettet, es gibt nur einen Plan für die Zukunft, von dem man heute schon weiß, dass er nicht funktionieren wird, denn die Gelder müssen ja erst in den kommenden "Sparpaketen" mittels Steuererhöhungen von den Bürgerinnen und Bürgern einkassiert werden. Die Banken sind rund um den Globus pleite. Darum kann man getrost so tun, als ob es sie nicht mehr gäbe.

derStandard.at: Aber noch gibt es sie.

Hörmann: Wenn wir uns die Kredite anschauen, können wir sie ignorieren. 1969 hat ein amerikanischer Architekt einen Prozess gewonnen, weil er seinen Hypothekenkredit nicht zurückzahlen wollte. Er hat sich auf den Rechtsgrundsatz berufen, dass in einer Leihe, wo ein Gegenstand erst entsteht, der vorher noch nicht vorhanden war, dieser Gegenstand auch nicht zurückgegeben werden muss. Da also in der Kreditschöpfung das Geld erst erzeugt wird, gibt es keinen Grund, diesen Kredit zurückzuzahlen. In den USA gibt es schon Bürgerrechtsbewegungen, die den Amerikanern empfehlen, sich zusammenzuschließen und Kredite nicht mehr zurückzuzahlen.

derStandard.at: Kommen wir noch einmal auf die Bilanzen zurück. Das Problem fängt Ihrer Ansicht nach schon hier an?

Hörmann: Es mangelt an der Abzählbarkeit der Größen, die in Bilanzen verwendet werden. Jemand, der ein Haus um zwei Millionen statt um eine Million kauft, weil er schlecht verhandelt hat, hätte dann ein um eine Million höheres Eigenkapital? Und wenn er jemanden findet, der es um zehn Millionen kauft, ist das dann ein Marktpreis? Es ist krank. Der Fair Value ist auch ein Betrugsmodell, weil man es mit geschenktem Geld und Strohmännern nachweislich missbrauchen kann. Der Fair Value gehört endlich abgeschafft. Er ist nichts anderes als der sogenannte Gemeine Wert, der Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Deutschen Handelsgesetzbuch eliminiert wurde, weil er auch da schon zu massenhaftem Gründungsbetrug bei Aktiengesellschaften geführt hat. Es ist ein flächendeckender Betrug über Kapitalgesellschaften und Banken in unserem Wirtschaftssystem. Aber das darf die Politik nicht zugeben, weil es zu nahe an jene Formulierungen heranreicht, die früher die Marxisten verwendet haben. Und das wäre ja allzu peinlich. Wobei man natürlich sagen muss, dass der Staatssozialismus und die Planwirtschaft überhaupt nicht funktionieren konnten, weil das ja tatsächlich Terrorregime waren.

derStandard.at: Derzeit werden die Stimmen, dass beispielsweise der Euro verschwinden wird, immer lauter. Brauchen wir Geld überhaupt noch?

Hörmann: Alle Währungen werden verschwinden, weil sie technisch nicht mehr funktionieren können. Ich schätze, dass es schon 2011 so weit sein wird. Wenn wir uns aber in eine neue Gesellschaft ohne Geld retten wollen, brauchen wir als Übergangphase mehrdimensionales Geld. Wir brauchen mehrere unabhängige Rechnungskreise in Form spezialisierter elektronischer Gutscheine. Um die Grundversorgung der Menschen abzudecken, wie Wohnraum, Energie, Lebensmittel usw., könnte man eine Inventur in den einzelnen Ländern aller verfügbarer Ressourcen und des Bedarfs machen. Dann wäre es notwendig, die vorhandenen Ressourcen pro Kopf so zu verteilen, dass für den Basislebensstandard alle versorgt sind. Hier müssen alle kooperieren, ohne dass sie in ein gewinnorientiertes Tauschkonzept verfallen. Die Gemeinschaft muss ohne Wenn und Aber und ohne Gegenleistung Kinder, alte und kranke Menschen erhalten, und alle müssen mit diesem Grundlebensstandard versorgt werden, egal welche oder ob sie überhaupt eine Leistung vollbringen.

derStandard.at: Wir sprechen also von einem bedingungslosen Grundeinkommen?

Hörmann: Genau. Aber nicht in Geld, sondern in Gütern und Dienstleistungen. Im Bereich des Luxus kann die Gesellschaft dann basisdemokratisch entscheiden, für welche individuellen oder Gruppenleistungen Preise ausgeschrieben werden. Für tolle Erfindungen zum Beispiel, oder besonders schwierige oder mühsame Arbeiten. Das ist dann der Ansporn in einem motivierenden, leistungsorientierten Anreizsystem. Es reden ja alle von der Leistungsgesellschaft, aber Zinsen- und Dividendeneinkommen sind keine Leistung, sondern eine Vergütung für Eigentum. Da Geld sowieso eine gesellschaftliche Konstruktion ist, müssen wir uns nicht an der toten Materie orientieren, die in früheren Jahrtausenden die praktische Manifestation von Geld war. Geld selbst besitzt ja lediglich eine Informationsfunktion.

derStandard.at: Noch nehmen wir das Geld aber sehr ernst. Währungskrieg und Währungskrisen geistern durch die Medien.

Hörmann: Der wirkliche Skandal ist, dass unser gesamtes Geldsystem auf Schulden basiert. Das heißt, die Geldschöpfung funktioniert zu 97 Prozent in den Geschäftsbanken. Auch Staaten nehmen so Kredite auf: Die Zentralbanken machen das durch eine Bilanzverlängerung. Über eine Bilanzverlängerung kann man aber kein Geld erzeugen. Die chinesische Staatsbank erfindet auch Geld aus Luft, nur lustigerweise, ohne dass eine Staatsschuld entsteht. Das sollten wir auch machen. Der chinesische Wirtschaftswissenschafter Wu hat bei einem Vortrag an einer amerikanischen Universität gesagt: Er werde oft gefragt, warum es in China so viele Unternehmensgründungen gegeben hat. Die chinesische Staatsbank habe Gründungskredite hergegeben, die waren unverzinst und mussten nicht zurückgezahlt werden. Das kann man natürlich nur als Zentralbank machen, wenn man einseitig bucht und nicht gleichzeitig Schulden erzeugt. Und wenn man dann sagt: Um Gottes Willen, dann gibt's ja Inflation! Das haben die Chinesen über eine Preisregulierung gesteuert und waren damit wieder die Schlaueren. Das will aber bei uns keiner hören, weil das geht gegen das Dogma der freien Märkte, die Blasenmaschinen zum Missbrauch für die Eliten sind.

derStandard.at: Ist China da wirklich ein Vorbild?

Hörmann: Die Chinesen machen es richtig. Sie picken sich aus den beiden politischen Systemen jeweils die Rosinen raus und sind offenbar so flexibel zu sagen: Das, was in unserem alten System gut funktioniert hat, behalten wir bei. Und das, was im kapitalistischen System gut ausschaut, das übernehmen wir. Es ist eine Mischform, die sich noch dazu laufend weiter entwickelt, also einer Evolution unterliegt. Aus Sicht der Elite in China ist es einfach, solange sie es so steuern kann. Ob es für die gesamte Bevölkerung, insbesondere für die Landarbeiter so einfach ist, ist eine andere Frage.

derStandard.at: Wo sehen Sie unser Wirtschaftssystem nun in Zukunft?

Hörmann: Solange Eigentümer etwas produzieren, damit Konsumenten es gegen Geld kaufen, werden wir in absehbarer Zeit in einen Zustand geraten, wo die öffentliche Hand, die Gelderzeuger, die Konsumenten dafür bezahlen müssen, dass sie einkaufen gehen. Nur dann werden die Eigentümer noch ihre Gewinne erzielen können. Denn durch Arbeit in immer stärker rationalisierten und automatisierten Prozessen wird kein Mensch mehr sein Einkommen verdienen können. Wir wissen, dass zehn Prozent der berufstätigen Bevölkerung von ihren Arbeitseinkommen nicht mehr leben können. In Wirklichkeit müssten wir darüber in Freude ausbrechen. Zu Beginn der Industrialisierung war die betriebswirtschaftliche Maßgröße eingesparte Arbeitsstunden. Und genau das ist die einzig sinnvolle ökonomische Größe.

derStandard.at: Sie wünschen sich also eine neue Weltordnung?

Hörmann: Globalisierung richtig verstanden, bedeutet, dass es keine Standortpolitik mehr gibt. Es gibt nur einen Standort, und das ist der Planet Erde. Und es gibt auch nur eine Nation, das ist die Menschheit. Diese ist natürlich vielfältig, und muss liebevoll und empathisch miteinander kommunizieren. Wir müssen auch die Vertreter der sogenannten Elite, dort abholen, wo sie heute stehen. Wir dürfen keine Sündenböcke suchen. Denn wir müssen ihre Verlustängste berücksichtigen und sagen: Ihr werdet zwar etwas verlieren, aber das sind nur Zahlen auf Papier oder Displays. Und wenn ihr mitarbeitet, dann können wir jede Form von Lebensstandard schaffen und zwar für eine breite Bevölkerung. Das schafft dann auch Sicherheit, weil es keinen Neid mehr geben wird.

derStandard.at: In welchem Zeithorizont denken Sie an diese neue Gesellschaftsordnung?

Hörmann: Drei Jahre. Die Frage ist nämlich, schafft es die Menschheit, in drei Jahren dieses Konzept umzusetzen oder wird sie gar nicht mehr bestehen. Wir haben nämlich massenhaft ökologische und soziale Probleme, in vielen Ländern stehen wir kurz vor der Revolution.

derStandard.at: Sie reden also vom ultimativen Crash?

Hörmann: Richtig. Wie die Gesellschaft in Zukunft leben wird oder will, kann nur die Gesellschaft selbst entscheiden und zwar nach dem Mehrheitsprinzip. Das geschieht demokratisch in der Vernetzung. Hierarchische Strukturen können aus informationstheoretischer Sicht nie funktionieren, weil die Personen an der Spitze der Pyramide das Wissen nicht haben. Sie werden von den Schichten darunter permanent belogen. Wie man sich als einfacher Bürger gegen Überwachung oder Schikanen wehren kann, ist bekannt: Man lügt die Mächtigen einfach an. Daher brechen sämtliche hierarchische Systeme, ob das Regierungen, Staaten, Schulsysteme oder Unternehmen sind, momentan zusammen und die Menschheit vernetzt sich über das Internet auf einer Ebene neu, über das "global brain". Hier entstehen dann völlig neue Spielregeln nach dem Prinzip der Emergenz. (Daniela Rom, derStandard.at, 13.10.2010)